Frage an Özcan Mutlu von Oliver S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sg Herr Mutlu - eine generelle Frage an Sie als Türke und Bildungspolitiker. Warum wird in Deutschland nicht Türkisch und Arabisch als erste Fremdsprache angeboten? Im Alltag treffe ich mit vielen Jugendlichen zusammen, welche die bekannten Deutschprobleme haben, aber auch Ihre "Muttersprache" nur leidlich sprechen, aber so gut wie gar nicht schreiben können. Kanackdeutsch mag zwar gut für TV-Serien sein, aber im Alltag ist es die Mauer, welche diese trennt. Gibt es von Ihnen oder Ihrer Partei dahingehende Ideen? MfG
Sehr geehrter Herr Simon,
vielen Dank für Ihren Beitrag. Ich stimme Ihnen zu, das Fremdsprachenangebot der Schulen sollte die Sprachen beinhalten, die neben Deutsch auch hier am meisten gesprochen werden. Dies trägt nicht nur zur Integration bei, sondern wäre ein wichtiger zur Anerkennung und würde zur Beseitigung von Sprachdefiziten beitragen. Denn Beherrschung der Muttersprache ist für den Zweitspracherwerb sehr bedeutsam, sie dient als Fundament! Wer die Struktur und die Grammatik seiner Muttersprache beherrscht (das kann bei einem türkischen Kind in Berlin durchaus auch Deutsch sein!) hat es einfacher eine Zweit- bzw. Fremdsprache zu lernen. Das habe ich bei meinen eigenen Kinder erlebt und das ist auch meine Erfahrung als Bildungspolitiker. Deshalb haben wir uns von Bündnis 90 / Die Grünen auch immer wieder für eine zweisprachige Bildung- und Erziehung stark gemacht.
Kanaksprak, Türkenslang oder Mischmaschsprache - die Terminologie ist unendlich - mag für viele Menschen erschreckend klingen. Man darf dieses jugendsprachliche Sprachphänomen jedoch nicht mit mangelnden Deutschkenntnissen verwechseln. Hier spielen nicht immer fehlende Sprachkompetenzen eine Rolle. Natürlich wird dieser Jargon durch die zahlreichen TV-Serien medial stilisiert und überspitzt, in der Realität finden wir aber ein anderes Bild. Nicht nur deutsche Jugendliche mit Migrationshintergrund auch sehr viele deutsche Jugendliche ohne Migrationshintergrund haben sich diesen Slang als Identifikationsmerkmal angeeignet - und er birgt nicht nur Negatives. Linguistisch betrachtet kann man diesen Ethnolekt auch als eine Bereicherung sehen, welcher sehr viel Kreativität und Produktivität erkennen lässt.
Trotz alle dem, wie schon oben erwähnt, haben wir ein Sprachproblem bei vielen Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, was unbedingt angegangen werden muss. Da Spracherwerb, Sprachfähigkeit und schulischer Erfolg auf das engste verkoppelt sind, muss deshalb Spracherwerb im Kindergarten und in der Grundschule Priorität haben. Die Beherrschung der deutschen Sprache ist eine entscheidende Voraussetzung nicht nur für den Bildungserfolg, sondern auch für eine gleichberechtigte Teilnahme an der Gesellschaft und steht nicht im Widerspruch zum Wunsch mancher ausländischer Familien, die Muttersprache zu pflegen. Daher ist für alle Bildungseinrichtungen eine stärkere multikulturelle und multilinguale Ausrichtung der Kollegien notwendig. Die Ausbildung und Fortbildung des Lehrpersonals und deren interkulturelle Qualifikation ist wichtig. Denn ein wesentlicher Mangel im Schulsystem liegt im Fehlen durchschlagender interkultureller Curricula und Schulprogramme sowie in der Abwesenheit von Lehrkräften mit Migrationshintergrund im Regelunterricht. Konsequente Förderprogramme zum Abbau von Sprachdefiziten, gezielte Maßnahmen zum Erwerb fehlender Schulabschlüsse sowie strukturverbessernde Maßnahmen für Schulen mit hohem Anteil von SchülerInnen nichtdeutscher Herkunft, sind deshalb unabdingbar.
Mit freundlichen Grüßen
Özcan Mutlu