Frage an Rüdiger Kruse von Klaus-Peter S. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Kruse,
die Zahl der EU-Skeptiker in allen Mitgliedsländern wächst weiter. Die EU lernt offenbar nicht dazu ,die mehrheitliche Interessenlage der Bürger ernst zunehmen und zu berücksichtigen! Es erstaunt schon, dass die wachsende Kritik und Ablehnung der Menschen bei so vielen Politikern zu Unverständnis führt. Es fehlt offenbar an Selbstkritik. Nun treffen aber viele Beschlüsse der EU bei den Bürgern auf absolutes Unverständnis und Widerstand!
Zu einem ganz aktuellen Beispiel:
Die EU-Kommission will die Europa-Zulassung des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat verlängern (zunächst um 18 Monate), bevor zuverlässig und eindeutig geklärt ist, ob Glyphosat krebserregend ist oder nicht! Mögliche weitere gesundheitliche Schädigungen werden dabei weiterhin billigend in Kauf genommen! Teilen Sie auch diese Vorgehensweise?
Gegen die weitere Zulassung des Pflanzengifts Glyphosat sprechen sich
83 Prozent der Bundesbürger aus ( Umfrage Forsa- Institut). Kann die EU bei einer derartigen Vorgehensweise auf mehr Zustimmung hoffen? Ist es hinnehmbar, dass wirtschaftliche Interessen des Herstellers Vorrang vor möglichen Gesundheitsschäden der Bürger haben? Wäre es nicht erforderlich gewesen zunächst eine eindeutige Unbedenklichkeit von Glyphosat nachzuweisen, bevor dieser Unkrautvernichter weiterhin verwendet werden darf? Ist der Brexit bei dieser Vorgehensweise aus Ihrer Sicht der letzte Exit? Besser nicht die Bürger fragen?
Mit freundlichem Gruß
Klaus-Peter Steinberg
Sehr geehrter Herr Steinberg,
vielen Dank für Ihre Frage bei abgeordnetenwatch zur Europäischen Union (EU), dem Referendum zu einem Austritt Großbritanniens aus der EU und der befristeten Verlängerung der Zulassung von Glyphosat.
Die Briten haben sich in einem Referendum für einen Austritt ihres Landes aus der EU ausgesprochen. Dieses Votum gilt es zu akzeptieren. Ich gehe davon aus, dass die britische Regierung diesen Beschluss umsetzen wird. Allerdings ist das Ergebnis des Referendums nicht rechtsverbindlich. Zuerst muss die Regierung einen förmlichen Austrittsbeschluss fassen, an dem das britische Parlament beteiligt sein wird. Ist dieser Beschluss gefasst, teilt das Land diesen dem Europäischen Rat nach Artikel 50, Abs. 2 des EU-Vertrags mit. Wann Großbritannien diesen Antrag stellt, bleibt dem Land überlassen. Dieses Verfahren beginnt mit dem Antrag des Landes und wird zwei Jahre dauern – eine Verlängerung dieser Frist kann der Europäische Rat einstimmig beschließen. Solange die Austrittsverhandlungen laufen bleibt Großbritannien Mitglied der EU, mit allen Rechten und Pflichten. Klar ist, dass es, wie es die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung im Deutschen Bundestag am 28. Juni 2016 nannte, keine „Rosinenpickerei“ geben wird. Nur Rechte, wie den freien Binnenmarkt, in Anspruch zu nehmen und gleichzeitig keine Pflichten, wie die europäische Freizügigkeit, zu akzeptieren, wird es für Großbritannien nicht geben. Hinterfragt man die Motive vieler Befürworter des so genannten Brexit, dann wird die Problematik solcher Referenden deutlich. Die direkte Demokratie kennt kein Abwägen, kein Aushandeln von Kompromissen. Es war nur ein „Ja“ oder ein „Nein“ zum Brexit möglich. Die Zustimmung zum Brexit als ein Zurück zu einer undefinierten, aber vermeintlichen besseren Vergangenheit, als Großbritannien noch eine Weltmacht war, wurde von der Mehrheit der Briten gewählt. Ich vertrete die Ansicht, dass ein simples „Ja“ oder ein „Nein“ vielen Fragestellungen nicht gerecht wird. Unsere Demokratie und unsere Gesellschaft verlangen das Sammeln von Informationen, das Abwägen unterschiedlicher Standpunkte, das Debattieren mit anderen und am Ende das Fällen einer Entscheidung. Die vermeintlich einfachen Antworten, die manche anbieten, sind häufig keine Lösung.
Ein Sachverhalt, der genau dieses Dilemma aufzeigt, ist die öffentliche Rezeption des von Ihnen angesprochenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat. Um einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte zu leisten, finden Sie im Weiteren eine Darstellung, wie es zu der Entscheidung der EU-Kommission kam. Die Ausführungen richten sich nach einer Publikation des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
Der Wirkstoff Glyphosat wird im Pflanzenschutz seit 1974 angewandt und in vielen Pflanzenschutzmitteln verwendet. Es wird in der europäischen Landwirtschaft benutzt, um Unkräuter vor oder nach dem Anbau von Feldfrüchten zu bekämpfen. In Deutschland wird es auf knapp 40% der Ackerflächen eingesetzt. Für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln gilt in der EU ein zweistufiges Verfahren, so auch für den Wirkstoff Glyphosat. Der Wirkstoff wird in einem Gemeinschaftsverfahren geprüft und – wenn er die Anforderungen erfüllt – auf EU-Ebene zur Verwendung in Pflanzenschutzmitteln genehmigt. Danach benötigt jedes einzelne Handelsprodukt eine Zulassung, die von den Mitgliedstaaten erteilt wird. Sowohl die Wirkstoffgenehmigungen als auch die Zulassungen der Handelsprodukte sind zeitlich befristet. Nach der Frist müssen Wirkstoffgenehmigung und Zulassung erneut nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik beantragt und geprüft werden. Dieses System gewährleistet, dass Zulassungen stets dem aktuellen Wissensstand entsprechen. Die Genehmigung für Gylphosat auf EU-Ebene endete im Dezember 2015. Sie wurde von den zuständigen Gremien bis Ende Juni 2016 auf europäischer Ebene verlängert. Dies wurde notwendig, um die derzeit laufende erneute Prüfung des Wirkstoffs Glyphosat nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik abzuschließen.
Zuvor gab es umfangreiche Prüfverfahren zu dem Wirkstoff Glyphosat. In einem öffentlichen Fachgespräch des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft des Deutschen Bundestages erläuterten Experten der deutschen Zulassungsbehörde BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) und von drei Bewertungsinstituten (dem Bundesinstitut für Risikobewertung, dem Julius Kühn-Institut und dem Umweltbundesamt) die Ergebnisse der Bewertung des Wirkstoffs. Für diese Bewertung zogen die genannten Institutionen mehr als 1.000 Studien alleine zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Glyphosat heran und betrachteten diese wissenschaftlich. Dabei wurde bestätigt, dass bei sachgerechter Anwendung von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier zu erwarten seien. Aus Sicht der zuständigen Behörden bestünden daher keine Bedenken gegen eine Genehmigung von Glyphosat für die beantragten Anwendungen. Der Bericht wurde an die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) übermittelt. In einem Prüfverfahren haben Wissenschaftler aus den Behörden der Mitgliedstaaten und der EFSA den Bericht abermals kritisch geprüft. Darüber hinaus wurde im Rahmen einer öffentlichen Konsultation bei der EFSA jedermann die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben. Auf der Basis der Anmerkungen aus beiden Konsultationsverfahren hat die EFSA in Abstimmung mit dem BVL und den deutschen Bewertungsbehörden Daten von dem Industriekonsortium, das die Wirkstoff-Erneuerung beantragt hatte, nachgefordert. Diese Nachlieferung umfasste ca. 700 Dokumente. Damit diese Unterlagen gründlich begutachtet werden konnten, hatte die Europäische Kommission die Frist für die Bewertung verlängert. Im März 2015 fanden hierzu Expertengespräche bei der EFSA statt. Die EFSA hat Anfang November 2015 die Ergebnisse in Form eines Gutachtens, der sogenannten Schlussfolgerung, zusammengefasst, zu dem die zuständigen Behörden aller EU-Mitgliedstaaten konsultiert wurden.
In ihrem Prüfverfahren, das mit der oben genannten Schlussfolgerung endete, bestätige die EFSA, als zuständige Behörde, den Bewertungsbericht des Berichterstatters Deutschland und stellte fest, dass die Voraussetzungen für eine Wiedergenehmigung des Wirkstoffs vorliegen. Die so genannte Schlussfolgerung der EFSA wurde zusammen mit dem deutschen Bewertungsbericht der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt (http://www.efsa.europa.eu). Abermals geprüft wurde diese Schlussfolgerung von dem gemeinsamen Ausschuss für Pflanzenschutzmittel-Rückstände (JMPR) der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) sowie der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Dieser gemeinsame Ausschuss befasste sich in seiner Sitzung vom 9. bis zum 13. Mai 2016 unter anderem mit dem Wirkstoff Glyphosat. Das Expertengremium kam zu dem Schluss, dass bei bestimmungsgemäßer Anwendung von Glyphosat keine krebserzeugende oder keimzell-schädigende Wirkung ausgehe. Es sei auch kein gesundheitliches Risiko aus den zulässigen Glyphosat-Rückständen in Lebensmitteln zu erwarten. Die WHO und die FAO bestätigen damit grundsätzlich die Schlussfolgerungen der EFSA.
Die Schlussfolgerung der EFSA und der Bericht Deutschlands bildeten die Entscheidungsgrundlage für die Europäische Kommission, die einen Verordnungsentwurf vorlegte. Dieser wurde im zuständigen Ständigen Ausschuss (SCoPAFF) der Europäischen Kommission in Brüssel ohne Ergebnis erörtert. Daraufhin hat die EU-Kommission, nicht zuletzt weil die Antragsteller einen Anspruch auf eine Entscheidung über den Wirkstoff haben, eine Verlängerung der geltenden Genehmigung bis längstens Dezember 2017 vorgeschlagen. Diesem Kompromissvorschlag stimmte der zuständige Ständige Ausschuss am 6. Juni 2016 nicht zu. Die EU-Kommission lud deshalb die Mitgliedstaaten für den 24. Juni 2016 zu einer Sitzung des Berufungsausschusses ein. Auch hier wurde die erforderliche Mehrheit für eine Verlängerung nicht erreicht. Darauf hin hat die EU-Kommission am 29. Juni 2016 mitgeteilt, dass die Genehmigung von Glyphosat befristet verlängert werde. Die Verlängerung erfolgt für den Zeitraum bis „sechs Monate nach Eingang der Stellungnahme des Ausschusses für Risikobewertung der Europäischen Chemikalien-Agentur oder bis zum 31. Dezember 2017, je nachdem, welcher Fall früher eintritt.“
Die Realität der zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen, sowie der mehrfachen und vielstufigen Konsultationen, findet gegen das klar skizzierte „Feindbild Glyphosat“ und der eingängigen Parolen „Der Kampf gegen Glyphosat – Giftrückstände in unserem Essen“, wie es z. B. von großen Umweltlobbyverbänden propagiert wird, kein Gehör. Ich kann nur dazu aufrufen, sich mit solchen und andern Fragestellungen auseinanderzusetzen und darüber sachlich zu diskutieren – unter Abwägung der Folgen eines Verbotes.
Beste Grüße
Rüdiger Kruse