Porträt von Patrick Telligmann
Patrick Telligmann
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Hannes M. •

Wie stehen Sie dazu, dass die Ukraine Waffen von Deutschland erhält?

(Wahlplakat von „BÜNDNIS 90/DIE Grünen“ : „Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete“.)

Dennoch unterstützten Die Grünen ja in letzter Zeit die Lieferungen.

Und anmerken sollte man auch, dass die Ukraine weder EU, noch NATO Mitglied ist.

Vielen Dank für Ihre Antwort!

Porträt von Patrick Telligmann
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr M.

für Ihre Frage möchte ich Ihnen danken. Ich erlaube mir darauf spät, aber dafür ausführlich(er) zu antworten.

Ich kandidiere für den Landtag und mache dieses Angebot aus dem Wunsch heraus, Verantwortung zu übernehmen. Dennoch bin ich schon fast froh, dass ich manche wirklich schwierigen Entscheidungen auf dieser Ebene nicht treffen muss. Dazu gehört die Frage nach der angemessenen Reaktion auf einen Angriffskrieg nur wenige Kilometer von unserer Heimat und also von dem Ort entfernt, wo viele - vielleicht die meisten oder sogar alle - unserer Liebsten leben.

Seit 2014 bedrängt Putins Russland und seine Armee den kleinen Nachbarn im Westen. Die Ukraine - keine lupenreine Demokratie und auch kein Rechtsstaat, wie er den europäischen Standards entsprechen würde, aber doch eine Land, das sich auf den Weg gemacht hat, die Tyrannei der Oligarchen, deren Kleptokratie und die allgegenwärtige Korruption zu überwinden - wehrt sich. Nicht ohne Erfolg. Seit 2022 läuft eine großangelegte Invasion. Mit regulären Truppen, Panzern, Drohnen, Marschflugkörpern etc. attackiert Putin die Ukraine, lässt morden und ermordet selbst russische und andere für ihn kämpfende Soldaten, indem er sie für seine Großmachtfantasien in die Schlacht schickt.

Fakt ist: Der Krieg wäre morgen vorbei, würde Putin seine Soldaten zurück in die Kasernen holen. Würde die Ukraine hingegen aufhören sich zu wehren, würde sie aufhören zu existieren.

Dass nach einem Sieg Putins das Sterben nicht aufhört, hat man bspw. in Butscha und Irpin gesehen. Ich will mir nicht vorstellen, wie viele Menschen nach der Unterwerfung der Ukraine noch sterben müssten, weil sie den "Säuberungsaktionen" Putins oder der Rache russischer Soldaten und Söldner zum Opfer fallen würden. Und ich will mir nicht vorstellen, wie viele Menschen entwurzelt ihre Heimat verlassen müssten, um zum Beispiel auch nach Deutschland zu flüchten und hier Schutz zu finden. Auch an die Folgen für das Verhältnis bzw. den Umgang von China mit Taiwan möchte ich in diesem Zusammenhang kaum denken.

Ich möchte noch etwas ergänzen: Ich bin Kriegsdienstverweigerer. Ich habe meine erste Rede 2003 auf dem Templiner Marktplatz gehalten, als damals die ersten Bomben auf Bagdad fielen. Ich habe mich gegen diesen Angriffskrieg gewandt. Ich habe den Aggressor, Georg W. Bush jr. adressiert. Mich irritiert, dass heute manche sog. Friedensaktivist*innen nicht mehr den Aggressor adressieren, sondern den Angegriffenen. Gern wird auch das Recht auf Selbstverteidigung mit dem Verweis auf die Historie abgesprochen. Mich erinnert das ein Stück weit an die Frage nach der Bekleidung nach einer Vergewaltigung. Fehlt nur noch, dass man der Ukraine empfiehlt, sie möge sich doch bitte nicht so sehr wehren, dann ginge es schneller vorbei. Und dann? Wer ist als nächstes dran? Die Frage scheint mir berechtigt. Putins Vertrauter, der ehemalige Präsident Medwedjew, nennt das Baltikum bereits "unsere Provinzen" (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/russland-imperium-baltikum-ukraine-krieg-100.html) und auch die Annexion Kasachstans und Georgiens wird mindestens angedeutet (https://www.n-tv.de/politik/Georgien-und-Kasachstan-fuer-Medwedew-nur-kuenstliche-Staaten-Unsere-Grenzen-enden-nirgendwo-article23502122.html).

Warum schreibe ich Ihnen das alles? Nun, ich will deutlich machen, dass ich mich zunächst einmal mit dem Thema befasst habe, um mir eine Meinung zu bilden und ich möchte, dass Sie wissen, dass ich mir meine Haltung zu dieser Problematik nicht leichtfüßig erarbeitet habe.

Ich möchte, dass Putin an den Verhandlungstisch gezwungen wird, um diesen Krieg bald zu beenden. Ich sehe nicht, wie das  - nachdem auf diplomatischen Wegen wirklich enorm viel versucht wurde, ich erinnere nur an diesen absurd langen Tisch - ohne eine auch durch Waffenlieferungen herbeigeführte (mindestens) militärische Patt-Situation gelingen sollte. Erreicht Putin seine Ziele militärisch, wird er sie nicht zugunsten der Diplomatie aufgeben. Das muss man nicht schön finden. Das tue ich auch nicht. Aber wenn man Verantwortung übernehmen möchte, sollte man besser immer mindestens ein Auge auf die Realitäten haben.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen Ihre Frage beantworten.

Alles Gute für Sie und Ihre Lieben und vor allem: Frieden!

Patrick Telligmann