Frage an Peter Liese von Michael S. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr Dr. Liese!
Die Bundesrepublik Deutschland steht in puncto Familienrecht immer wieder am Pranger des EGMR (Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, Anm. d. Red.). Der Fall Görgülü hat gezeigt, daß unverheiratete Väter nicht nur geschlechtsbezogen benachteiligt werden, sondern für sie der Weg zu elterlicher Verantwortung auch durch die Behörden unverhältnismäßig erschwert werden kann.
Betroffenenverbände fordern daher die Gleichbehandlung aller Elternteile nach dem Vorbild z. B. Frankreichs als europäischen Maßstab zum Wohle der Kinder, mich interessiert hierzu Ihre Meinung.
Ferner ist von Interesse, was beispielsweise getan wird, um Kinder und Väter nicht durch eine mütterliche Falschaussage (Gewalt etc.) und gleichzeitige Flucht ins Frauenhaus zu trennen. Werden solche Vorwürfe geprüft und nach insbesondere der rechtsstaatlichen Unschuldsvermutung behandelt, oder gibt es hier eine subjektive Parteilichkeit ("im Zweifel immer gegen den Mann")?
Mit freundlichen Grüßen,
Michael Siebel
Väteraufbruch für Kinder e. V.
Kreisgruppe Siegen-Wittgenstein
Sehr geehrter Herr Siebel,
vielen Dank für Ihre Frage vom 9. Mai, welche mich über die Internetplattform www.kandidatenwatch.de erreichte.
Wie die zuständige Bundesjustizministerin eingesteht hat, sind die Urteile des EGMR kein Ruhmesblatt für die deutsche Justiz. Aus juristischer Warte ist dennoch zu sagen, dass die Urteile, die nicht den gesetzlichen Vorgaben bzw. den Vorgaben des EGMR genügten, stets aufgehoben und korrigiert worden sind.
Die Zuständigkeit für eine Gesetzesänderung liegt in diesem Fall beim Deutschen Bundestag, da sich Ihr Anliegen auf eine Reform Sorgerechts für Nichtverheiratete bezieht. Da es sich hierbei um eine nationale- und keine europäische Regelung handelt, gestatten Sie mir, dass ich auf Ihre Frage zu allererst als Vater von zwei Kindern eingehe:
Ganz egal, in welcher Form die Eltern eines Kindes Ihr Zusammenleben gestalten, bzw. ihr Zusammenleben gestaltet haben, hat das Wohl des Kindes bei einer Trennung oberste und absolute Priorität.
Wenngleich ich die „klassische“ Form des familiären Zusammenlebens nach wie vor als die für das Kind am besten geeignetste Form des Zusammenleben halte, bin ich mir im klaren darüber, dass die gesellschaftliche Realität heute teilweise anders aussieht. Die gesellschaftliche Realität von Familie hat sich in den vergangenen Jahren, vor allem im großstädtischen Bereich, durchaus weiter verändert. Neben der „klassischen“ Familienstruktur haben sich zunehmend neue Familienformen herausgebildet. Immer mehr Kinder leben in nichtehelichen Lebensgemeinschaften. In Deutschland werden heute ein Drittel aller Kinder nicht-ehelich geboren, in den neuen Bundesländern und vielen Großstädten sind es sogar mehr als die Hälfte.
Durch diese neuen Formen des Zusammenlebens ergeben sich neue rechtspolitische Herausforderungen, die derzeit im Deutschen Bundestag beraten werden, aber auf die wir als Europäisches Parlament keinen Einfluss haben. Auch bei der von Ihnen angefragten Problematik muss aus meiner Sicht stets das Kindeswohl im Vordergrund stehen, welches Maßstab etwaiger Gesetzgebung sein muss. Die Frage die es hierbei jedoch zu klären gilt lautet; „Worin besteht das Kindeswohl?“
Das Grundgesetz enthält hierzu eine wichtige Wertentscheidung, die auch das Bundesverfassungsgericht in seiner jüngsten Entscheidung am 1. April 2008 zur Durchsetzung des Umgangsrecht noch einmal bestätig hat.
Mit dem Elternrecht nach Artikel 6 Abs. 2 GG hat der Verfassungsgeber zum Ausdruck gebracht, dass es grundsätzlich im Interesse des Kindes ist, mit Vater und Mutter aufzuwachsen.
Darüber hinaus benötigt das Kind jedoch auch Stabilität und Kontinuität. Beide Elternteile müssen bereit und auch dazu in der Lage sein, zum Wohle des Kindes zusammen zu wirken. Andernfalls, d.h. in den Fällen, in denen die Eltern nicht zusammen, sondern vielmehr gegeneinander wirken, ist es in der Regel für das Kind besser, dass das Sorgerecht alleine bei einer Person liegt.
Von einer solchen, auf Vertrauen und Kooperation angelegten Beziehung zwischen Vater und Mutter geht das Gesetz grundsätzlich allerdings nur bei der Ehe aus. Denn hier zeigen Eltern, dass sie auf Dauer zusammenleben, gemeinsam Kinder erziehen und in jeder Lebenslage für einander einstehen wollen.
Bei nicht-ehelichen Beziehungen kann danach hingegen nicht von vornherein angenommen werden, dass die Elternteile dauerhaft bereit und in der Lage sind, zum Wohle des Kindes zusammen zu wirken. Dies gilt erst recht für solche Lebenssituationen, in denen Vater und Mutter nicht einmal zusammen leben. Die gemeinsame Sorge wird daher in diesen Fällen davon abhängig gemacht, dass die Eltern ihre entsprechende Kooperationsbereitschaft durch die Abgabe von Sorgeerklärungen dokumentieren.
Mit der Herausbildung neuer Formen des familiären Zusammenlebens hat sich gleichzeitig die Rolle der Väter ganz erheblich verändert. Entgegen eines lange verbreiteten Vorurteils wollen auch nicht-eheliche Väter Verantwortung für ihre Kinder übernehmen und sich an der Erziehung ihres Kindes engagiert beteiligen. Ich stimme Ihnen daher grundsätzlich zu, dass auch Väter ein natürliches Elternrecht haben, das ihnen nur bei schwerwiegenden, objektiven und justiziablen Einwänden und aus Gründen des Kindeswohls verweigert werden sollte und unterstütze meine Kollegen im Deutschen Bundestag, dass die gemeinsame Sorge bei nicht miteinander verheirateten Eltern künftig unter bestimmten Bedingungen auch durch gerichtliche Entscheidung begründet werden kann.
Da es sich in diesem Fall allerdings um eine gravierende gesetzgeberische Neuregelung handeln würde, muss diese auf Grundlage einer umfassenden Datenbasis erfolgen, da wir derzeit immer noch zu wenig über die Lebenssituation der betroffenen Väter, Mütter und Kinder wissen.
Deshalb ist die Mehrheit der Kollegen im Deutschen Bundestag dafür, jetzt keine vorschnelle Entscheidung zu treffen. Stattdessen wollen die Kollegen ergänzend zu bisherigen Erhebungen eine wissenschaftliche Untersuchung in Auftrag geben. Das Bundesministerium der Justiz erarbeitet meinen Informationen nach bereits ein Forschungsdesign und wird auf dieser Grundlage tätig werden. Da dieses Thema – vor allem auch im Interesse der Kinder – sehr wichtig ist, drängen die Kollegen im Deutschen Bundestag darauf, dass dieser Auftrag zeitnah ausgeschrieben und vergeben wird und sind zuversichtlich, dass in dieser Frage schon in Kürze Konkretes vorweisen ist.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Liese