Frage an Rüdiger Kruse von Laura F. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Kruse,
Die syrische humanitäre Krise hat so massive Ausmaße erreicht, dass die Zahlen von Tod und Vertreibung – 160,000 und 9 Mio. – nur schwer vorstellbar sind. Noch schwieriger ist es, die nötige internationale Unterstützung zu gewinnen, um dieser Krise angemessen zu begegnen.
Vielleicht hilft dieser Vergleich: Wenn Deutschland Syrien wäre, wäre die gesamte Bevölkerung von Leverkusen heute tot. Die Einwohner von Berlin, München, Frankfurt, Dortmund und Würzburg hätten alle (!) ihre Häuser verlassen und wären aus ihrer Heimat geflohen. Jedes Kind unter 7 Jahren hätte sein Zuhause verloren. Ich würde auf entschlossenere Hilfe von der internationalen Gemeinschaft hoffen, als es momentan bei Syrien der Fall ist.
Als deutsche Bürgerin möchte ich, dass unser Land (auch weiterhin) seine humanitären Verpflichtungen erfüllt: Erstens eine angemessene Hilfe für alle von der syrischen Flüchtlingskrise Betroffenen sicherzustellen, einschließlich der Bevölkerung der benachbarten Gastländer, und zweitens die Öffnung unserer Grenzen für weit mehr syrische Flüchtlinge zu veranlassen. Deutschland sollte auch anderen wohlhabenden Nationen ermutigen, das gleiche zu tun.
Der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge hat in diesem Jahr 1,1 Milliarden US-Dollar für die Hilfe für syrische Flüchtlinge erhalten; das ist nur 27% der Mittel, die er als das absolute Minimum identifiziert hat, um die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Deutschland ist international führend bei der Aufnahme von Flüchtlingen, aber es muss noch mehr getan werden.
Wenn Sie, sehr geehrter Herr Kruse, syrisch wären, würden Sie nicht auch mehr erwarten?
Mit freundlichen Grüßen,
Laura Fischer
Sehr geehrte Frau Fischer,
vielen Dank für Ihre Frage bei abgeordnetenwatch zu dem Konflikt in Syrien und der damit verbundenen humanitären Situation.
Die von Ihnen geschilderten Zahlen, die von dem Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge genannt wurden, zeigen die Dramatik der Situation in Syrien, die bereits seit mehreren Jahren anhält. Inzwischen hat sich der Konflikt auf die gesamte Region ausgeweitet. Mehr und mehr Zivilisten im Nahen Osten sind von dem Konflikt betroffen.
Die deutsche Hilfe für die betroffenen Syrer besteht aus mehreren Säulen. Zum einen wird Unterstützung direkt vor Ort geleistet. Seit 2012 hat Deutschland rund 520 Millionen Euro bereitgestellt, um das Leid der Menschen zu lindern. Davon wurden 290 Millionen Euro für humanitäre Hilfe aufgewendet. 164 Millionen wurden in so genannte strukturbildende Übergangshilfe investiert, 66 Millionen Euro für Krisenbewältigung. Das Technische Hilfswerk ist in der Region vor Ort und gewährleistet in vielen Flüchtlingslagern die Versorgung mit sauberem Wasser. Zum anderen leistet Deutschland, was die Aufnahme von syrischen Flüchtlingen betrifft, bereits viel. Im Mai 2013 beschloss die Bundesregierung die Aufnahme von 5.000 syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen. Diese Zahl wurde im Dezember 2013 auf 10.000 Personen verdoppelt. Zudem haben die Bundesländer seit Herbst 2013 eigene Sonderprogramme gestartet und weiteren 5.500 Syrern die Einreise nach Deutschland ermöglicht. Auf ihrer Frühjahrstagung am 12. Juni 2014 haben sich der Bundesinnenminister und die Innenminister der Länder darauf geeinigt, weitere 10.000 Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Laut Daten des Bundesinnenministeriums sind nahezu 40.000 syrische Staatsbürger seit dem Beginn des Konflikts nach Deutschland eingereist. Jeden Monat stellen ca. 1.700 Syrer Asylanträge in Deutschland. 70.000 syrische Staatsangehörige leben derzeit in unserem Land. Dieses Engagement unseres Landes bewerte ich ausgesprochen positiv. Bei Konflikten, die für Flüchtlingsströme sorgen, werden wir auch weiterhin unserer Pflicht nachkommen und Menschen eine sichere Heimat bieten. Damit ist Deutschland innerhalb Europas der Vorreiter, was die Aufnahme syrischer Flüchtlinge betrifft. Dies betrifft übrigens auch die Gesamtzahl der Asylanträge in der EU. Unser Land nimmt innerhalb der EU mit Abstand die meisten Asylbewerber auf. Für das gesamte Jahr 2014 rechnen Experten mit rund 200.000 Asylanträgen. Deutschland kann hohe Zahlen an Flüchtlingen aufnehmen. Allerdings müssen auch die anderen EU-Staaten ihren Beitrag leisten. Dies zeigt sich gerade in der aktuellen Situation. Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier haben dies deutlich gemacht. In einem Brief an die anderen EU-Staaten fordern sie mehr Engagement bei der Bewältigung der Flüchtlingsproblematik. Dafür setzt sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene ein. Damit erfüllt Deutschland die von Ihnen angesprochenen Punkte: Hilfe vor Ort und in der gesamten Region, die Aufnahme vieler Flüchtlinge und die Aufforderung an unsere Nachbarstaaten, diesem Beispiel zu folgen.
Mit der Aufnahme von syrischen Flüchtlingen und der Unterstützung vor Ort lindern wir die Symptome des Konflikts. Meiner Meinung nach ist jedoch eine Bekämpfung der Ursachen notwendig und wirkungsvoller. Die Menschen fliehen vor dem Bürgerkrieg in Syrien. Ziel deutscher Politik muss es sein, diesen Konflikt zu beenden. Dies kann nur durch internationale Zusammenarbeit geschehen. Auf diplomatischem Wege muss sich die Bundesregierung für eine friedliche Lösung einsetzen. Deutschland kann, da es in der Region keine eigenen Interessen besitzt, als neutraler Vermittler auftreten. Die beteiligten Seiten in Syrien müssen zu Verhandlungen zurückkehren. Dazu sind stärkere Signale der Staatengemeinschaft notwendig, als dies bisher der Fall war. Ziel muss es sein, dass die Syrer die Möglichkeit haben, friedlich in ihrer Heimat zu leben. Dafür setzt sich die Bundesregierung, neben der Linderung des akuten Leids, ein.
Sehr dankbar bin ich über die vielen privaten Hilfsleistungen, die sowohl Menschen vor Ort als auch den Flüchtlingen in Deutschland zu Gute kommen. Diese Leistungen sind in der obigen Aufstellung gar nicht enthalten, stellen aber einen wichtigen und menschlich sehr wertvollen Beitrag dar.
Beste Grüße
Rüdiger Kruse