Frage an Sahra Wagenknecht von Marco R. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Wagenknecht,
in Ihrer Funktion als wirtschaftspolitische Sprecherin Ihrer Fraktion und Mitglied der Kommunistischen Plattform Ihrer Partei habe ich folgende Fragen an Sie:
1. Weshalb sind Sie überzeugt davon, dass ausgerechnet kommunistische/sozialistische Wirtschaftskonzepte, die in etlichen Staaten zu Staatsbankrotten geführt haben für die Zukunft hilfreich sind? Weshalb sind Sie der Auffassung, dass diese helfen können, die unbetreitbaren Nachteile des Kapitalismus zu überwinden? Ich habe den Eindruck, dass die Konzepte der Linken großteils ausschließlich auf einer Verteilung der Güter beruhen, ohne dass Konzepte zur Wertschöpfung vorgelegt werden. Wo sehen Sie Möglichkeiten zur Schaffung von Arbeitsplätzen (Ausser im öffentlich bezahlten Sektor) und Kooperationsmöglichkeiten mit der freien Wirtschaft?
2. Ihre Partei lehnt es ab, die DDR als "Unrechtsstaat" zu bezeichnen, da es den Begriff nicht gibt. Wie beurteilen Sie den Mauerbau, die damit verbundene faktische Ausreiseunmöglichkeit für die meisten DDR-Bürger (Weshalb glauben Sie haben viele DDR-Bürger versucht, die DDR durch Grenzdurchbruch zu verlassen?) und das verhältnismäßig geringe Aufkommen systemkritischer Kunst/Presse innerhalb der DDR im Vergleich zu z.Bsp. westlichen Staaten?
3. Wie beurteilen Sie den Vorwurf vieler ehemaliger DDR-Bürger, die DDR-Führung hätte in Gefängnissen wie Berlin-Hohenschönhausen und Bautzen mittels der Staatssicherheit systematisch Folter gegen Systemkritiker ausüben lassen? Sehen Sie hierbei Verbindungen zum politischen System der DDR?
Freundliche Grüße,
M. Rau
Sehr geehrter Herr Rau,
vorab möchte ich darauf hinweisen, dass im Einklang mit den diesbezüglichen Beschlüssen der Partei DIE LINKE meine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Plattform aufgrund meines Amtes als Stellvertretende Parteivorsitzende ruht.
Zu Ihren Fragen: Die schwere Wirtschaftskrise hat unlängst bewiesen, dass die gegenwärtige Wirtschaftsordnung keine Werte schafft. Im Gegenteil! Wenn durch die Zockerindustrie Millionen Arbeitsplätze vernichtet und viele Menschen in die Armut gedrängt werden, dann wird klar erkennbar: Dieser Kapitalismus ist alles andere als wertschöpfend für die Mehrheit der Bevölkerung, er dient vielmehr dem Interesse einer kleinen, aber einflussreichen und sehr vermögenden Kaste. Das heutige kapitalistische Wirtschaftssystem wird auch nicht dadurch legitimiert, dass es die DDR nicht mehr gibt.
Konzepte, die die ganze Zockerei und den Spekulationswahnsinn beenden sollen – so wie es die LINKE vorschlägt – schaffen wichtige Voraussetzungen dafür, dass die Wirtschaft wieder wertschöpfend arbeiten kann. Beispielsweise wäre ein Verbot spekulativer Finanzinstrumente dringend geboten. Hedgefonds und Private Equity Firmem schaffen keine Werte, sondern sie sind schädlich für die Volkswirtschaft. Wer sich ernsthaft für Wertschöpfung einsetzt, muss darüber hinaus dafür sorgen, dass die Mehrheit der Menschen wieder mehr Geld im Portemonnaie hat. Höhere Löhne und Einkommen bei den finanziell Schwachen helfen kleinen und mittleren Betrieben und erhöhen das Steueraufkommen des Staates. Bei den Superreichen und Vermögenden hingegen fließen weitere Steuergeschenke letztlich vor allem in die Spekulation. Nicht zuletzt deshalb macht sich die LINKE für eine gerechte Umverteilung von oben nach unten stark. Exemplarisch sei hier die Einführung einer Millionärssteuer genannt.
Was die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit angeht, so ist ein Ausbau des öffentlichen Dienstes dringend erforderlich. Andere europäische Staaten gehen hier mit gutem Beispiel voran. Hätten wir in Deutschland eine öffentliche Beschäftigtenquote wie etwa in unserem Nachbarland Dänemark, dann könnten hierzulande fünf Millionen Menschen mehr in Arbeit sein. In Kindergärten, Schulen, in Kranken- und Pflegehäusern werden dringend mehr Beschäftigte gebraucht. Warum soll hierzulande unmöglich sein, was in Dänemark geht? Dies konnte bisher kein Spitzenpolitiker der anderen Parteien nachvollziehbar erklären!
Über die Ausweitung des öffentlichen Dienstes hinaus fordert die LINKE Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, einen Mindestlohn in Höhe von zehn Euro, deutliche höhere Regelsätze für Hartz-IV-Betroffene und ein milliardenschweres Zukunftsprogramm für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Vor allem in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Umweltschutz und öffentliche Infrastruktur sind größere Investitionen nötig. Das Geld dafür ist vorhanden – das haben die milliardenschweren Bankenrettungen gezeigt.
Vollbeschäftigung und soziale Sicherheit sind also möglich. Dafür muss die herrschende Politik allerdings grundsätzlich umsteuern.
Zu Ihren letzten beiden Frageblöcken:
Was die Vorwürfe systematischer Folter in Gefängnissen angeht, so hat sich damit bereits die bundesdeutsche Justiz befasst. Sie konnte diese Vorwürfe nicht bestätigen.
Im übrigen verweise ich auf frühere Abgeordnetenwatch–Antworten, in denen ich ausführlich zum Thema Geschichte Stellung bezogen habe. Weder Verharmlosung verübten Unrechts noch unsachliche Delegitimierung sollten den Umgang mit historischen Fragen bestimmen. Erforderlich ist vielmehr ein sachlicher und differenzierter Umgang mit der Vergangenheit beider deutscher Staaten. Sogar aus den Reihen der CDU kommen mittlerweile – wenn auch vereinzelt - um Sachlichkeit bemühte Bewertungen der DDR, wie die jüngsten Äußerungen des letzten DDR-Ministerpräsidenten und CDU-Mitglieds Lothar de Maizière zeigen.
Freundliche Grüße
Sahra Wagenknecht