Frage an Özcan Mutlu von Katja G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Ich habe eine Frage anlässlich der aktuellen Situation in Syrien, aber generell zu der Beteiligung Deutschlands an sogenannten humanitären Einsätzen. Als Teil der Friedensbewegung (Vorstandsmitglied der IPPNW) und Ärztin sehe ich jegliche militärische Einsätze als Gefahr für die Gesundheit aufgrund direkter und indirekter Konfliktfolgen und als Verletzung der Menschenrechte.
Deutschland beteiligt sich jedoch zunehmend an diesen Einsätzen und verdient zudem durch immer weiter steigende militärische Exporte.
Wie stehen Sie zu Bundeswehreinsätzen im Rahmen humanitär begründeter Militärinterventionen ab? Wie stehen Sie zu einer Beteiligung an einer Intervention in Syrien?
Sehr geehrte Frau Goebbels,
vielen Dank für Ihre Frage. Gerne möchte ich Ihnen nachfolgend die Position unserer Partei aus unserem Programm zu Ihrer Anfrage darstellen. Mir persönlich ist die Friedenspolitik ein sehr wichtiges Anliegen. Ich denke, dass unser Land mit unserer Geschichte eine immense Verantwortung trägt und werde mich auch im Bundestag gegen Kriegseinsätze aktiv einsetzen. Auch bin ich gegen eine Beteiligung der Intervention in Syrien.
„Frieden schaffen ohne Waffen“ - dieser Anspruch war ein Antrieb der grünen Parteiwerdung. Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass wirklicher Frieden nur politisch, nicht militärisch erreicht werden kann. Wir setzen daher immer und unbedingt auf den Vorrang ziviler Krisenprävention und Konfliktbearbeitung. Frieden lässt sich nicht militärisch erzwingen.
Aber Friedenspolitik heißt für die Grünen nicht absoluter Verzicht auf militärisches Eingreifen. Es gibt Situationen, in denen gewaltsames militärisches Eingreifen notwendig ist, um schwerste Menschenrechtsverletzungen oder gar Völkermord zu verhindern oder zu stoppen. Die unter Rot-Grün geschaffenen zivilen Ansätze müssen weiterentwickelt und ihr Rückstand gegenüber den militärischen Kapazitäten aufgeholt werden: Eingebettet in eine Nationale Friedensstrategie ist der Aktionsplan Zivile Krisenprävention an die heutigen friedenspolitischen Herausforderungen anzupassen.
Besonderen Nachholbedarf gibt es bei den Schwerpunkten Förderung von Friedenspotentialen und legitimer Staatlichkeit. Um zivile Krisenprävention und Friedensförderung ins Zentrum unserer Politik zu rücken, braucht der zuständige Ressortkreis deutlich mehr Gewicht und ressortgemeinsame Haushaltsmittel. Mit der Aufstellung ziviler Planziele soll gewährleistet werden, dass Deutschland schnell und ausdauernd zivile und polizeiliche Fachkräfte in Friedensmissionen entsenden kann. Die Kapazitäten des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), des Zivilen Friedensdienstes und zivilgesellschaftlicher Programme müssen erweitert und ihre Mittel verdoppelt werden. Aufzubauen sind eigene Fähigkeiten zur politischen Vermittlung. Die Polizeien von Bund und Ländern sind durch eine zusätzliche Personalreserve und durch Anreize zu befähigen, verlässliche Beiträge zur Friedenskonsolidierung zu leisten. Unverzichtbar sind sorgfältige Konflikt- und Wirkungsanalysen und umfassende Regionalexpertise, die nur mit mehr Mitteln für praxisorientierte Regional- und Friedensforschung zu haben sind. Die vielen Akteure der zivilen Konfliktbearbeitung brauchen einen zentralen Ort der Erfahrungsauswertung, Analyse, Weiterentwicklung und Ausbildung. Um aus dem Schatten öffentlicher Wahrnehmung herauszukommen, bedarf zivile Friedensförderung endlich systematischer Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit.
Wir verstehen das internationale Konzept der Schutzverantwortung, der responsibility to protect, als wichtige Säule der Krisenprävention und wollen sie wirksamer umsetzen. Dazu gehört für uns unbedingt die Prävention vor gewaltsamen Entwicklungen etwa durch Unterdrückung, Diktatur, Terrorismus und schlechte Regierungsführung, aber auch der besondere Schutz der Zivilbevölkerung, insbesondere von Frauen und Kindern, in bewaffneten Konflikten. Konkret heißt das zum Beispiel, nationale und internationale Systeme zur Frühwarnung und frühen politischen Aktivierung zu stärken und in der Bundesregierung eine besondere Stelle zur Umsetzung der Schutzverantwortung einzurichten. Diplomatie, Konfliktvermittlung und zivile Sanktionen stehen für uns an erster Stelle. Notwendig ist eine Nationale Friedensstrategie als friedens- und sicherheitspolitischer Kompass. Sie soll frühzeitig gesellschaftlich debattiert und durch den Bundestag beraten und beschlossen werden. Sie ersetzt das Weißbuch zur Sicherheitspolitik von 2006, legt Regionen fest, für die sich Deutschland in besonderer Mitverantwortung sieht, und bestimmt, welche Aufgaben die Bundesrepublik mit welchen Mitteln im Konzert der Staatengemeinschaft wahrnehmen kann und will. Der Einsatz militärischer Gewalt ist erwägenswert nur als äußerstes Mittel, wenn alle anderen allein keine Aussicht auf Erfolg haben. Militär kann bestenfalls Zeitfenster für die Krisenbewältigung schaffen, nicht aber den Frieden selbst. Die Bundeswehr kann einen Beitrag zur Gewalteindämmung und kollektiven Friedenssicherung leisten. Der Parlamentsvorbehalt hat sich bewährt, muss jedoch insbesondere hinsichtlich der Kontrolle von geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen gestärkt werden. Jeder militärische Einsatz muss fortlaufend auf seine Verhältnismäßigkeit, Wirksamkeit und rechtliche Grundlage überprüft werden. Für einen solchen Einsatz ist ein Mandat des Sicherheitsrats nach der gegenwärtigen Verfasstheit der VN die Voraussetzung. Allerdings kann ein Nichthandeln aufgrund einer Blockadehaltung einer oder mehrerer Vetomächte das Völkerrecht und die Vereinten Nationen ebenso massiv beschädigen wie das Eingreifen ohne ein Mandat. Im Falle einer Blockade des Sicherheitsrates sollte die Generalversammlung anstelle des Sicherheitsrates mit qualifizierter Mehrheit Sanktionen bis hin zu friedenserzwingenden Maßnahmen nach Kapitel VII der VN-charta beschließen.
Die Anwendung militärischer Gewalt ist unabhängig vom Ziel immer ein großes Übel und muss, wenn irgend möglich, vermieden werden. Uns GRÜNEN fiel es in der Vergangenheit nicht leicht anzuerkennen, dass es Situationen gibt, in denen zur Eindämmung von Gewalt und zur kollektiven Friedenssicherung der Einsatz von Militär geboten sein kann. Wir haben in unserer Partei darüber lange und intensiv diskutiert, aus den Erfahrungen mit Militäreinsätzen gelernt und um die Prinzipien und Kriterien gerungen, nach denen wir beurteilen, ob ein Auslandseinsatz der Bundeswehr verantwortbar ist. Wir können ein gewaltsames militärisches Eingreifen im Einzelfall nur dann mittragen, wenn es aufgrundlage eines völkerrechtlich klaren Mandates der VN sowie eines Bundestagsmandats erfolgt. Das Handeln der Soldatinnen und Soldaten ist ohne Ausnahme an Grund- und Menschenrechte gebunden. Der internationalen Tendenz zur zunehmenden Privatisierung militärischer Aufgaben stellen wir uns entgegen. Der politische Gesamtansatz muss klar definiert und aussichtsreich sowie die Risiken verantwortbar sein. Dazu bedarf es nicht nur eindeutiger Einsatzregeln: Wir haben einen nachvollziehbaren Kriterienkatalog für die Bewertung künftiger und zu verlängernder Auslandseinsätze sowie konkrete und überprüfbare Zielvorgaben für alle jeweils eingesetzten Mittel vorgelegt, der für jede Entscheidung die Grundlage bietet. Wir fordern eine unabhängige Evaluation internationaler Einsätze. Militärische und zivile Einsatzkräfte haben einen Anspruch auf umfassende Fürsorge und Betreuung während und nach dem Einsatz. Dies gilt auch für ihre Angehörigen. Die gesellschaftliche Anerkennung von Soldatinnen und Soldaten darf nicht mit einer Verherrlichung militärischen Handelns einhergehen. Ein frühes Eingreifen bei Konflikten, die early action, funktioniert nur mit entsprechendem Personal. Wir wollen deshalb die VN und Regionalorganisationen, vor allem die EU und OSZE, in ihren Fähigkeiten zur zivilen Krisenprävention stärken.
Für uns haben direkt geführte VN-Missionen Vorrang vor EU- oder NATO-geführten Missionen. An der Vision, den VN eigene ständige Truppen zu unterstellen anstatt nationaler Militärkontingente, halten wir fest. Wir setzen uns dafür ein, dass Deutschland VN-Missionen - zivile wie militärische - nicht nur finanziell, sondern auch personell stärker unterstützt. Daher muss Deutschland den VN mehr ziviles Fachpersonal zur Verfügung stellen. Die Bundeswehr muss europatauglicher und VN-fähiger werden, das heißt, sie muss so umgebaut werden, dass sie ihren stabilisierenden und schützenden Aufgaben in internationalen Konflikten besser gerecht werden kann. Dieses Leitbild sollte wegweisend für die Bundeswehrreform sein. Die Abschaffung der Wehrpflicht war überfällig. Die derzeitigen Reformpläne der Bundesregierung gehen nicht weit genug. Die Bundeswehr muss deutlich mehr zur Haushaltskonsolidierung beitragen, auch durch weiteren Personalabbau. Die ursprünglichen, aber nie eingehaltenen Sparbeschlüsse von Schwarz-Gelb haben gezeigt, dass der Wehretat schrumpfen muss. Viele Beschaffungsprojekte sind vorwiegend industriepolitisch begründet und müssen auf den Prüfstand. Die wirtschaftlichen Folgen militärischen Strukturwandels sind durch eine aktive Konversionspolitik auszugleichen. Wir wollen über 10% des derzeitigen Wehretats einsparen.
Allerdings muss natürlich auch Schluss sein mit der unkontrollierten und geheimen Rüstungsexportpolitik. Deutschland ist der weltweit drittgrößte Exporteur von Rüstungsgütern. Vor allem unter der Regierung Merkel fielen jegliche Schamgrenzen, wenn es darum ging, Milliardendeals auch mit autoritären Staaten wie Saudi-Arabien zu machen. Und die Bundeskanzlerin verklärt diese Exportpolitik zynisch als Form der Konfliktbearbeitung. Zugleich widerspricht es demokratischen Grundsätzen, wenn Rüstungsgeschäfte im Bundessicherheitsrat genehmigt werden, ohne dass Parlament und Öffentlichkeit informiert werden. Deswegen wollen wir ein verbindliches und restriktives Rüstungsexportgesetz einführen, das deutsche Rüstungsexporte nur nach klaren Kriterien erlaubt. Dabei sollen diese Kriterien so konkretisiert werden, dass sie im Wege einer Verbandsklage vor einem Gericht eingeklagt werden können. Die Zuständigkeit wollen wir vom Wirtschaftsministerium auf das Auswärtige Amt übertragen. Rüstungsexporte in Staaten, die Menschenrechte mit Füßen treten, darf es nicht mehr geben. Eine grüne Regierungsbeteiligung gibt es daher nur mit einer anderen Rüstungsexportpolitik, die endlich mehr Transparenz und Kontrolle ermöglicht und restriktiv ist.
Herzliche Grüße
Ihr Özcan Mutlu