Frage an Özcan Mutlu von Peter M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Mutlu,
Sie haben heute -wie auch Ihre Partei insgesamt- im ARD-Morgenmagazin einmal mehr die doppelte Staatsbürgerschaft verteidigt.
Bitte nennen Sie mir die Vereinbarung mit den Gleichstellungsgesetz, wenn andere Staatsangehörige, solange sie auch noch im Heimatland wählen dürfen, auch hier wahlberechtigt sind?
Wäre es möglich auch als Deutscher in der Türkei oder anderen Ländern, deren Bürger zusätzlich zum Pass des Heimatlandes auch den Deutschen Pass besitzen, auch als Deutscher Staatsbürger mit zu wählen, um dort die Politik im Sinne Deutscher Bürger zu beeinflussen?
Vorab schon mal vielen Dank für Ihre Stellungnahme - vor allem zur Vereinbarkeit der doppelten Staatsbürgerschaft mit dem Gleichstellungsgesetz.
Beste Grüße
Peter Michl
Sehr geehrter Her Michl,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Das Problem des Staatsbürgerschaftsrechts ist, dass es zu viele Ausnahmen gibt. Bei der doppelten bzw. mehrfachen Staatsbürgerschaft gibt es so viele mögliche Szenarien, dass man das leitende Motiv der Staatsbürgerschaft ja gar nicht mehr erkennen kann. Mit all diesen Ausnahmen schaffen wir Ungleichbehandlung. Seit 2005 sind wir Vertragsstaat des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit. Darin wird die doppelte Staatsangehörigkeit ausdrücklich anerkannt. Wir lassen Mehrstaatigkeit in vielen Fällen zu. Zum Beispiel bei EU-BürgerInnen, bei Schweizern, bei Kinder in binationalen Ehen oder wenn die Ausbürgerung nicht möglich bzw. nicht zumutbar ist. Wir nehmen Mehrstaatigkeit in 98 % der Fälle bei BrasilianerInnen hin und in 90 % der Fälle bei US-BürgerInnen. Bei manchen Ländern allerdings nehmen wir Mehrstaatigkeit nicht hin. Dies ist ungerecht. Es scheint, als würden bestimmte Ethnien und Länder bevorzugt werden (auch außerhalb der EU). Es kann nicht sein, dass wir zwischen willkommenen und nicht willkommenen Herkunftsländern unterscheiden. Das schürt Ängste und Ressentiments. Daher wollen wir Mehrstaatigkeit akzeptieren. In über 52% der Fälle tun wir das ja schon. International machen wir uns lächerlich. In einer modernen globalen Welt sind doppelte oder mehrfache Staatsbürgerschaften unvermeidbar. In vielen Ländern stellt die Hinnahme von Mehrstaatigkeit weder für den Staat noch für die Betroffenen ein Problem dar. Beispielsweise wird in den USA akzeptiert, dass die NeubürgerInnen ihre alte Staatsangehörigkeit beibehalten. Auch Frankreich, die Niederlande, Belgien und andere Staaten verfahren großzügig. Deutschland ist im europäischen Vergleich ziemlich am Ende der Skala bei der Akzeptanz von Mehrstaatigkeit für hier geborene Kinder ausländischer Eltern.
Ja, natürlich kann ein Deutscher mit mehrfacher Staatsbürgerschaft auch in den jeweiligen Ländern wählen. Viele Deutsche empfinden es als ungerecht, dass Menschen mit zwei Pässen in zwei Ländern wählen dürfen. Sie führen wie Sie den Gleichbehandlungsgrundsatz an. Nur vergessen viele, dass dieser Grundsatz nur innerhalb eines Landes gilt. Ein Deutsch-Amerikaner kann von Amerika aus per Briefwahl an der Bundestagswahl teilnehmen - oder auch nicht. Daran sollte sich hier kein Deutscher stören. Viele Länder haben auch gar kein Briefwahlsystem oder ein zu kompliziertes System, so dass auch dieses Problem nicht wirklich ein wesentliches Problem ist.
Die Gründe für die Hinnahme der Mehrstaatigkeit überwiegen eindeutig. Nicht, weil wir Mehrstaatigkeit propagieren, sondern weil wir ein modernes Einbürgerungsrecht brauchen, damit Integration besser gelingt. Wir brauchen gerechte und nachvollziehbare Regeln für alle. Die Bundesländer brauchen zudem weniger Verwaltungsaufwand und weniger Bürokratie.
Mit freundlichen Grüßen
Özcan Mutlu