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Sahra Wagenknecht
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Frage von Zinon H. •

Frage an Sahra Wagenknecht von Zinon H. bezüglich Soziale Sicherung

Guten Tag Frau Wagenknecht,

meine Fragen an sie lauten ganz konkret:

Wieso halten sie Hartz IV für Armut per Gesetz?
Was ist für sie denn ein "materielles menschenwürdiges Leben"?

Ich glaube fast, sie haben den Sinn und Zweck von Arbeitslosengeld 2 nicht verstanden. Ich war selbst 4 Jahre Hartz IV-Empfänger, 3 Jahre davon ging ich zur Schule und hatte keine Zeit für einen Nebenjob, da das Zentralabitur in Hessen einen eben fordert.
Der Sinn in Hartz IV liegt doch darin, dass dies nur vorübergehend ist und man soll sich bemühen, wieder Arbeit zu finden. Je niedriger das zur Verfügung stehende Geld ist, desto höher ist auch der Wille wieder zu arbeiten(war zumindest bei mir so). Ich habe bisher auch nicht gehört oder gelesen, dass jemand verhungert oder verdurstet wäre wegen Hartz IV.
Ich behaupte nicht, dass es mir materiell sehr gut ging in dieser Zeit, aber anstatt zu meckern, habe ich mich mit der Situation erstmal abgefunden, habe disziplinert mein Abitur gemacht und danach 1 Jahr dafür gekämpft, Offizieranwärter bei der Bundeswehr zu werden. Und weil ich mich angestrengt habe, verfüge ich jetzt auch über ein ansehnliches Nettoeinkommen.
Ich arbeite in einer Arbeitswoche mit 46 Stunden Regelarbeitszeit, aber öfter auch mehr. Alleine letzten Monat habe ich 245,5 Stunden gearbeitet(ohne Wochenenddienst). Auch hier beschwere ich mich nicht, sondern nehme meine verantwortungsvolle Aufgabe als mittlerweile Ausbilder in einer AGA mit Freude wahr.
Außerdem werden bei der momentanen desolaten Haushaltslage des Bundes und der Länder die Hartz IV Sätze eher sinken statt steigen. Helfen kann sich nur der, der auf seine eigene Stärke vertraut oder die eines kleinen Solidarkreises(z.b. Familie) oder aber sich sonstige kompetente Hilfe sucht.

Mit freundlichen Grüßen
Zinon Heck

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Heck,

ein Regelsatz, der so niedrig ist, dass Millionen Betroffene damit nicht mehr am sozialen, kulturellen und politischen Leben teilhaben können, ist Armut und Ausgrenzung per Gesetz. Hinzu kommen die menschenunwürdigen repressiven Methoden. An Hartz IV gibt es demnach nichts schön zu reden.

Rund sieben Millionen Menschen erhielten 2009 Hartz IV-Leistungen, davon etwa zwei Millionen Kinder und Jugendliche. Es ist eine unsägliche Diffamierung – betrieben von der herrschenden Politik und von Teilen der Medien -, all diesen Menschen Arbeitsunwilligkeit, Selbstbedienungsmentalität oder ähnliches vorzuwerfen. Der Grund für die anhaltende hohe Erwerbslosigkeit besteht vielmehr darin, dass schlichtweg die Arbeitsplätze fehlen. Hartz IV dagegen stellt Erwerbslose unter den Generalverdacht, nicht arbeiten zu wollen. Diese Sichtweise lehnt die LINKE ab. Und dass vor allem die zwei Millionen von Harz-IV-Armut betroffenen Kinder und Jugendlichen nichts für ihre miese soziale Situation können, müsste an sich jedem aufgeklärten Menschen auffallen - auch den Verantwortlichen in den Regierungsbänken.

Allerdings ging und geht es der Bundesregierung offenbar nicht um die Überwindung der Armut. Denn der tatsächliche Zweck der Einführung von Hartz IV war weniger die von so manchen Politikern und Medien behauptete Eindämmung der Arbeitslosigkeit als vielmehr, den Druck auf die Löhne zu erhöhen. Hartz IV war und ist vor allem ein Lohndumpingpaket im Interesse der großen Konzerne. Hartz IV zwingt Menschen durch die Maxime, dass jede Arbeit zumutbar sei, in den Dumpinglohnsektor. Der Staat subventioniert auf diese Weise mittels milliardenschwerer Ausgaben Hungerlöhne. Mit einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von zehn Euro könnte man dies grundlegend ändern. Aber dies ist von der herrschenden Politik nicht gewollt.

Die LINKE wird sich weiterhin im Interesse der Erwerbslosen und der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Abschaffung von Hartz IV stark machen und sich dafür einsetzen, dass das Ausspionieren des Privatlebens und die inhumanen Sanktionen ein Ende haben.

Mit freundlichen Grüßen

Sahra Wagenknecht

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