Richard Fischer
SPD
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Frage von Elke C. •

Frage an Richard Fischer von Elke C. bezüglich Bildung und Erziehung

Lieber Richard,

da ich selbst eine betroffene Mutter bin, möchte ich Dich fragen, inwieweit das Thema des doppelten Abiturjahrgangs 2011 aktuell ist. 2011 werden voraussichtlich 60.000 Abiturienten in Bayern auf den Studien- bzw. Arbeitsmarkt drängen - doppelt so viele wie bisher. Das sind nur noch drei Jahre. Bis jetzt ist noch nicht einmal klar, wann das Abitur 2011 in der G9 geschrieben wird: Ist es Januar oder vielleicht doch erst der März 2011?
Was kann man dem Kultusministerium entgegenhalten? Wie sollen diese Abiturienten des G9 und des G8 einen Studienplatz "ergattern" bzw. einen Lehrplatz? Und was wird dann aus den Realschülern, gar nicht zu sprechen von den Hauptschülern? Die CSU hat es nicht geschafft, die G8 und G9 als Konzept vernünftig zu organisieren. Wir brauchen schnellstmöglich einen Weg aus dem angerichteten Chaos!

Antwort von
SPD

Liebe Elke,

entschuldige bitte, dass die Beantwortung Deiner Frage etwas länger gedauert hat.

2011 schätzt man die Zahl der Abiturienten sogar auf 70000, erschwerend hinzu kommt das einfach demographische Problem der geburtenstarken Jahrgänge, so dass die Situation auf dem Ausbildungsmarkt und an den Universitäten dringend Maßnahmen erfordert.
Was hat das Kultusministerium veranlasst? Dessen Konzept sieht vor, den letzten G9-Jahrgang im Zeitraum vom 21. März bis 15. April 2011 das Abitur schreiben zu lassen, den ersten G8-Jahrgang dann vom 16. Mai bis 10. Juni 2011. Den G9-Abiturienten soll mit der Terminvorverlegung ermöglicht werden, nicht zulassungsbeschränkte Studiengänge schon im Sommersemester beginnen zu können – denn mit den Hochschulen hat man sich geeinigt, den Semesterstart vom 15. April auf den 15. Mai zu verlegen (dies und alles folgende gilt natürlich nur für die bayrischen Universitäten). Man beachte, zulassungsbeschränkte Studiengänge wurden nicht berücksichtigt, der zukünftige Medizinstudent muss sich bis zum Wintersemester gedulden und mit entsprechend hoher Konkurrenz rechnen. An dieser Stelle wäre es sinnvoll gewesen in Zusammenarbeit mit den bayrischen Universitäten auch für jene Studiengänge eine den außerordentlichen Umständen gerecht werdende Ausnahmelösung zu erarbeiten und den Studienbeginn zum Sommersemester für den letzten G9-Jahrgang ganzheitlich einzurichten. Minister Goppel möchte stattdessen die in der Warteschleife hängenden Studenten mit EDV- und Sprachkursen und Ähnlichem auffangen, um die Zeit sinnvoll zu nutzen – also eben all jenen Kompetenzkursen, die man zusätzlich zum eigentlichen Studium auch an der Uni belegen kann. Tatsächlich also vergeuden die jungen kommenden Akademiker mehr oder weniger unter dem Deckmantel der Produktivität ihre Zeit und die Maßnahmen vertuscht das eigentliche Thema, den fehlenden Studienplatz, den sie höchstens in anderen Bundesländern suchen könnten und damit Bayern als fähige Nachwuchskräfte entfliehen.
Aber nehmen wir an, dieser Jahrgang hätte doch im Sommer beginnen können, so bleibt ob kurz oder lang das eigentliche Problem bestehen: Die Universitäten in Bayern werden 2012 nicht mehr wie derzeit rund 259.000 Studenten ausbilden, sondern geschätzte 330.000. Schrittweise sollen deshalb 38.000 neue Studienplätze und 3.000 neue Stellen an den Universitäten geschaffen werden, was sich nicht schlecht anhört. Allerdings sollen die neuen Stellen an den Hochschulen in der Hauptsache durch Verlagerung entstehen, sprich durch Gymnasiallehrer, die eben wechseln. Obgleich dies relativ wenig Geld kosten wird, so ist die Maßnahme doch unverständlich: Die Ausbildung eines Lehrers unterscheidet sich in den meisten Studiengängen erheblich von derjenigen eines Studenten, der ein Fach ausschließlich studiert (und auch eben weil ein Lehramtsstudent zwei Fächer zugleich studiert, daher allein zeitlich den Umfang des Studenten, der nur ein Fach studiert, nicht leisten kann). Gymnasiallehrer werden für die Vermittelung ihres Stoffs am Gymnasium ausgebildet, haben dort entsprechende Praxis und Kompetenz. Von einem Universitätsdozenten hingegen wird seit Humboldt die Gleichzeitigkeit von Forschung und Lehre verlangt – und obgleich einige Lehrer sich am wissenschaftlichen Diskurs beteiligen mögen, so trifft dies für die Majorität der Gymnasiallehrer sicherlich nicht zu.
Minister Goppel formulierte sogar eine Aufforderung an Lehrer zu promovieren und an die Universität zu wechseln – damit stößt er bisher aber auf wenig Gegenliebe.
Die einzige Möglichkeit bleibt, gezielt wissenschaftlichen Nachwuchs auszubilden und an die Hochschulen zu binden. Hier sollen sie sich beweisen und durchsetzen, um ein hohes Niveau der Lehre zu garantieren. Durch eine Notlösung die Universität auch personell wieder an die Schule anzupassen ist unter keinen Umständen akzeptabel und wird überdies den internationaler werdenden Anforderungen an einen exzellenten Ausbildungsstand unserer Studenten nicht gerecht.
Wie es im Bereich der Lehrstellen aussieht, ist schwer zu beurteilen, weil man bisher noch nicht absehen kann, ob Unternehmen ihre Einstellungstermine für Auszubildende überhaupt vorziehen. Hier bedarf es eines konstruktiven Dialoges mit Industrie- und Handelsverbänden, um entsprechende Maßnahmen vorzubereiten. Im langjährigen Mittel beginnen durchschnittlich 10 % aller Hochschulzugangsberechtigten in Bayern eine duale Ausbildung, entsprechend werden es 7.000 im Jahr 2011, vorausgesetzt, die obige Schätzung trifft zu. Tatsächlich sollen auch die Zahlen der Absolventen der Real- und Hauptschule sinken. Oder die Zahlen steigen wieder, weil viele Schüler dem Druck im neuen G8 nicht standhalten können und deshalb auf andere Schulformen wechseln. Speziell beim letzten G9-Jahrgang ist die Gefahr groß bei einmaligem Sitzen bleiben den Anschluss nicht mehr bewältigen zu können. Für diesen letzen, benachteiligten Jahrgang ist eine besondere Maßnahme notwendig. Vorstellbar wäre eine außerordentliche Nachführklasse für diese Schüler, so dass die vorhandene Ungleichbehandlung zu einem sanften Übergang ausgeglichen wird.
Die in jedem Fall etwas System- und Konzeptlose wirkende Handlungsweise des Ministeriums, das mit entschiedener Unentschlossenheit einzugreifen versucht, bedarf dringend der Verbesserung.