Frage an Sabine Zimmermann von Sandra H. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte Frau Zimmermann,
ich habe auf den Internetseiten der Bundestagsfraktionen nach den Arbeitsmarkt- bzw. Sozialexperten gesucht und bin dabei auf Ihren Namen gestoßen.
Daher stelle ich meine Frage jetzt an Sie.
In stark vereinfachten Zahlen gesprochen gibt es in der Bundesrepublik Deutschland derzeit 3,5 Millionen Arbeitslose bei gleichzeitig 500 000 offenen Stellen.
Was gedenkt Ihre Fraktion mit den restlichen 3 Millionen Menschen zu machen? Bekommen die vom Staat einen Job? Oder sollen diese dauerhaft im Arbeitslosengeld II gehalten werden?
Ich freue mich auf Ihre Antwort!
Mit freundlichen Grüßen
Sandra Henke
Sehr geehrte Frau Henke,
danke für Ihre Frage. Derzeit haben wir in Deutschland nach der aktuellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit sogar eine Unterbeschäftigung von über 4,4 Millionen Personen. In dieser Zahl sind zusätzlich zu den Erwerbslosen die Personen enthalten, die an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teil nehmen oder sich in vorruhestandsähnlichen Regelungen befinden. Zählen wir dann noch die so genannte stille Reserve dazu, kommen wir leider mit Sicherheit über einen Wert von über 5 Millionen Erwerbslosen. Das ist natürlich ein unhaltbarer Zustand. Wir brauchen mehr Beschäftigung, vor allem mehr Arbeitsplätze, von deren Lohn man auch leben kann.
DIE LINKE hat ein Programm für mehr und gute Arbeitsplätze, dass wir auch gerne umsetzen würden, aber wie Sie wissen, befinden wir uns im Bundestag in der Opposition. Ich möchte Ihnen kurz unsere Ideen erläutern.
DIE LINKE möchte für mehr Beschäftigung sorgen und das in 3 Bereichen:
In der Privatwirtschaft
Seit Jahren wird in Deutschland eine angebotsorientierte Beschäftigungspolitik betrieben: über eine „Aktivierung“ von Erwerbslosen und niedrige Löhne sollten mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Dabei wurde die Nachfrageseite, insbesondere in Form der Binnennachfrage, völlig vernachlässigt. Wirtschaftspolitisch korrespondiert dies mit einer extremen Exportorientierung. DIE LINKE steht dagegen für eine nachfrageorientierte Beschäftigungspolitik. Denn ohne Nachfrage entstehen keine Arbeitsplätze. Daher müssen dringend sowohl die private Kaufkraft als auch die öffentliche Nachfrage erhöht werden.
Zur Steigerung der privaten Kaufkraft sind höhere Löhne notwendig. Dies erfordert derzeit vor allen Dingen einen gesetzlichen Mindestlohn. Eine Studie im Auftrag von ver.di und NGG hat ergeben, dass die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 7,50 Euro, der schnell auf 9 Euro steigt, zu einem Beschäftigungsgewinn von 600.000 Vollzeit-Arbeitsplätzen führen würde. Darüber hinaus brauchen wir eine zugunsten der Beschäftigten umverteilende Lohnpolitik. Hierfür muss die Verhandlungsposition der Gewerkschaften gestärkt werden.
Zur Steigerung der Beschäftigung und darüber auch der zahlungsfähigen Nachfrage fordert DIE LINKE ein Zukunftsprogramm, von dem ein Teil auf die Privatwirtschaft gerichtet ist. Jährlich sollen 50 Mrd. Euro in die Erneuerung von Bildungs- und Kultureinrichtungen, Verkehrsinfrastrukturen, der energetischen Gebäudesanierung, des öffentlichen Personennahverkehrs, des öffentlichen Schienenverkehrs sowie in erneuerbare Energien investiert werden, wodurch eine Million Arbeitsplätze geschaffen und gleichzeitig der sozial-ökologische Wandel der Gesellschaft vorangetrieben werden können. Deutschland hat hier dringenden Nachholbedarf. Bei den öffentlichen Investitionen rangiert es im europäischen Vergleich weit hinten. Notwendig ist zudem ein sozial-ökologischer Umbau der Industrie. Das verarbeitende Gewerbe befindet sich in einer strukturellen Krise, die durch Überkapazitäten und einen globalen Verdrängungswettbewerb gekennzeichnet ist. Die Fraktion DIE LINKE fordert einen industriepolitischen Zukunftsfonds, mit dem Arbeitsplätze in sozial fortschrittlichen und ökologisch nachhaltigen Bereichen erhalten und geschaffen werden können. Die Mittel des Fonds werden in Form von staatlichen Beteiligungen vergeben, um Unternehmen bei der Umstellung auf energie- und rohstoffeffiziente Verfahren und Produkte zu unterstützen. So können Überkapazitäten abgebaut und durch Wertschöpfung in gesellschaftlich sinnvollen Bereichen ausgeglichen werden. Ein solcher Fonds ist in der aktuellen Wirtschaftskrise dringend notwendig, um Beschäftigung zu sichern. Beschäftigungssicherung ist Voraussetzung für die Vergabe von Mitteln, ebenso die Einführung der paritätischen Mitbestimmung. Jährlich sollen 25 Milliarden Euro in den Zukunftsfonds eingebracht werden.
Eine Strategie für mehr Arbeitsplätze erfordert aber auch eine Debatte um Arbeitszeitverkürzung (mit Lohnausgleich) mit dem Ziel, die vorhandene Arbeit auf mehr Schultern umzuverteilen. Während viele Menschen arbeitslos sind oder unfreiwillig eine geringfügige Beschäftigung ausüben, arbeiten andere sehr lange. Die Kurzarbeit hat gezeigt, wie erfolgreich Arbeitszeitverkürzungen zur Beschäftigungssicherung sind. Über die Krise hinausgeführt, kann eine Arbeitszeitverkürzung auch zu einem Beschäftigungsaufbau führen, wenn die Betriebsräte entsprechende Mitbestimmungsrechte erhalten, die mehr Einstellungen statt einseitiger Arbeitsverdichtung ermöglichen. Arbeitszeitverkürzung muss sowohl die Wochenarbeitszeit als auch die Lebensarbeitszeit umfassen. Daher fordern wir, im ersten Schritt die Höchstarbeitszeit gesetzlich auf 40 Stunden pro Woche zu begrenzen, und lehnen die Rente ab 67 ab. Dies steht im Einklang mit den Wünschen der Beschäftigten, wie Erhebungen belegen. Weniger Arbeitszeit bedeutet mehr Zeit zur freien Verfügung und mehr Lebensqualität. Auch die Zahl der Überstunden muss begrenzt werden. Laut des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind selbst im Krisenjahr 2009 rund eine Milliarde Überstunden geleistet worden. Hinzu kommt noch mal die gleiche Menge an unbezahlten Überstunden.
Im öffentlichen Dienst
Der öffentliche Dienst soll die Erfüllung aller Aufgaben sichern, die der Staat zu leisten hat. Zu nennen sind hier beispielhaft das Finanzamt, das Krankenhaus, der Justizvollzug, die Schule, die Müllabfuhr und der öffentliche Nahverkehr. Von 1991 bis 2008 hat sich die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst um 2,2 Millionen auf aktuell ca. 4,5 Millionen Menschen verringert. Damit ging eine Überalterung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst einher, da im Zuge des Personalabbaus häufig weniger Auszubildende eingestellt und auch übernommen worden sind. In den vergangenen Jahren wurden viele wichtige Bereiche des öffentlichen Dienstes privatisiert (Müllabfuhr, Wasser- und Energieversorgung, Nahverkehr). In der Folge sind niedrigere Löhne und eine höhere Arbeitsbelastung an der Tagesordnung. Die Privatisierung von Teilen des öffentlichen Dienstes hat netto rund 600.000 Jobs gekostet. Außerdem führen Privatisierungen zu einer schlechteren Versorgung und höheren Kosten für die Bevölkerung.
Dieser Trend muss umgekehrt werden. Dienstleistungen, auf die alle Bürgerinnen und Bürger angewiesen sind, müssen vom Staat finanziert werden. Die Daseinsvorsorge gehört in die öffentliche Hand. Wir lehnen weitere Privatisierungen ab und fordern eine Rekommunalisierung öffentlicher Dienstleistungen. Das würde auch zu mehr Beschäftigung führen. Darüber hinaus muss der öffentliche Dienst ausgebaut werden. Es gibt einen enormen gesellschaftlichen Bedarf an vor allem sozialen Dienstleistungen, der bisher ungedeckt ist. Dies betrifft insbesondere die Bereiche Bildung, Kinderbetreuung, Pflege und Kultur. Der Zugang zu diesen Dienstleistungen ist Voraussetzung dafür, dass Menschen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können. Der Staat trägt die Verantwortung für ein gutes Angebot an öffentlichen sozialen Dienstleistungen. Öffentliche Ausgaben hierfür sind Investitionen in gesellschaftlichen Wohlstand, die gleichzeitig ein Beschäftigungsmotor sein können und einen Weg aus der Massenarbeitslosigkeit weisen.
Im Vergleich zu den skandinavischen Ländern weist Deutschland eine erhebliche Dienstleistungslücke auf. In Schweden und Norwegen arbeitet beispielsweise fast jede und jeder dritte Beschäftigte für den Staat. Das sind drei Mal mehr als in Deutschland. Daher gibt es dort ein wesentlich größeres Angebot an öffentlichen Diensten und eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen. Der sog. Care-Bereich wird hier nicht hauptsächlich über familiäre Reproduktionsarbeit abgedeckt, sondern ist Bestandteil des öffentlichen Dienstleistungsangebotes mit teilweise hohem Professionalisierungsgrad. Studien gehen von einer Erwerbstätigenlücke in Deutschland im Vergleich zu Dänemark oder Norwegen aus, die alleine für den Bereich Soziales, Gesundheit und Pflege zwischen 3,5 und 4,5 Millionen liegt. Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge braucht Deutschland alleine 400.000 zusätzliche Beschäftigte in der Ganztagsbetreuung, damit alle Eltern, die dies möchten, arbeiten können. Im Bereich der Altenpflege wird ein Bedarf von einer halben Million zusätzlicher Arbeitsplätze diagnostiziert. Das Defizit im deutschen Bildungsbereich ist international mehrmals angemahnt. Eine verbesserte allgemeine und vorberufliche Qualifikation mindert auch die Kosten für notwenige Nachqualifizierungen im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor.
DIE LINKE will diese Dienstleistungslücke durch den Ausbau des öffentlichen Dienstes schließen. Mit zusätzlichen Investitionen von 50 Mrd. Euro pro Jahr könnten eine Million reguläre Vollzeitarbeitsplätze zu tariflichen Bedingungen in den Bereichen Bildung, Kinderbetreuung, Gesundheit, Pflege und Kultur entstehen.
Öffentlich geförderte Beschäftigung
Im Vergleich zu den beiden zuerst genannten Bereichen des Beschäftigungsaufbaus ist die öffentlich geförderte Beschäftigung im beschäftigungspolitischen Sinne, also zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen, nachrangig. Strukturell und damit dauerhaft kann der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor kein Ersatz für reguläre Beschäftigung sein. Öffentlich geförderte Beschäftigung ist dennoch arbeitsmarktpolitisch wichtig und sinnvoll. Mit öffentlich geförderter Beschäftigung werden Arbeitsplätze für Menschen geschaffen, die aufgrund vermittlungshemmender Merkmale unter den derzeitigen Bedingungen keine Chance auf dem regulären Arbeitsmarkt haben.
Unser Konzept der öffentlich geförderten Beschäftigung beruht auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Sie darf kein Instrument zur Disziplinierung sein, sondern soll Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen. Arbeit ist für die meisten Menschen wichtig für die berufliche und persönliche Anerkennung und Entfaltung. Öffentlich geförderte Beschäftigung muss voll sozialversicherungspflichtig sein und sich an tariflichen Löhnen orientieren. Die Untergrenze soll ein gesetzlicher Mindestlohn bilden.
Zentral ist, dass bei der Einrichtung von öffentlich geförderter Beschäftigung die Verdrängung regulärer Beschäftigung verhindert werden muss. Dies betrifft gerade auch den Öffentlichen Dienst. Beispielsweise dürfen die Pflege von Grünflächen oder auch die Bereitstellung von Bibliotheken kein Bestandteil öffentlich geförderter Beschäftigung sein. Wichtig ist aber auch, dass es sich um gesellschaftlich sinnvolle Arbeit handelt. Arbeit, die lediglich dem Zweck einer „Beschäftigungstherapie“ dient, ist nicht unser Ziel. Immerhin gibt es genügend Bereiche, die bisher brach liegen, da sie weder staatliche Regelaufgabe sind, noch auf eine zahlungskräftige Nachfrage stoßen. Hier sind zum Beispiel verschiedenste Aktivitäten der Stadteilarbeit, Schaffung kommunikativer Netze im Quartier und eines sozialen Wohnumfeldes, die Stärkung der kulturellen Bildung oder der Aufbau von Hilfsangeboten für bestimmte Personengruppen u. v. a. m. zu nennen.
Freundliche Grüße
Sabine Zimmermann