Frage an Sabine Wils von Joern T. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrte Frau Wils,
im April steht voraussichtlich die Abstimmung des neuen europäischen Datenschutzrechtes an.
Nun wird öffentlich, dass es massiven Einfluss global agierender US-Firmen gibt, die durch Lobbytätigkeit erreichen, dass z.T. komplett von ihnen formulierte Texte in das Regelwerk einfließen. Zudem ist es ihnen offenbar gelungen, dass der Datenschutz durch Streichung einiger Passagen, z.B. zu Strafen bei Missbrauch, hinter den aktuellen Stand zurück fallen könnte.
Erst im vergangenen Sommer wurde bei dem Versuch, die Weitergabe von Daten der Meldeämter an Adresshändler ohne Widerspruchsmöglichkeit zu etablieren, deutlich, dass die deutschen Bürger nicht bereit sind so einfach auf ihre Rechte zu verzichten. Vermutlich werden die Bürger anderer europäischer Länder diesen Kontrollverlust ähnlich kritisch sehen.
Im Urheberrecht werden immer weitere Verschärfungen (Ausdehnung der Schutzfrist auf 70 Jahre) mit dem Argument installiert, dass das Recht auf das "eigene Werk" schützenswert sei. Bei dem - eigentlich verbrieften - Recht auf informationelle Selbstbestimmung scheint dies für die "eigene Person" nicht zu gelten.
2011 wurde von der Europäischen Kommission der Ansatz eines "Rechts auf Vergessenwerden" aufgenommen, der in die Datenschutzreform einfließen sollte. Die jetzt ruchbar gewordene Einflussnahme konterkariert dieses Vorhaben vehement.
Wie stehen Sie zu der Gefahr, dass durch massive internationale Datensammlungen gläserne Konsumenten geschaffen werden und einmal erhobene Daten von Unternehmen weiterverkauft oder sonst beliebig genutzt werden dürfen, ohne dass es die Möglichkeit zu einem Widerspruch gäbe?
Mit der Bitte sich für ein Datenschutzrecht für alle europäischen Bürger einzusetzen, welches ihnen das Recht der Kontrolle über erhobene Daten erhält, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen,
Joern Trottenberg
Sehr geehrter Herr Trottenberg,
ich habe mich mit der Beantwortung Ihrer Frage etwas schwer getan.
Schon Ihrer Fragestellung entnehme ich, dass Sie die vielfältige Einflussnahme der Wirtschaft gegen ein scharfes Datenschutzrecht und deren Wirksamkeit auf die Entscheidungsfindung in der Europäischen Union bemerkt haben. Die Ablehnung dieser Tendenzen durch meine Fraktion und durch mich ist Ihnen sicher auch nicht entgangen.
Deshalb will ich hier etwas grundsätzlicher ausholen, um Ihnen meine Sicht auf die Einbindung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in die Politik der Europäischen Union aufzuzeigen.
Die Gefahr des gläsernen Konsumenten, aber in gleich bedeutsamen Maße des gläsernen Arbeitnehmers und gläsernen Bürgers (Überwachung der Bürger) wird zunehmend zur Realität. Und diese Realität wird nicht nur in der EU sondern auch in Deutschland durch die bestimmende Politik z.B. durch die Weitergabe von Adressdaten der Meldeämter gefördert.
In die Formulierung aller gesetzlichen Vorhaben sind Wirtschaftsvertreter neben dem Lobbyistenunwesen auch über direkte Gesetzes- und Verordnungsvorlagen beteiligt.
Die Europäische Union ist mit dem Ziel gegründet worden, zum dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Dieser Weg soll über den Rückzug des Staates und eine maximale Orientierung auf den Markt im Sinne des Neoliberalismus erfolgen. Zum Recht geworden ist dies im Lissabon-Vertrag, der die Freiheit des Warenverkehrs, der Dienstleistungen, des Kapitals und die Freizügigkeit der Arbeitskräfte im „Verfassungsrang“ festschreibt.
Die Staaten innerhalb der Europäischen Union konkurrieren auf dem Binnenmarkt gegeneinander. Hierbei sind die Steuern, die Löhne und Sozialsysteme, die Umweltstandards und auch der Datenschutz Wettbewerbsfaktoren, die in Konkurrenz zueinander Wettbewerbsvorteile schaffen sollen. Die Lohndumpingpolitik in Deutschland (Agenda-Politik mit Niedriglöhnen, prekärer Beschäftigung, Leiharbeit) oder das Steuerdumping in Irland sind dafür Beispiele.
Bei Abwägung mit Bürgerrechten haben diese Wirtschaftsinteressen regelmäßig Vorrang. Dies wird durch die Rechtsprechung des EuGH z.B. zu Mindestlöhnen, Streikrecht, usw. vorgegeben. Welche Grenzen kann es noch geben, wenn die Europäische Union zum Schutz der Finanzinvestoren EU-Bürger in die Obdachlosigkeit, in die Krankheit ohne Gesundheitsversorgung, in die Arbeitslosigkeit bis hin zum Hungern treibt?
Innerhalb der EU wird von der Fiktion gleichwertiger Standards ausgegangen. Das Ergebnis können Sie hier nachlesen: „Mit Beschlüssen vom 22.04.2013 entschied das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (OVG) auf Beschwerden des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts (VG) Schleswig, dass auf die Datenverarbeitung bei Facebook auch in Bezug auf deutsche Nutzer nicht deutsches, sondern ausschließlich irisches Datenschutzrecht anwendbar sei (Az. 4 MB 10/13, 4 MB 11/13).“ Quelle: https://www.datenschutzzentrum.de/presse/20130424-facebook-klarnamen-ovg.htm
Die Spitzen der EU streben ein Freihandelsabkommen mit den USA an. Für das angestrebte Freihandelsabkommen der EU mit den USA wird nur eine minimale Ausweitung des Handelsverkehrs erwartet. Ein solches Freihandelsabkommen erfordert eine Angleichung der unterschiedlichen Rechtssysteme und Regeln. Bei fehlendem ökonomischen Vorteil kann ich hier nur den Wunsch nach weiterer neoliberaler Ordnungspolitik erkennen.
Ich lehne die Europäische Union in ihrer derzeitigen Verfasstheit ab. Mit dem Lissabon-Vertrag, der Marktorientierung und der neoliberalen Reichtumsförderung (Finanzkrise) sind Bürgerrechte und Demokratie unvereinbar. Diese Politik hat die Finanzkrise gefördert und die EU in die Eurokrise getrieben, die die Existenz der EU in Frage stellt.
Bürgerrechte und Demokratie haben nur in einer anderen Europäischen Union eine Zukunft - und zu diesen Bürgerrechten zählt auch der Datenschutz.
Dafür setze ich mich aktiv in und außerhalb des Europäischen Parlaments ein.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Wils