Frage an Priska Hinz von Horst B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Hinz,
mit großem Interesse habe ich Ihre Antwort auf den von Frau Daniela Doberstein im April dieses Jahres verfassten Beitrag gelesen.
Sie schreiben, dass die multikulturelle Gesellschaft nicht gescheitert sei und dass wir mit noch mehr Migration zu rechnen hätten.
Ich lese gerade, dass es in Berlin 628 Gewaltdelikte an Grundschulen gegeben hat.
http://www.tagesspiegel.de/berlin/Schule-Charlottenburg;art270,2439415
Das Kollegium der Rütli-Schule schrieb schon 2006 über katastrophale Zustände dort. 83% aller Schüler haben Migrationshintergrund
http://www.tagesspiegel.de/berlin/Berlin;art114,1863361 sowie 80 % der
Intensivtäter in Berlin.
http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~E0EC5F7949CD040DBBB29538048AB2D10~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Von Kindern italienischer, vietnamesischer, chinesischer oder indischer Migranten hingegen lesen wir nichts derartiges, in Thüringen besuchen z. B. 63% aller Vietnamesen ein Gymnasium.
http://books.google.com/books?id=sWIkiRVoshYC&pg=PA188&lpg=PA188&dq=vietnamesen+th%C3%BCringen+gymnasium&source=web&ots=kCph_hpqbx&sig=-8dTN9pb0tWIPPSllClRpEOfJpY
Hier nun meine Fragen:
Wie stehen sie zur weiteren Migration aus dem orientalischen Kulturkreis?
Was würden Sie angesichts der erdrückenden Vorfälle an staatlichen Schulen
Frau Doberstein heute antworten?
Würden Sie Ihre eigenen Kinder auf eine Schule mit hohem Migrantenanteil schicken? (Der Berliner Bürgermeister Wowereit würde es nicht tun.
http://www.zeit.de/news/artikel/2006/12/06/83587.xml )
Sehen Sie angesichts der demographischen Entwicklung, verursacht durch das rot-grüne Zuwanderungsgesetz, optimistisch in die Zukunft oder befürchten Sie, wie israelische Wissenschaftler neulich prophezeiten, bürgerkriegsähnliche Unruhen in Europa?
http://www.smh.com.au/articles/2007/02/15/1171405374552.html
Viele Grüße,
Horst Brede
Sehr geehrter Herr Brede,
es ist unbestritten, dass es in Deutschland große Probleme bei der Integration von Zuwanderern gibt. Dies haben wir insbesondere konservativen Politikern zu verdanken, die über Jahrzehnte eine schlechte Einwanderungspolitik gemacht haben. Ausländerinnen und Ausländer wurden als Gastarbeiter ins Land geholt, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie diese Menschen hier leben sollen und integriert werden können, welche Bildung sie brauchen und wie die Familien auch im Alter hier leben und an der Gesellschaft teilhaben können. Diese Haltung des „Nicht-Kümmerns“ wurde auch auf jene Menschen übertragen, die Deutschland aus humanitären Gründen als Flüchtlinge oder Asylbewerberinnen und -bewerber aufgenommen hat. Und nicht zuletzt wurde auch die Integration von Aussiedlern vernachlässigt, weil man davon ausging, dass diese sowieso „deutsch“ und daher problemlos zu integrieren seien.
Nur zwei Beispiele für die absurde Politik konservativer Politiker: Wenn heute die Sprachförderung von CDU/CSU groß propagiert wird, ist daran zu erinnern, dass genau jene Parteien Bildungsförderung für Migrantenkinder lange Zeit abgelehnt haben: Noch in den achtziger Jahren wurden Migrantenkinder in sog. „Nationalklassen“ gesteckt, um sie auf die Rückkehr in ihr Heimatland vorzubereiten. Und der ehemalige CDU-Minister Zimmermann erklärte 1988 (!), dass ein Ausländer die Aufenthaltsgenehmigung verlieren sollte, wenn er sich gut integriere – weil er dann nicht mehr als rückkehrwillig gelten könne. Die Union setzte also immer das Zeichen: „Ihr seid hier unerwünscht“, was nicht gerade integrationsfördernd wirkte.
Trotz der real bestehenden Zuwanderung wiederholten CDU und CSU mantra-artig, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei. Beide Parteien stemmten sich dagegen, Zuwanderung zu steuern – und damit mehr Hochqualifizierte ins Land zu holen. So präg(t)en Gastarbeiter aus armen, ländlichen Regionen und Asylsuchende die Zuwanderung. Es ist nicht erstaunlich, dass darunter tendenziell weniger Bildungsorientierte sind, was Teilhabe und Integration durch Bildungsaufstieg erschwert.
Durch die oben beschriebenen politischen Versäumnisse ist nun eine nachholende Integration in Deutschland nötig, die einige Zeit dauern wird. Ich sehe hierfür schon einige positive Ansätze und befürchte keine bürgerkriegsähnlichen Unruhen in unserem Land.
Migrantinnen und Migranten müssen durch Qualifizierung und Bildung eine Chance haben, aus Armut heraus und in Ausbildung und Arbeit hineinzukommen, und sich dadurch auch mit Deutschland als neuem Heimatland identifizieren zu können. Sehr wichtig sind dabei die frühe Förderung, insbesondere Sprachkenntnisse, sowie die Beratung von Eltern, damit Kinder die Bildungsangebote auch wahrnehmen. Außerdem müssen Schulen besser ausgestattet und die Lehrerausbildung verbessert werden. Diese Maßnahmen sind nicht nur für Migranten wichtig, sie helfen allen Familien aus sozial benachteiligten Schichten.
Klar ist, dass den Rechten von Zugewanderten auch Pflichten gegenüberstehen. Das haben auch wir Grüne in unserem Integrationsfahrplan ( http://www.gruene-bundestag.de/cms/beschluesse/dokbin/126/126678.beschluss_integration.pdf ) ganz deutlich formuliert. Und völlig unstreitig ist auch, dass Gewaltdelikte nicht zu tolerieren sind, egal von wem sie verübt werden. Ich würde Sie also bitten, anstelle der abgestandenen Multi-Kulti-Kritik einmal die sehr differenzierte Position meiner Fraktion zu diesem Thema zur Kenntnis zu nehmen!
Was die Gestaltung der Zuwanderung nach Deutschland in Zukunft angeht, so setze ich mich dafür ein, Einwanderung mit einem Punktesystem gezielt zu steuern, damit diejenigen kommen, die auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden. Denn aufgrund der Alterung unserer Gesellschaft, stehen wir schon heute vor einem großen Fachkräftemangel. Um diesem zu begegnen und für eine positive wirtschaftliche Entwicklung, brauchen wir neben guter Qualifizierung der „eigenen Leute“ auch weitere Zuwanderung.
Im Übrigen waren meine Kinder auf einer Grundschule mit vielen Kindern verschiedener Herkunft zusammen, vor allem auch türkischen Kindern. Die Schule hat sich von Anfang an mit großem Erfolg darum gekümmert, alle Eltern in ihr Schulkonzept einzubeziehen. Ich selbst habe als Elternbeirätin mit den Migranteneltern zu Gunsten unserer Kinder eng zusammengearbeitet.
Mit freundlichen Grüßen
Priska Hinz
PS: Zum Weiterlesen empfehle ich Ihnen noch folgenden Artikel: „Mehr Integration durch bessere Bildung“:
http://www.gruene-bundestag.de/cms/integration/dok/144/144773.mehr_integration_durch_bessere_bildung.html