Frage an Peter Gauweiler von Emminger J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Gauweiler,
in der Radiosendung »Tagesgespräch« in BR2 Radio vom 16.7.09 sprachen Sie auch über die Bedeutung von Volksentscheiden und wurden u.a. deswegen als »Populist« verunglimpft.
Bei einem Volksentscheid sollte man eigentlich von dem mündigen Bürger ausgehen können. Dann lesen Sie mal das:
»Seit der Aufklärung gilt das Idealbild vom mündigen Individuum, das Verantwortung für sein Handeln trägt. Durch die Übermacht der neuen Medien und den globalen Kapitalismus wird jedoch die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, systematisch zerstört.
Auch Erwachsene sind tatsächlich keine mündigen Individuen mehr, sondern verharren in einem Zustand der Unreife, der es ihnen unmöglich macht, die jüngere Generation zu Verantwortungsbewußtsein zu erziehen. Ein Generationenvertrag wird aufgelöst und das Leben auf das Lustprinzip, die bloße Gegenwart, reduziert, somit wird Vergangenheit ausgelöscht und eine Zukunft nach den Idealen der Aufklärung aussichtslos.
Die Folgen sind eine Infantilisierung der Gesellschaft, strukturelle Verantwortungslosigkeit und eine durch manipulative Medien verursachte gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeitsstörung. … Marketing wird zum alleinigen Instrument der Sozialkontrolle, die Telekratie ersetzt die Demokratie.«
Der Text ist aus dem Vorwort zu Bernard Stieglers »Die Logik der Sorge – Verlust der Aufklärung durch Technik und Medien« (Suhrkamp 2008). Sicher haben Sie selbst schon die geklonten Comicfiguren in Schlafanzug oder Strampelhose zwischen BaseCap und Turnschuhen erlebt – ebenso vollverkabelt wie -verblödet. Die Frage nach dem ersten Kanzler der Republik beantworten sie mit:: »Das war doch dieser Adolf, ey!«.
Meine Frage: Sind wir noch ein Volk, das zu Entscheidungen fähig ist?
Sehr geehrter Herr Emminger,
wir sind sehr wohl ein Volk, das zu verantwortungsvollen Entscheidungen fähig ist.
Das von Ihnen angesprochene Idealbild der Aufklärung vom mündigem Individuum gilt heute in der Summe mehr als damals. "Pisa"-Tests hin oder her, der Bildungsgrad ist heute in der Breite höher als er zu Zeiten der Aufklärung oder zu Zeiten der Weimarer Republik war. Die Informationsmöglichkeiten sind durch Zeitung, Radio, Fernsehen, Internet und andere so hoch wie noch nie. Wer sich für eine Entscheidung interessiert kann sich aus verschiedenen Quellen unabhängig informieren. Durch die Verankerung der Demokratie in den Köpfen der Menschen empfinden sie sich auch zunehmend als mündige Staatsbürger und wollen konsequenterweise auch entsprechend stärker direkt am Gemeinwohl mitwirken. Eine Steuerung oder Beeinflussung von Einzelner oder von größeren Gruppen durch Medien oder Interessengruppen gab es immer und ist nie ganz auszuschließen. Durch die gestiegene Medienkompetenz und das breite Angebot unabhängiger Informationsquellen ist diese Gefahr allerdings weit weniger groß als zu Zeiten von staatlichen Informationsmonopolen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Gauweiler