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Frage von Stefan C. •

Frage an Rolf Kramer von Stefan C. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kramer,

wie lässt sich eigentlich der in den Parlamenten immer wieder ausgeübte Fraktionszwang mit dem Artikel 38 des Grundgesetzes vereinbaren?
Dieser Artikel unterscheidet nicht zwischen Gewissensfragen und sonstigen, sondern setzt generell für alle Entscheidungen ausschließlich das eigene Gewissen als Kontrollinstanz ein..

Solange der einzelne Abgeordnete sich unterordnet, kann er natürlich argumentieren, es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren zu können, nicht mit der Fraktion oder Partei o.ä. zu stimmen. Aber was wäre, wenn er es nicht täte und dafür sanktioniert würde? Ware es nicht spätestens dann ein Verstoß gegen die Verfassung?

Darüber hinaus möchte ich gern wissen, ob Sie denken, dass dieses Instrument in einer modernen Demokratie nicht bald abgeschafft werden sollte, wo es doch dazu geeignet ist, eigentlich nicht mehrheitsfähige Gesetze durchzusetzen, und andersherum, mehrheitsfähige Gesetze zu verhindern.

Ich bin sehr gespannt auf Ihre Antworten.

Mit freundlichen Grüßen

Stefan Cordes

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Cordes,

vielen Dank für Ihre Frage vom 1. April 2009. Hier ist meine Antwort:

In der Tat widerspräche die Ausübung eines Fraktionszwanges auf einen Abgeordneten - d.h. die Nichtberücksichtigung bei der Vergabe von Parlamentsämtern oder die Androhung des Fraktionssausschlusses, um eine Abstimmung im Sinne der Fraktion zu erreichen - dem Grundsatz des freien Mandats und damit unserem Grundgesetz. Hier heißt es in dem von Ihnen bereits benannten Art. 38 Abs. 1 GG: "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen." Genau aus dieser Begründung existiert auch keine Form des Fraktionszwangs in Deutschland.

In der öffentlichen Debatte wird jedoch häufig zu Unrecht die Fraktionsdisziplin mit einem Fraktionszwang gleichgesetzt. Fraktionsdisziplin bedeutet für mich die weitgehende Einhaltung von Mehrheitsbeschlüssen innerhalb der Fraktion, die auf einem geordneten Abstimmungsverfahren beruhen. Die getroffenen Beschlüsse sind häufig das Ergebnis intensiver und mühsamer Verhandlungen innerhalb der Fraktion und/oder mit dem jeweiligen Koalitionspartner, an deren Ende ein Kompromiss steht. Auch wenn der einzelne Abgeordnete sich vielleicht nicht mit allen Details eines solchen Kompromisses identifizieren kann, so ist es dennoch notwendig, dass er von der Mehrheit mitgetragen wird, weil sonst die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit einer Regierung nicht gewährleistet werden kann.

Dieses ändert aber nichts daran, dass jeder Abgeordnete grundsätzlich frei in seinen Entscheidungen und eben weder an einen Zwang seitens der Fraktion noch an Weisungen aus seinem Wahlkreis gebunden ist. Die Tatsache, dass es bei vielen Abstimmungen Abgeordnete gibt, die nicht im Sinne ihrer Fraktion abstimmen, belegt dieses nochmals zusätzlich.

Eine von Ihnen in der Frage aufgeworfene Sanktionierung von Abgeordneten, die sich bei Abstimmungen der Fraktionsdisziplin entziehen, ist meiner Ansicht nach nicht mit dem Art. 38 Abs. 1 GG vereinbar.

Mit freundlichen Grüßen
Rolf Kramer