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Sahra Wagenknecht
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Frage von John P. •

Frage an Sahra Wagenknecht von John P. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Wagenknecht,

mich beschäftigt seit der Erfahrung mit dem DDR Sozialismus die Frage nach einem "Dritten Weg",also nach einer Gesellschaftordnung zwischen Turbokapitalismus und dem o.g. Sozialismus.
Leider ist die sozialie Markwitschaft ja auch nicht mehr das ,was sie einmal war und ist z.T. zum Turbokapitalismus mutiert.Die jetzige Gesellschaftsornung ist nicht gerüstet für die Fragen der Zukunft und wird zur Diktatur des Profits.Aber wie sollte eine künftige Gesellschaftsornung Ihrer Meinung nach aussehen?Ist der Weg,den China geht eventuell erfolgreicher? Ich hatte vor kurzem die Gelegenheit China zu besuchen und war von der Entwicklung dort beeindruckt.Anders als die meisten Medien berichrten kommt die Wertschöpfung tatsächlich dem Gemeinwohl zugute.

Auf Ihre Antwort bin ich gespannt.
Mit freundlichen Grüßen aus Oranienburg.
John Paetke.

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Sehr geehrter Herr Paetke,

ich kämpfe für eine sozialistische Gesellschaft. Die konkrete Gestalt dieser Gesellschaft kann, glaube ich, im Moment niemand exakt vorhersagen. Viele verschiedene Faktoren werden auf dem Weg dahin eine Rolle spielen, die man heute noch nicht alle genau bestimmen kann und natürlich kommt es vor allen Dingen auf die Menschen an und wie sie ihr eigenes Leben gestalten wollen. Ein ganz konkretes, in allen Details ausgearbeitetes Gesellschaftsmodell habe ich insofern nicht im Sinn. Ich denke aber, dass Sozialismus grundsätzlich für Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden und Freiheit von Ausbeutung und von Unterdrückung steht. Dafür braucht man eine Wirtschaftsordnung, in der nicht Profitmaximierung, sondern demokratisch gesetzte Maßstäbe über Investitionen, Arbeitsplätze, Forschung und Wachstum entscheiden. Dass es eine solche Ordnung in der Geschichte bisher nicht gegeben hat, spricht nicht gegen ihre Möglichkeit. Wenn sich genügend Menschen zusammen tun und gemeinsam für diese neue Gesellschaft kämpfen, wäre ein demokratischer Sozialismus möglich. In der Geschichte ist immer wieder Neues entstanden.

Die Überwindung des Kapitalismus bedeutet nicht die Abschaffung von privatem Produktiveigentum, sondern meint, dieses auf die Bereiche der Wirtschaft zu beschränken, in denen es keine ökonomische und gesellschaftliche Macht schaffen kann. Wo Konzerne nicht mehr die Möglichkeit haben, Preise und Umfang des Angebots zu diktieren und Zulieferer und Abnehmer sich tatsächlich auf gleicher Höhe begegnen, wo ein starkes Sozialsystem existiert, welches Kostensenkungen zulasten der Beschäftigten verhindert und Umweltmaßnahmen Raubbau an der Natur nicht mehr zulassen, dort kann der Stachel von Eigeninteresse und Gewinn Innovation und technologischen Fortschritt fördern.

Statt Privatisierung der Gewinne und Sozialisierung der Verluste müssen die Gewinne der Bevölkerung zu Gute kommen. Und auch die Wirtschaft muss grundlegend neu ausgerichtet werden – nicht länger auf Maximalprofite, sondern auf das Gemeinwohl. Mit den gegenwärtigen kapitalistischen Eigentums- und Machtverhältnissen ist dies nicht zu verwirklichen. Vielmehr sind öffentliches und demokratisch kontrolliertes Eigentum in der Daseinsvorsorge - also im Energie-, Wasser-, Wohnungs- und Gesundheitssektor sowie bei Mobilität und Bildung -, in wesentlichen Bereichen der Wirtschaft und im Bankenwesen notwendig. Öffentliches Eigentum allein reicht allerdings nicht aus. So brauchen beispielsweise auch öffentliche Banken klare Regeln, die sie auf gemeinwohlorientiertes Wirtschaften festlegen.

Darüber hinaus werden starke Mitbestimmungsrechte der Belegschaften und eine andere Form von Leistungsanreizen, die nicht mehr kurzfristiges Renditestreben belohnen, sondern stattdessen solidarisches, ressourcensparendes und innovatives Verhalten würdigen, gebraucht.

In einer Gesellschaftsordnung, die Solidarität und Humanität fördert, müsste es sicher noch so manches mehr geben. Ich denke aber, dass ich eine ganze Reihe wichtiger Dinge hier genannt habe.

Was die Entwicklung Chinas angeht, so sehe ich die große Leistung bei der Sicherung der Ernährung der Bevölkerung und die Fortschritte im Bildungsbereich. Auch die Verbesserung der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Lage vieler Chinesen im Vergleich zu den Jahrzehnten zuvor ist positiv zu bewerten. Auf der anderen Seite ist es klar, dass ein riesiges Land wie China vor vielfältigen Herausforderungen steht und es noch in vielen Bereichen gravierende Probleme und Missstände gibt. Zu diesen zählen u.a. auch ökologische und soziale Probleme. Die Arbeitsbedingungen für zahlreiche chinesische Arbeiter und Angestellte erfüllen z.T. grundlegende Standards, wie sie etwa in der Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO festgelegt sind, nicht. Insbesondere viele Wanderarbeiter leiden unter schlechten Arbeitsbedingungen. Oft sind große amerikanische und europäischen Konzerne daran beteiligt, den Ausbau von Rechten für die chinesischen Beschäftigten zu blockieren. Auch wenn in China das Problembewusstsein, wie in vielen anderen Bereichen, auch hinsichtlich dieser sozialen Fragen offensichtlich wächst, so gibt es doch erheblichen Bedarf an Veränderungen, die gegen den Willen der Konzernvorstände durchgesetzt werden müssten.
Der Weg Chinas ist insofern nicht ohne Risiken und Probleme, insbesondere was die Zusammenarbeit mit kapitalmächtigen Konzernen angeht. Aber die von der chinesischen Regierung vorgegebenen Ziele, in den nächsten zehn Jahren mittels wirtschaftlicher Innovation und Technologie den allgemeinen Lebensstandard der Bevölkerung weiter anzuheben und die Armut - nicht zuletzt durch ein umfassendes Sozialsystem - zu überwinden, bleiben natürlich richtig. Dies müsste allerdings – wie oben schon erwähnt - gegen den Widerstand der Kapitalmächtigen durchgesetzt werden. Es wird sich noch zeigen, ob China diese Ziele erreichen wird.

Mit freundlichen Grüßen
Sahra Wagenknecht

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