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Sabine Zimmermann
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Frage von Cornelia K. •

Frage an Sabine Zimmermann von Cornelia K. bezüglich Jugend

Sehr geehrte Frau Zimmermann,
anlässlich der Facharbeit meiner Tochter im Fach Deutsch habe ich mich mit dem Thema "Rassismus in Kinderliteratur" bzw. den unterschiedlichen Formen von Rassismus in literarischen Werken, welche an Kinder adressiert sind, beschäftigt. In diesem Rahmen kam auch die folgende Frage auf: Sollte Kinderliteratur, welche rassistische Formulierungen beziehungsweise Begrifflichkeiten aufweist, umgeschrieben werden? Wie stehen Sie als Vorsitzende des Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dieser Frage?
Mit freundlichen Grüßen,
C. K.

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DIE LINKE

Sehr geehrte Frau K.,

vielen Dank für Ihre Frage. Als Ausschussvorsitzende kann ich keine politischen Einordnungen vornehmen, da ich insoweit eine neutrale, organisatorisch-leitende Rolle habe und das von Ihnen aufgeworfene Problem politisch umstritten ist.

Als Abgeordnete der LINKEN möchte ich Ihnen folgendermaßen antworten:

Bevor man Lösungen für den konkreten Umgang mit rassistischen Formulierungen finden kann, müssen diese erst einmal identifiziert werden. Das ist nicht immer einfach und offensichtlich.

Denn Rassismus geht über individuelle Diskriminierungserfahrungen hinaus. Er ist auch ein strukturelles Phänomen. Wenn über den Umgang mit rassistischen Formulierungen in Literatur gesprochen wird, dann gilt es beides zu bedenken: die individuelle Diskriminierungserfahrung, die ein Mensch macht, der von der rassistischen Formulierung angesprochen ist, aber auch den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang solcher Formulierungen, in dem eine Machtstruktur zum Ausdruck kommt.

Wenn man in diesem Sinne von Rassismus spricht, geht es nicht um eine moralische Bewertung von Personen oder Äußerungen. Das würde nicht nur vielen Menschen Unrecht tun, sondern auch Rassismus auf bewusste, in verletzender Absicht vorgenommene Diskriminierungen reduzieren und damit sein Ausmaß kleinreden. Es kommt aber darauf an, rassistische Strukturen zu erkennen und zukunftsgerichtet zu überwinden. Ich finde dies wichtig, weil der Begriff "rassistisch", auf beliebte literarische Werke angewendet, einen Verteidigungsreflex auslösen kann. Dabei geht es gar nicht um eine Beurteilung des Autors oder der Autorin. Astrid Lindgren beispielsweise war, was ihre Ziele und Überzeugungen angeht, nicht ansatzweise Rassistin. Sie hat sich gegen Ausländerfeindlichkeit geäußert und hat mit Werken wie Pippi Langstrumpf einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass Kinder engstirnige Rollen und Denkmuster wie z. B. Geschlechterstereotype überwinden. Dennoch war auch sie von den rassistischen Denkstrukturen ihrer Gesellschaft - in den konkreten Formen ihrer Zeit - geprägt und diese sind auch an einigen Stellen in ihre Werke eingeflossen. Dies bei ihr und anderen AutorInnen festzustellen, entwertet die jeweiligen literarischen Werke nicht.

Was das Erkennen von Rassismus angeht, sollte der wichtigste Maßstab sein, wie Menschen aus den betroffenen Personengruppen überwiegend empfinden. Das gilt auch für literarische Formulierungen. Auch wer selbst - z. B. mangels Betroffenheit - anders empfindet, kann anerkennen, dass eine bestimmte Formulierung andere Menschen verletzt. Auch dass die Formulierung historisch anders besetzt war, kann für die Einordnung als rassistisch nicht entscheidend sein, wenn nicht eine historische Quelle in ihren Kontext eingeordnet wird, sondern die Wirkung einer Formulierung im Hier und Heute zur Debatte steht.

Davon zu trennen ist die Frage, wie mit rassistischen Formulierungen in der Literatur konkret umzugehen ist. Ich möchte hier nicht für eine Universallösung plädieren, sondern nur denkbare Optionen ansprechen.

Bei Literatur, die sich an Erwachsene richtet, halte ich eine Veränderung des Wortlauts nicht für den richtigen Weg. Nicht weil das Festhalten am ursprünglichen Wortlaut einen Wert an sich darstellt, sondern weil die Veränderung den (historischen) strukturellen Rassismus verschleiern würde. Denn Literatur ist stets auch Zeitdokument. Je nach Einzelfall sollte man aber eine Kommentierung in einem einführenden Vorwort oder in Fußnoten erwägen.

Kinderliteratur ist aus meiner Sicht ein Sonderfall, denn je nach Altersgruppe können Kinder rassistische Formulierungen noch nicht selbst einordnen und sind möglicherweise auch mit Erläuterungen überfordert. Es ist daher denkbar, dass Kinder rassistische Begriffe übernehmen oder sich rassistische Denkmuster zu eigen machen. Diejenigen Kinder, die durch die rassistische Formulierung direkt betroffen sind, erleben durch die Konfrontation mit rassistischen Formulierungen in der Literatur früh, als anders markiert zu werden. Dadurch werden sie möglicherweise an den Schmerz vergangener Diskriminierungserfahrungen erinnert. Von Kindern kann man nicht erwarten, damit umgehen zu können.

Bei einem Werk, das über bestimmte Formulierungen hinaus nicht von rassistischen Denkmustern geprägt ist, wären die beschriebenen Probleme durch eine Neuformulierung der entsprechenden Passagen leicht zu vermeiden. Deshalb halte ich ein Umformulieren für eine legitime Art und Weise, mit rassistischen Formulierungen in Kinderliteratur umzugehen. Ein erläuterndes Vor- oder Nachwort könnte die Veränderungen klarstellen. Leserinnen und Lesern fortgeschrittener Altersgruppen, insbesondere Jugendlichen, ist aber zuzumuten, sich mit dem Problem aktiv auseinanderzusetzen. Beispielsweise könnten veränderte Stellen gekennzeichnet werden und die LeserInnen könnten angeregt werden, eine Erläuterung zu lesen, in der die Originalformulierungen zitiert und kommentiert werden. Ich könnte mir vorstellen, dass zum Beispiel Astrid Lindgren, die auf Freiheit, Selbstbestimmtheit und Mündigkeit von Kindern so viel Wert gelegt hat, mit dieser Lösung hätte zufrieden sein können.

Mit freundlichen Grüßen

Sabine Zimmermann

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