Frage an Rainer Merkel von Dietmar B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Lieber Herr Merkel,
vielleicht können Sie mir meine Frage beantworten. Durch die Verpflichtung von Hartz IV Empfängern, jede Arbeit zu jedem Lohn annehmen zu müssen, ist die Vertragsfreiheit einseitig aufgehoben. Wäre nicht alleine schon deshalb ein Mindestlohn zwingend notwendig um die gesetzgeberische Auslegung der Grundrechte des Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG, im Sinne des Grundgesetzes zu gestalten ?
Eine zweite Frage. Eine Ehe ist m.E. juristisch gesehen eine gegenseitige Willenserklärung für die jeweils andere Person Sorge tragen zu wollen. Bei den sog. Bedarfsgemeinschaften wird ein solcher Wille von Staats wegen vermutet. Selbst eine gegenteilige eidesstattliche Versicherung des Betroffenen hat dabei weniger Gewicht, wie die Vermutung des Willens durch den Staat. Wie ist dies in einem demokratischen Rechtsstaat zu erklären ?
Schöne Grüße aus Wiesbaden
Dietmar Brach
lieber Herr Brach,
schön, etwas aus dem wunderschönen Wiesbaden zu hören. Doch leider muss ich Ihnen sagen, daß ich weder Verfassungsrechtler noch -allgemein- Jurist bin. Ich kann Ihnen also "nur" als politisch denkender Mensch unter Ausnutzung des gesunden Menschenverstands antworten.
zu 1.) ich habe mich mit einigen Kollegen ausgetauscht um Ihre Frage umfassend beantworten zu können Ein Teil meiner Gesprächspartner war der Meinung, Sie reden von GG Art. 12.1 und nicht 14.1. Ich finde, beides macht Sinn. Grundsätzlich bin ich der Meinung, wenn sich Artikel aus dem SGB II mit dem Grundgesetz beissen würden wäre eine gerichtliche Klärung bereits erfolgt. Ich habe gelernt, daß Entscheidungen vor dem Bundesverfassungsgericht frühestens in 3-4 Jahren (von heute an - wenn alle Vorinstanzen durchlaufen sind) zu erwarten sind.
Also nun zu Art. 2.1 GG:
Recht auf freie Persönlichkeitsentfaltung - haben Sie einmal die Frage unter Berücksichtigung des Artikel 20.1 GG (..ist ein sozialer Bundesstaat) gestellt ? Wie passt der Zwang zur Arbeitsaufnahme "um jeden Preis" mit dem Begriff "Sozialstaat" zusammen?? Natürlich werden jetzt viele aufheulen und sagen "wer Leistungen von uns (der Gesellschaft) bekommt muss der Gesellschaft auch etwas zurückgeben..." und "natürlich kann sich jeder frei entfalten nur von uns darf er dann nichts erwarten...." Das ist unsozial und zynisch. Es erinnert mich an Aussagen von ARGE-Mitarbeitern "nein Sie müssen ihre Wohnung nicht aufgeben - wir bezahlen Ihnen nur noch einen gewissen Anteil Ihrer Kosten.." (zu Hartz-IV - Empfängern). Also sollte als erstes der Artikel 2.1 GG um den Zusatz erweitert werden "... oder der Allgemeinheit auf der Tasche liegt").
Art. 2.1 und Art 12.1 (freie Berufswahl): wir wissen beide, daß das GG durch den § 10 des SGB II ausgehebelt ist. Die freie Berufswahl existiert in diesem Fall ja nicht mehr. Wir wissen aber auch beide, daß das GG sozusagen "unser höchstes Gut" ist und eigentlich von keinem popeligen Bundes- gesetz "überstimmt" werden kann. Aber dieser Konflikt lässt sich natürlich nicht durch den Min- destlohn lösen.
Art 2.1 und Art 14.1 (Eigentum ..wird gewährleistet): hört sich bestechend an, daß durch den Mindestlohn dem Grundgesetz in diesem Bereich genüge geleistet wird. Ich fürchte nur, daß das GG von ganz anderem Eigentum redet - kein Eigentum, das in man in ein paar Jahren mit 8,5 Euro / Std erwerben kann. Das Eigentum, von dem hier geredet wird sind die Vermögen der Familien Quand, Krupp etc - vielleicht auch Tante Annas Häuschen - aber an die "Minijobber" und "geringfügig-Eigentümer" haben die Väter des GG sicher nicht gedacht. Der Mindestlohn sichert das Überleben - mehr nicht! Falls ein juristischer Ansatz in dieser Frage möglich ist wird er sicher von DEN LINKEN weiter verfolgt.
zu 2.) Ich kann es nicht ! Ich kann Ihnen nicht erklären wie die Menschen ticken, die solche Gesetze machen - wie die Menschen ticken, die diese Gesetze umsetzen und welchen Anreiz Menschen haben, die Kühlschränke und die Zahlbürsten ihrer Mitmenschen zu kontrollieren. (Falls Sie den Bezug zu Ihrer Frage vermissen: "der Staat sind wir"). Ich weiss nicht wer bestimmen darf, dass irgendwer für jemand sorgen muss - außer demjenigen, der die Verpflichtung eingeht. Diese Verpflichtung entspringt dem SGB II - SOZIALgesetzbuch. Lassen Sie mich 2 Worte über den Begriff "sozial" verlieren (den Begriff haben ja schließlich auch 2 Parteien in ihrem Namen): wer ist denn sozial ? der, der mit jemand eine Beziehung hat, der jemand emotional versorgt, der ihn aber nicht materiell versorgen kann oder der, der in unserer Gesellschaft zu den Leistungsträgern gehört, der Arbeitsplätze abbaut - aber auch sicher viele erhält - der gutes Geld verdient und sicher auch (reichlich) Steuern bezahlt, zu dessen Werten aber gehört den Staat (UNS!) zu bescheißen - sprich Schwarzgeld im Ausland zu bunkern (oder dem Fiskus zu entziehen)? Welches ist das soziale Individuum?? oder anders: wessen Leben entspricht dem Artikel 20.1 GG ?
Falls Sie nach Hamburg kommen lassen Sie uns über diese Aspekte weiterdiskutieren - ich würde mich sehr freuen.
beste Grüße aus dem Norden
Rainer Merkel