Frage an Patrick Schiffer von Ulla S. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Leider werde ich wohl nicht zur Wahl gehen, denn ich verlor meine Arbeit an eine Zuwanderin aus den neuen EU-Ländern.
In diesem Bericht heißt es, daß von 240.000 neuen Jobs dieses Jahr nur 37.000 an Erwerbslose gehen wird, der Rest hauptsächlich an Zuwanderer aus der EU:
Ist für Ihre Partei das akzeptabel, wenn die Erwerbslosen selbst in Zeiten eines wirtschaftlichen Aufschwung keine Arbeit finden?
Wie die deutsche Wirtschaft-Nachrichten mitteilen, wird aufgrund der Automatisierung jeder zweite Job wegfallen. Ich senden Ihnen den Artikel mit:
Was will Ihre Partei dagegen tun? Das macht mir Angst und ich wundere mich, warum die Politik das nicht thematisiert?
In einem n-tv-Artikel heißt es:
"Die Zahl der Arbeitslosen ist der DIW-Studie zufolge bei fast allen Fachkräften höher als die Zahl der offenen Stellen. Lediglich in einigen wenigen Berufen sieht die Untersuchung tatsächlich Hinweise auf eine echte Knappheit in der Arbeitslosenstatistik. Das sind im Einzelnen Vulkaniseure und Elektroinstallateure sowie Ärzte und Krankenschwestern".
Quelle: http://www.n-tv.de/wirtschaft/Die-Maer-vom-Fachkraeftemangel-article3833126.html
Warum lässt man nicht nur Menschen ins Land, die man wirklich braucht? Warum wird über einen Fachkräftemangel diskutiert, wenn das wohl gar nicht der Fall ist?
Mit freundlichen Grüßen
Ulla Schwarzer
Sehr geehrte Frau Schwarzer,
Daß Sie nicht wählen gehen, mindert Ihre Chancen darauf, an den bestehenden Zuständen etwas zu ändern. Die Tatsache, dass wir in einem internationalen Wettbewerb stehen, ändert nichts an der Tatsache, dass wir uns alle der Realität stellen müssen und entsprechend darauf achten, welche Politiker mit der nötigen Weitsicht agieren.
Der Wettbewerbsdruck und die "Geiz ist geil" Mentalität vieler Konsumenten (oft erzwungen durch schlechte Löhne oder Abhängigkeit von Hartz IV) verleitet Unternehmen dazu, mit möglichst niedrigen Personalkosten zu arbeiten. Ein gesetzlicher Mindestlohn ist ein Mittel der Politik, um der Abwärtsspirale im Lohnniveau entgegenzutreten und dafür zu sorgen, dass nicht die Armen (hier: Arbeitslose deutscher Nationalität) gegen die Ärmsten ( hier: Arbeitslose anderer EU-Länder) ausgespielt werden. Diese Art Brückentechnologie unterstütze ich, um die Abwärtsspirale aufzuhalten und die Schere zwischen Arm und Reicht nicht weiter auseinander klaffen zu lassen.
Ein gesetzlicher Mindestlohn muss natürlich richtig konzipiert sein, da er sonst kontraproduktiv wird. Eine europaweit abgestimmte Regelung würde dafür sorgen, dass dieses Armutszeugnis kein Dauerzustand bleibt. Fakt ist in jedem Fall, dass die Reallöhne in Deutschland sich sehr viel schlechter entwickelt haben als in anderen europäischen Ländern und dass Jobs bei uns überhaupt nur deshalb entstanden oder geblieben sind, weil in Deutschland schlechter bezahlt werden durfte als anderswo.
Das macht unsere Arbeitsplätze billiger als woanders, die hergestellten Produkte damit auch billiger als in anderen Ländern - und das wiederum ist der Grund für unseren extrem hohen Exportüberschuss. Unser mit Abstand größter Exportanteil geht übrigens in andere EU-Länder, was dort von Deutschland importiert wird, wird natürlich dort nicht mehr selbst hergestellt. Die Arbeitsplätze dort sind weggefallen, bei uns sind sie geblieben. Es ist daher wenig überraschend, dass es von dort Jobsuchende gibt, die nach Deutschland kommen, um wenigstens überhaupt eine Arbeit zu haben.
Ein Arbeitgeber wird dabei auch auf Qualifikation schauen, in dem erwähnten Artikel stand ja auch, dass es sich um besonders hochqualifizierte Einwanderer handelt. Das ist ein Gewinn für unser Land und ein Verlust für deren Herkunftsländer. Ursächlich ist natürlich auch die Wirtschafts- und Finanzkrise, die zu unmöglichen Zuständen in einigen europäischen Ländern geführt hat. Intelligentere Regulierung muss in Zukunft solche Fehlentwicklungen verhindern, damit niemand mehr aus wirtschaftlicher Not in andere Länder gehen muss.
Die Freizügigkeit des europäischen Arbeitsmarktes wird im übrigen auch von deutschen Arbeitnehmern sehr gern genutzt und befürwortet. Es wird vermutlich nie in allen europäischen Ländern eine gleiche Konjunkturentwicklung und gleiche Nachfrage und Angebote an Fachkräften geben. Da ist die Arbeitskräftefreizügigkeit eine sehr gute Möglichkeit, einen innereuropäischen Ausgleich zu schaffen und einen Mangel an Arbeitskräften im eigenen Land auszugleichen.
Wir müssen weg von Streben nach der Vollbeschäftigung, denn das ist ein unrealistisches Ziel! In unserem Zeitalter, in dem immer mehr Aufgaben durch Computer und Maschinen besser und schneller bearbeitet werden können, müssen wir ein System schaffen, dass Arbeitslosigkeit zulassen kann, ohne in sich zusammenzufallen und ohne, dass damit Menschen die Möglichkeit auf Teilhabe am sozialen Leben verlieren. Dies ist eine liberale Forderung. Freiheit bedeutet immer auch, sich Freiheit leisten zu können. Dafür wollen wir das bedingungslose Grundeinkommen, welches natürlich durch eine Expertenrunde durchgerechnet und auf die einzelnen Länder angepasst werden müsste.
Aber wir wollen auch mehr Chancen für Ältere, einen Abbau von Diskriminierung und eine Verbesserung der Inklusion von Benachteiligten. So ist lebenslanges Lernen wichtig, um Menschen neue Jobchancen zu ermöglichen und sie nicht abzuschreiben, nur weil sie 50+ Jahre alt sind und ihre Ausbildung heutigen Anforderungen nicht mehr genügt.
Manche Arbeitssuchende finden zum Beispiel deshalb keine Stelle, weil sie keine Ganztagskinderbetreuung finden oder weil man lieber Männer als Frauen (oder umgekehrt) einstellt. Andere bleiben unvermittelt, weil dem Arbeitgeber der Name zu türkisch klingt oder die Bewerberin auf dem Foto ein Kopftuch trägt. Andere haben keine höheren Qualifikationen, weil in Deutschland der Bildungserfolg vom sozialen Hintergrund abhängt - mehr als in anderen Ländern. Alles das sind Diskriminierungen, die eine Verschwendung von Talenten bedeuten, die sich unser Land nicht leisten kann und die dann zu den von Ihnen erwähnten Effekten führen. An all diesen Baustellen muß man ansetzen, wenn man das ändern möchte.
Der zweite von Ihnen zitierte Artikel (N-TV) ist 3 Jahre alt, seitdem hat der Fachkräftemangel weiter zugenommen:
http://www.sueddeutsche.de/karriere/fachkraeftemangel-im-mint-bereich-wirtschaft-will-im-ausland-studenten-abwerben-1.1950845
Die Fachkräfteengpaßanalyse der Bundesagentur für Arbeit stellt auch für folgende Berufsgruppen echte Engpässe fest:
* Maschinen- und Fahrzeugtechnik (Felder, in denen Deutschland v.a.
exportiert)
* Mechatronik, Automatisierungstechnik, Elektrotechnik
* Informatik und Softwareentwicklung
* Energietechnik
* Sanitär, Heizung, Klima, Klempnerei
* Ver- und Entsorgung
* Humanmedizin
* Gesundheits- und Krankenpflege
* Altenpflege (ein riesiges, weiter wachsendes Problem)
* Orthopädie und Reha
* diverse Eisenbahnberufe
Das sind nicht nur akademische Berufe in wichtigen (und wachsenden) Feldern sondern eben auch Lehrberufe. Insgesamt zählte die BA im Dezember 2013 ca. 50 Berufe und Berufsgruppen, in denen Mangel herrscht, v.a. für Fachkräfte, Experten und Spezialisten. Die Quelle für diese Informationen sind die offiziellen Statistiken der Bundesagentur. Wenn diese Stellen nicht mit Personal aus dem Inland besetzt werden können, ist die Alternative dazu, Menschen aus dem Ausland einzustellen oder die Stellen unbesetzt zu lassen, was entweder der Exportwirtschaft schadet oder zulasten der Bürgerinnen und Bürger hierzulande geht - wenn es z.B. nicht genug medizinisches Personal gibt.
Dennoch sprechen Sie einen wichtigen Punkt an - nämlich den, dass es viele Arbeitslose gibt, die auf offene Stellen nicht vermittelt werden (können), darunter viele Langzeitarbeitlose und Geringerqualifizierte. Es geht dann darum, dass man Wunsch und Wirklichkeit auseinanderhält und sich überlegt, was eine langfristige Lösung sein kann. Eine mögliche Antwort habe ich bereits auf Ihre zweite Frage gegeben und verweise an dieser Stelle dorthin.
Mit freundlichen Grüssen,
Patrick Schiffer