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Sahra Wagenknecht
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Frage von Luis Alberto Fernández V. •

Frage an Sahra Wagenknecht von Luis Alberto Fernández V. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Abgeordnete,

ist die Marktwirtschaft so, wie die EU und die ehemalige EWG sie verstehen und gestalten, "unsittlich" i.S.d. Art. 2(1) GG? Wenn ja, wie äußert sich diese "Unsittlichkeit"? Sie haben mehrmals behauptet, daß der Profit die Wurzel allen Übels sei, aber es müssen m.E. doch andere Faktoren hervortreten, die zu dieser Unsittlichkeit führen, welche als solche gegen die verfassungsmäßige Ordnung, das menschliche Leben, die ethischen Werte, die Gerechtigkeit und die Menschenwürde verstoßen.

Bitte seien Sie konkret und aussagefähig und zeigen Sie bitte auch einige nachvollziehbare Beispiele an, die Ihre These am besten und am günstigen dokumentieren können.

Ich bitte Sie, dafür ausreichende Zeit zu nehmen, und verbleibe

mit freundlichen Grüßen

Ihr

Luis Fernández Vidaud

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Antwort von
BSW

Sehr geehrter Herr Vidaud,

vielen Dank für Ihre Frage.

Das von Ihnen angesprochene Prinzip der Sittlichkeit, welches in Art. 2 I des Grundgesetzes als verfassungsrechtliche Schranke genannt wird, ist nicht gleichzusetzen mit überlieferten Moralvorstellungen, sondern orientiert sich vielmehr an sogenannte Anstandsgebote, die ihrerseits normiert sind. Daher hat das „Sittengesetz“ - anders als die ebenfalls in Art 2 I GG erwähnte „verfassungsmäßige Ordnung“ - kaum eine eigenständige Bedeutung. Letztere erfasst nämlich dem Grunde nach bereits sämtliche verfassungskonformen Normen formeller und materieller Art.

Eines kann man aber ganz sicher festhalten: Die von der EU betriebene Politik der Deregulierung und Privatisierung ist das Gegenteil dessen, was das im Grundgesetz verankerte Sozialstaatsgebot beinhaltet. Ich möchte dies anhand einiger Beispiele veranschaulichen: zum einen wäre da der Lissabon-Vertrag und des Weiteren die verheerenden Urteile des EuGH zum Streikrecht.
So setzt der EU-„Reform“-Vertrag die kapitalistische Wirtschaftsordnung rechtlich fest. Bereits geringere Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sollen wesentlich erschwert werden. „Offene Marktwirtschaft“ und „freier Wettbewerb“ sind die Schlagworte, die die Ausrichtung dieses neoliberalen Vertragswerks prägen. Statt rüdem Lohndumping, neoliberaler Deregulierung und Privatisierungen öffentlicher Güter den Kampf anzusagen, wird mit dem Vertrag von Lissabon die Verarmung von Millionen Menschen in Europa weiterhin möglich gemacht.
Als weiteres Beispiel kann die jüngere Rechtsprechung des EuGH zum Streikrecht in den Fällen „Viking“ und „Laval“ angeführt werden, über die sich die Chefetagen großer Konzerne besonders gefreut haben dürften. Danach wird abhängig Beschäftigten das Recht gegen Sozialdumping zu streiken, erheblich erschwert. Statt die Streikrechte von Arbeitnehmern gegen die Installierung von Hungerlöhnen zu stärken und damit dem Wohlergehen von Menschen Priorität einzuräumen, wurde mit dem Urteil das rücksichtlose Vorgehen der Unternehmensführungen auch noch belohnt.
Ich denke, schon diese beiden Beispiele zeigen sehr deutlich, wofür diese Europäische Union steht und wessen Interessen sie vertritt. Ein Europa der Banken und Konzerne wird aber nicht gebraucht! Wir brauchen ein Europa für die Menschen!

Gestatten Sie mir noch ein paar Worte zur Frage nach der Profitgier: Die rasante neoliberale Umverteilung der letzten Jahre hat wesentlich damit zu tun, dass einige wenige ihre Profite zulasten der Lebenssituation der Bevölkerung immer weiter in die Höhe treiben. Durch die Anhäufung riesigen Reichtums, der sich in den Händen weniger konzentriert, werden auf der anderen Seite Beschäftige, Arbeitslose und Rentner in Armutsverhältnisse gedrängt. Und diese Entwicklung hat natürlich auch mit einem Wirtschaftssystem zu tun, das Egoismus, Verantwortungslosigkeit und Gier nicht nur ermöglicht, sondern geradezu fördert. Man könnte hierzu exemplarisch die üppigen Banker-Boni nennen, die bekanntlich wieder in Milliardenhöhe ausgeschüttet werden. Aber natürlich wäre es falsch, allein die Gier nach Maximalprofiten für den Verfall des sozialen Zusammenlebens verantwortlich zu machen - das habe ich auch nie behauptet. Vielmehr gilt es auch für eine Wirtschaftsordnung zu kämpfen, die auf Gemeinwohl orientiert statt einseitig auf Profiterwirtschaftung und falsche wirtschaftliche Anreize setzt und die eben nicht Ellenbogenmentalität und Raffgier belohnt, sondert Menschlichkeit und Solidarität fördert.

Mit freundlichen Grüßen,
Sahra Wagenknecht

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