Frage an Özcan Mutlu von Göki A. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Lieber Özcan, wie sollte man, nach deiner Meinung, Kinder aus nicht deutscher herkunft beim Erwerb der deutschen Sprache fördern. Wir sehen, hauptsächlich in Kreuzberg, dass es da viele Schwierigkeiten gibt.
Lieber Göki Akgün,
vielen Dank für die Anfrage. Der Spracherwerb von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund ist in der Tat sehr problematisch. Die PISA-Studie und mehrere Sprachstandserhebungen bei Berliner Schulanfängern haben deutlich gezeigt, dass die Sprachdefizite von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund alarmierend sind. Die Kinder kommen mit unzureichenden Sprachkenntnisse in die Schule und haben große Schwierigkeiten dem Unterricht zu folgen, geschweige die Lehrerin oder den Lehrer zu verstehen. Darüber hinaus wirken sich sprachliche Defizite in Sachfächern kummulativ aus, so dass Jugendliche mit unzureichender Lesekompetenz in allen Schulfächern in ihrem Kompetenzerwerb beeinträchtigt sind. Hinzukommt, dass das deutsche Bildungssystem für Familien ausländischer Herkunft eine Reihe ungewohnter Anforderungen darstellt. Häufig fehlt es an Kenntnissen der hiesigen Bildungsinstitutionen, vor allem des gegliederten Schulsystems. Familien mit Migrationshintergrund sind oft nicht in der Lage, eine gezielte Wahl der Bildungsinstitutionen vorzunehmen und Aufgrund ihrer eigenen, z.T. geringen Schulerfahrungen häufig auch nicht möglich, den Schulalltag zu begleiten bzw. die schulische Stressbelastung ihrer Kinder aufzufangen. Eltern-LehrerInnen-Gespräche scheitern häufig an der sprachlichen Distanz, die Kommunikation wird sogar häufig aus Angst und Unsicherheit vermieden. Demgegenüber konzentrieren sich die Lehrkräfte eher auf ihre fachwissenschaftliche Qualifikation und verfügen selten über fundierte pädagogisch-psychologische Kenntnisse und Kompetenzen in der interkulturellen Kommunikation. Es überwiegt häufig eine defizitäre Betrachtung und die Bikulturalität und Bilingualität der SchülerInnen werden eher als Integrationshindernis denn als Ressourcen betrachtet.
Da Spracherwerb, Sprachfähigkeit und schulischer Erfolg auf das engste verkoppelt sind, muss deswhalb dem Spracherwerb im Kindergarten und in der Grundschule hohe Aufmerksamkeit gewidmet werden. Erst die Verfügung über die deutsche Sprache in Wort und Schrift ermöglicht eine aktive Auseinandersetzung mit der hiesigen Gesellschaft und ihrer Kultur. Dabei ist die Beherrschung der deutschen Sprache eine entscheidende Voraussetzung nicht nur für den Bildungserfolg, sondern auch für eine gleichberechtigte Teilnahme an der Gesellschaft und steht nicht im Widerspruch zum Wunsch mancher ausländischer Familien, die Muttersprache zu pflegen. Daher ist für alle Bildungseinrichtungen eine stärkere multikulturelle und multilinguale Ausrichtung der Kollegien wichtig. Als besonders wichtig ist die Ausbildung und Fortbildung des Lehrpersonals und deren interkulturelle Qualifikation anzusehen.. Denn ein wesentlicher Mangel im Schulsystem liegt im Fehlen durchschlagender interkultureller Curricula und Schulprogramme sowie in der Abwesenheit Lehrkräften mit Migrationshintergrund im Regelunterricht begründet.
Konsequente Förderprogramme zum Abbau von Sprachdefiziten, gezielte Maßnahmen zum Erwerb fehlender Schulabschlüsse sowie strukturverbessernde Maßnahmen für Schulen mit hohem Anteil von SchülerInnen nichtdeutscher Herkunft, sind deshalb unabdingbar.
Das entlässt allerdings die Eltern und die Familien keineswegs aus der Verantwortung. Die besten Bildungsmodelle und Schulprogramme sind zum Scheitern verurteilt, solange die Elternhäuser, die Schule als wichtige Bildungs- und Erziehungsinstanz nicht begleiten. Deshalb ist es erforderlich die Elternhäuser zu erreichen und sie für eine bessere Bildung ihrer Kinder zu gewinnen. Teilweise ist es auch notwendig die Eltern zu bilden. Elternbildung, wie sie beispielsweise im Rahmen der Berliner Mütterkurse geschieht, ist sehr wichtig und notwendig!
Herzliche Grüße
Özcan Mutlu