Frage an Sabine Zimmermann von Michael K. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrte Frau Zimmermann,
Am 23.07.2014 entschied das Bundessozialgericht (Az.: B 8 SO 14/13R-Az.: B 8 SO 31/12 R und Az.: B 8 SO 12/13 R), dass volljährige erwerbsunfähig Behinderte, die in der Wohnung der Eltern oder in Wohngemeinschaften leben, der Regelbedarfsstufe 1 zuzuordnen sind, anstatt Regelbedarfsstufe 3, wie bis dato weitestgehend verbreitet. Im Grundsatz, so das BSG, richtet sich der Bedarf einer erwachsenen leistungsberechtigten Person nach der Regelbedarfsstufe 1 vielmehr auch dann, wenn sie mit einer anderen Person in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, ohne dass eine Partnerschaft im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 -... besteht. Daraus folgen, im Lichte der genannten Rechtsprechung, m.E. diverse Ungleichbehandlungen im Sinne Artikel 3 Absatz 1 GG. Da es um die existenzsichernden regelhaften Leistungen geht, können solche Unterschiede nicht begründet sein. Ich verkenne nicht, dass es Systemunterschiede gibt, wie etwa Einkommens und Vermögensberücksichtigung, die aber ihren Ausdruck nicht im Regelbedarf finden können, der ja aus Verbrauchswerten ermittelt wird. Eine solche Zuordnung wäre willkürlich und, der Unterschiedshöhe nach, auch nicht begründbar.
a) Sehen Sie eine derartige Ungleichbehandlung für erwachsene Leistungsberechtigte zwischen 18 und 24 im Rechtskreis SGB II , die nur Leistungen gemäß Regelbedarfsstufe 3 erhalten ggü. den erwachsenen Leistungsberechtigten im SGB XII?
b) Sehen Sie eine derartige Ungleichbehandlung zwischen erwachsenen Leistungsberechtigten zwischen 18 und 24 einerseits und ab 25 andererseits im SGB II ?
c) sehen Sie gesetzgeberischen Handlungsbedarf?
Sehr geehrter Herr Krauß
Die Urteile des Bundessozialgericht und die "rechtliche Stellungnahme" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sind uns bekannt. Ich teile die Auffassung des Bundessozialgerichts, dass volljährigen Menschen im SGB XII bei Bedürftigkeit der volle Regelbedarf zusteht, auch wenn sie mit anderen Erwachsenen zusammenleben denen gegenüber keine Einstandswillen unterstellt wird. Diese Auslegung der geltenden Rechtslage wird leider vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bestritten. Die ausführenden Verwaltungen werden unverändert aufgefordert entgegen der eindeutigen Aussagen des obersten einschlägigen Gerichts die Regelbedarfe für die betreffende Personengruppe - vielfach Menschen mit Behinderungen - nur gekürzter Höhe (80 Euro weniger) auszuzahlen. Es ist sowohl für die betroffenen Personen als auch für das Vertrauen in den Rechtsstaat massiv zu kritisieren, dass das zuständige Ministerium sich über ein eindeutiges Urteil des Bundessozialgerichts hinwegsetzt.
Wir haben dieses Verhalten gegenüber der Bundesregierung in Form von schriftlichen Fragen thematisiert und werden unsere Kritik auch weiter im Parlament zum Ausdruck bringen. In der nächsten Sitzungswoche wird das Thema in dem Ausschuss Arbeit und Soziales aufgesetzt. Hier werden wir die Bundesregierung auffordern, das Urteil des BSG endlich umzusetzen und bei, nach Rechtsauffassung des BSG unzutreffenden, Einstufungen ausstehende Leistungen nachzuzahlen.
Die Fraktion DIE LINKE ist der Auffassung, dass eine Ungleichbehandlung zwischen Leistungsberechtigten im SGB II und im SGB XII in den Fragen der Existenzsicherung keine sachliche Grundlage hat und damit gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 GG verstößt. Diese Frage ist aber nur mittelbar in der BSG Entscheidung angesprochen. Ein rechtliches Vorgehen werden prüfen, sofern die Bundesregierung sich einer Umsetzung des BSG Urteilsspruch weiter verweigern sollte.
Die Fraktion DIE LINKE ist im Grundsatz der Auffassung, dass volljährigen Leistungsberechtigten im SGB II und im SGB XII der volle Regelbedarf zustehen sollte. U.E. gibt es keinen Grund bei erwachsenen Personen bei den Leistungsansprüchen zwischen verschiedenen Altersstufen zu unterscheiden; ebenso ist die Frage, ob jemand erwerbsfähig ist oder nicht (SGB II oder SGB XII) kein zulässiger Grund bei den Leistungen zur Existenzsicherung zu unterscheiden.
Um diese Ziele zu erreichen, sind Gesetzesänderung notwendig. Lediglich in dem Aspekt, den das BSG im Juli entschieden hat, wäre es u.E. ausreichend, wenn das zuständige Ministerium die Rechtsauffassung des BSG akzeptiert und ein entsprechendes Verhalten der Verwaltungen anweisen würde. Die Bereitschaft scheint aber nicht vorhanden zu sein.
Insofern wäre es sinnvoll, wenn sie die Anfrage auch Abgeordneten der Regierungsfraktionen sowie an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales stellen würden. Würde dies massenhaft gemacht, könnte es hier einen Lerneffekt befördern.
Mit besten Grüßen
Sabine Zimmermann