Frage an Sabine Sütterlin-Waack von Marco U.
Hallo Frau Dr. Sütterlin-Waack,
Welche Gründe gibt es für Ihre Abstimmung für CETA, obwohl ein Großteil der Bevölkerung dagegen ist?
Lieben Dank für eine Antwort.
Sehr geehrter Herr Ulbricht,
mit Umfragen ist das bekanntlich so eine Sache. Ich bin mir bewusst, dass viele Bürger in Deutschland und auch in meinem Wahlkreis CETA ablehnen, weil sie das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada als Gefahr für demokratische, selbstbewusste Entscheidungen der nationalen Parlamente, für Verbraucherschutz- und Umweltstandards, für den Arbeitsschutz oder zum Beispiel die öffentliche Daseinsvorsorge betrachten. Diese Sorgen sind nicht unbegründet und deshalb wurden und werden sie auch weiter öffentlich diskutiert – auf europäischer Ebene und selbstverständlich auch im Deutschen Bundestag.
Doch nochmals zurück zu den Umfragen. Nach der zeitweisen Blockade der geplanten Unterzeichnung des Freihandelsabkommens CETA zwischen der EU und Kanada durch das Regionalparlament Walloniens sprechen sich laut ZDF Politbarometer vom 28. Oktober 58 Prozent aller Befragten dafür aus, dass wichtige Entscheidungen der EU auch mit einer deutlichen Mehrheit der Mitgliedstaaten getroffen werden sollten. Nur 36 Prozent wollen, dass eine Einstimmigkeit erzielt werden muss. Direkt zu CETA befragt, hat fast die Hälfte der Befragten (46 Prozent) gar keine Meinung zum geplanten Abkommen. Für 20 Prozent überwiegen die Vorteile des Handelsabkommens, 22 Prozent befürchten eher Nachteile.
Ich möchte damit aufzeigen: Es gibt keine klare Position in der Bevölkerung zu CETA und auch die öffentliche Meinung darüber, inwieweit die Mitgliedstaaten Einfluss auf die EU-Handelspolitik ausüben sollten, unterliegt beträchtlichen Schwankungen.
Ich bin der Meinung, und das habe ich auch durch meine Zustimmung zum Antrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD „CETA – für freien und fairen Handel“ zum Ausdruck gebracht, dass die Menschen in der EU, in Deutschland und in Kanada von einem gut verhandelten Abkommen profitieren.
Die Unterzeichnung des Abkommens durch die Spitzenvertreter der EU und Kanada am 30. Oktober 2016 bedeutet indes nicht, dass das Abkommen nun in Kraft getreten ist.
CETA ist ein sogenanntes gemischtes Abkommen, d.h. dass Teile des CETA-Abkommens unter die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen und deshalb auch die nationalen Parlamente dem Abkommen zustimmen müssen. Weil CETA ein gemischtes Abkommen ist, entscheiden die Mitgliedstaaten im EU-Rat der Staats- und Regierungschefs auch über die vorläufige Anwendung von CETA. Vorläufige Anwendung sollen dann all jene Bereiche in CETA finden, die in alleiniger EU-Zuständigkeit liegen. Dazu gehören Vereinbarungen zum Zollabbau und zur öffentlichen Auftragsvergabe. Der Deutsche Bundestag setzt sich dafür ein, größtmögliche Transparenz zu schaffen, um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Die deutsche Bundesregierung sieht z.B. die Vorschriften über Investitionsschutz und Schiedsgerichtsbarkeit als Teile des Abkommens, die nicht in die vorläufige Anwendung von CETA fallen und über die die nationalen Parlamente abzustimmen haben.
Gleichwohl möchte ich daran erinnern, dass die Mitgliedstaaten der EU nicht nur aus gemeinsam geteilten kulturellen und politischen Werten eine Staatengemeinschaft gebildet haben. Die gemeinsame Handels- und Wirtschaftspolitik der Europäischen Union (festgeschrieben in Art. 206 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) und die folgerichtige Abtretung nationaler Rechte an die EU in diesem Politikbereich ist nicht nur wichtiger Pfeiler des Europäischen Hauses, sie ist auch gleichzeitig ihr ältester und belastbarster.
Eine vorläufige Anwendung des Abkommens tritt erst nach Zustimmung des europäischen Parlaments ein, auch sie ist also demokratisch legitimiert. Das EU-Parlament befasst sich in den nächsten Monaten mit den Teilen des Abkommens, die vorläufig Anwendung finden sollen. Eine Abstimmung wird für Ende Dezember oder im Januar erwartet.
Nach Zustimmung des Europäischen Parlaments folgt der Ratifikationsprozess in den 28 EU-Mitgliedstaaten nach Maßgabe der jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften, d. h. in Deutschland durch Zustimmung von Bundestag und Bundesrat. Erfahrungsgemäß dauert es ungefähr zwei bis vier Jahre bis alle Mitgliedstaaten ein solches Abkommen ratifiziert haben.
Ich habe bislang im Deutschen Bundestag für CETA gestimmt, weil ich genügend Anhaltspunkte dafür sehe, dass Freihandel in der Vergangenheit zu Wohlfahrtsgewinnen in Europa und auf der Welt geführt hat und diese auch in Zukunft zu erwarten sind, wenn es gelingt, tarifäre und nicht-tarifäre Handelshemmnisse weltweit in fairer und demokratischer Weise abzubauen. Mir geht es um die Frage, was gerechtes Wachstum ist. Ziel von Wachstum war und ist es, in der westlichen Welt und besonders in Europa, mehr Wohlstand, mehr Freiheit und mehr Recht für alle und nicht nur für eine kleine Gruppe zu schaffen. Kanada zählt zu den ältesten und engsten Partnern der Europäischen Union. Wir teilen gemeinsame Werte, wir glauben an den Wohlfahrtsstaat, an Verteilungsgerechtigkeit und Solidarität, aber genauso an den freien Markt. Es gibt wenige Staaten auf der Welt, die ich mir als besser geeigneten Handelspartner vorstellen könnte. CETA dient der Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und Kanada. Zugleich ermöglicht CETA die Chance, Standards für künftige faire Freihandelsabkommen zu setzen.
Für Deutschland ist Kanada mit 9,9 Milliarden Euro Ausfuhrvolumen und 4 Milliarden Euro Einfuhrvolumen im Jahr 2015 ein wichtiger Handelspartner. CETA soll unter anderem den Marktzugang für Waren, landwirtschaftliche Produkte und Dienstleistungen beiderseits des Atlantiks verbessern. CETA enthält umfangreiche Vereinbarungen über Zollabbau. Insbesondere für nahezu alle Industriegüter sinkt der Zoll praktisch auf null. Durch CETA wird der Marktzugang in einigen Schlüsselsektoren ermöglicht, z. B. in den Bereichen Post, Telekommunikation und für bestimmte maritime Dienstleistungen. CETA sieht zudem eine verstärkte Zusammenarbeit zur Beseitigung nicht tarifärer Handelshemmnisse vor. Gleichfalls soll der kanadische Markt für öffentliche Beschaffungen geöffnet werden.
Das heißt nicht, dass ich CETA vollkommen unkritisch sehe. Ich frage mich aber hier auch, was ein Verzicht auf CETA brächte. Ich bin der Meinung, dass der Verzicht des öffentlich stark kritisierten Investitionsschutzkapitels negative Auswirkungen hätte. Die von der Bundesregierung eingebrachten Reformvorschläge haben zu einem nachverhandelten Investitionsschutzkapitel in CETA geführt, das bislang die besten Regeln der weltweit mehr als 3000 bilateralen Investitionsabkommen aufweist. Der dadurch eingeschlagene Weg zu einem öffentlichen Handelsgerichtshof ist aus europäischer Sicht unumkehrbar und muss auch bei künftigen Handelsabkommen verfolgt werden. Es wurde eine Berufsinstanz ermöglicht und ein wichtiger Schritt in Richtung Gewährung ständiger, unabhängiger Richter gemacht. Zudem haben sich EU und Kanada gegenseitig verpflichtet, einen multilateralen internationalen Gerichtshof zu schaffen. Aufgrund der vielen bilateralen Investitionsabkommen ist es unrealistisch zu erwarten, dass dies von heute auf morgen geschaffen werden könnte. CETA ist deswegen eine Verbesserung hin zu transparenteren Verfahren. Ein Verzicht würde den Rückfall auf den Status quo verschiedener europäischer bilateraler Abkommen mit Kanada mit jeweils niedrigerer Verfahrensqualität bedeuten.
Auch sehe ich keine Verbesserung im Hinblick auf Standards und die vielfach kritisierte Regulierungskooperation im Falle eines Scheiterns von CETA. Bei den Standards wirken nämlich schon jetzt die Regeln aus den Vorläuferabkommen, wie z.B. dem Veterinärabkommen. Dort wurde über sog. Positivlisten definiert, welche Standards als gleichwertig angesehen werden. Ausgangspukt ist, dass die Regelungen des Importlandes gelten. Es sei denn, man definiert etwas anderes. Die EU-Staaten können damit beispielsweise weiterhin den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen verbieten. CETA entspricht genau dem Verfahren, das schon bei allen Vorläuferabkommen genutzt wurde.
Präzisierungen waren und sind immer noch nötig im Bereich Arbeitnehmerrechte. Es ist begrüßenswert, dass EU und Kanada ein klares Bekenntnis zum Schutz der Arbeitnehmerrechte abgegeben haben und die Verpflichtung eingegangen sind, Anstrengungen zur Ratifizierung und Umsetzung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu unternehmen.
Auch Präzisierungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge sind vonnöten. Der Schutz der öffentlichen Daseinsvorsorge hat höchste Bedeutung. Die allgemeine Schutzregel in CETA (sog. „Public utilities“- Vorbehalt) sowie weitere weitreichende spezielle Schutzstandards, etwa für Bereiche wie Wasserversorgung, Bildung, Kultur, Gesundheit oder soziale Dienstleistungen einschließlich der freien Wohlfahrtsverbände tragen dem Rechnung. CETA darf Kommunen und deren Spielräume bei der Organisation der Daseinsvorsorge nicht einschränken. Im weiteren Ratifikationsprozess muss auch sichergestellt werden, dass auch in Zukunft kein Druck in Richtung Liberalisierung von Dienstleistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge ausgeübt werden darf. Hohe Umwelt- und Verbraucherstandards müssen gewährleistet bleiben. Das im europäischen Primärrecht verankerte Vorsorgeprinzip bleibt von CETA unberührt. Dies muss unmissverständlich klargestellt werden.
CETA rüttelt nicht an der Entscheidungshoheit der nationalen Parlamente. Die bereits erwähnte regulatorische Kooperation darf nur freiwillig und ohne verbindliche Wirkung für die Gesetzgebungskompetenz der EU und der Mitgliedstaaten erfolgen.
Meine Zustimmung zur Ratifikation des Abkommens mache ich von den Fortschritten in den von mir soeben skizzierten Punkten und deren Nachbesserung abhängig.
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Sütterlin-Waack