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Nina Scheer
SPD
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Frage von Thomas S. •

Frage an Nina Scheer von Thomas S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Guten Tag Frau Scheer,

die SPD-Fraktion fordert ein entschlossenes politisches und gesamtgesellschaftliches Engagement zur Bekämpfung von Antisemitismus:.

"Die SPD-Bundestagsfraktion verurteilt jede Form von Judenfeindlichkeit. Der größte Teil antisemitischer Delikte ist weiterhin rechtsextrem motiviert, antisemitische Einstellungen im Rechtsextremismus sind seit Jahrzehnten stark ausgeprägt. (...) Antisemitismus findet sich in allen politischen Lagern und er nimmt mit dem Antizionismus und der Israelfeindlichkeit auch neue Formen an.(...)Wir verurteilen den Aufruf zum Boykott israelischer Geschäfte und Waren aus Israel aufs Schärfste und treten der weltweiten Bewegung „Boycott, Divestment, Sanctions“ entschlossen entgegen."

https://www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/konsequent-gegen-antisemitismus

1. Haben Sie eine Erklärung dafür warum antisemitische Tendenzen bedrohliche Formen und Ausmaße annehmen?

2. Könnte diese Entwicklung ein Versagen von deutscher Politik und Gesellschaft bedeuten?

3. Wie stehen Sie zu der israelischen Siedlungspolitik und dem Verhalten Israels gegenüber der palästinensischen Bevölkerung?

4. Würden Sie politische Proteste gegen die israelische Siedlungspolitik als judenfeindlich werten?

5. Die SPD verurteilt den Aufruf zum Boykott israelischer Geschäfte und Waren aus Israel aufs Schärfste.und tritt der weltweiten Bewegung „Boycott, Divestment, Sanctions“ entschlossen entgegen. Warum?

6. "Boycott, Divestment, Sanctions“ fordert unter anderem alle auf Palästinensergebieten gebauten, nach internationalem Recht illegalen israelischen Siedlungen aufzugeben, wie stehen Sie zu dieser Forderung?

8. Wie konsequent ist die SPD, wenn diese wegen der Besetzung der Krim Sanktionen gegenüber Russland mit beschließt, aber Sanktionen verurteilen will, die sich gegen die Besatzungs- und Siedlungspolitik Israels wenden?
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Viele, Grüße-T. S.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Schüller,

im Folgenden finden Sie meine Antworten jeweils zu Ihren Fragen.

Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Nina Scheer

1. Haben Sie eine Erklärung dafür warum antisemitische Tendenzen bedrohliche Formen und Ausmaße annehmen?

Leider ist es der Gesellschaft in Deutschland über die letzten Jahrhunderte nicht gelungen, Antisemitismus vollständig zu überwinden. Hinzu kommt der israelbezogene Antisemitismus, der sowohl bei Menschen mit als auch ohne Migrationshintergrund auf erschreckende Zustimmungsraten stößt.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) hat einen antisemitischen Anstieg festgestellt und führt das vor allem auf den Israel-Palästina-Konflikt zurück. Kein politischer Konflikt darf aber dazu führen, dass sich Hass gegen ganze Nationen, Religionsgemeinschaften oder ethnische Gruppen richtet – und auch nicht gegen Einzelne. Eben solche Situationen müssen verstärkt dazu aufrufen, Antisemitismus und Israelfeindlichkeit zu verurteilen und keinen Raum zu geben.

Antidemokratische Tendenzen und Tabubrüche in der Politik, zu denen auch der US-amerikanische Präsident Donald Trump beiträgt und in Deutschland die AfD, schreiten unaufhaltsam voran und finden über eine populistische Politisierung in den sozialen Medien eine rasende Verbreitung und Verstärkung. Antisemitismus wird in der digitalisierten Welt heute deutlicher und schneller verbreitet und vor allem sichtbar als noch vor einigen Jahren. Es bleibt eine der großen Herausforderungen, wie dem von parlamentarischer Seite zu begegnen ist. Der Gesetzgeber hat hierzu einige Initiativen ergriffen und Gesetze erlassen, deren Wirksamkeit fortlaufend beobachtet und ggfs. nachgebessert werden muss. Dies geschieht auch aktuell wieder für wirksame Maßnahmen gegen Hetze im Netz.

2. Könnte diese Entwicklung ein Versagen von deutscher Politik und Gesellschaft bedeuten?

Alle Entwicklungen, die nicht im Einklang mit dem Wertegerüst unserer Verfassung und unserem Rechtssystem stehen, gilt es vehement zurückzudrängen. Die sich stets wandelnden Aufgaben der Zeit spiegeln politische Handlungsbedarfe. Stets gilt es dabei auch das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung zu erkennen. Manchmal werden Ursachen für Folgewirkungen erst viele Jahre später erkannt, manchmal fahrlässig, manchmal, weil man es nicht besser wusste oder es unterschiedliche Auffassungen über „richtige“ Wege gab. In solchen Bereichen, in denen wider besseren Wissens politisch entschieden wird, liegt jedenfalls ein Versagen vor. Wenn etwa Rechtsextremismus verharmlost wird oder aber mit erkennbar rechten Positionen Stimmen gefangen werden, ist dies politisches Versagen. Gleiches gilt für die Gesellschaft als Ganzes. Wo Rechtsextremismus hingenommen oder gar „genutzt“ wird, um einen Protestwillen zu bekunden, ist dies auch das individuelle politische Versagen eines jeden Einzelnen. Dies ist auf alle Handlungsfelder übertragbar. Wenn etwa eine beschleunigte Energiewende zum Schutz des Klimas und zur Abwendung von Kriegen um sich verknappende fossile Ressourcen nicht trotz unbezweifelbarer Notwendigkeit politisch verfolgt wird, ist das ebenfalls ein politisches Versagen.

3. Wie stehen Sie zu der israelischen Siedlungspolitik und dem Verhalten Israels gegenüber der palästinensischen Bevölkerung?

• Mit der SPD-Fraktion vertrete ich die klare Position, dass der fortgesetzte Siedlungsbau gegen Völkerrecht verstößt und eine Lösung des Nahostkonflikts immer schwieriger macht. Der Siedlungsbau ist nicht das einzige Hindernis für eine Zwei-Staaten-Lösung, aber jede neue Wohneinheit festigt eine Ein-Staaten-Realität, in der Palästinensern die volle Ausübung ihrer zivilgesellschaftlichen Rechte verwehrt bleibt.

• Das sozialdemokratisch geführte Auswärtige Amt äußert sich regelmäßig auch öffentlich zum Siedlungsbau und appelliert an die israelische Regierung, den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau einzustellen.

4. Würden Sie politische Proteste gegen die israelische Siedlungspolitik als judenfeindlich werten?

Dies kommt meiner Auffassung nach auf die Motivationslage der Protestierenden an. Wenn der politische Protest Ausdruck sachlicher fundierter Kritik ist, die sich an völkerrechtlichen Wertmaßstäben messen lässt, erkenne ich darin keine Judenfeindlichkeit. Wenn aber der gleiche Protest von einer Motivation der Judenfeindlichkeit getragen ist, handelt es sich um Judenfeindlichkeit, selbst wenn zugleich objektive, sachlich fundierte Gründe des Protestes vorliegen sollten. So kann der nach außen hin identisch wirkende Protest zweier Personen in dem einen Fall vom Einsatz für Gerechtigkeit getragen sein und in dem zweiten Fall von Judenfeindlichkeit.
Im internationalen Kontext wurde Kritik am Staat Israel zwar auch in die Definition von Antisemitismus aufgenommen, welche die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) vorschlägt, die Definition wird jedoch in einer neueren Version von 2016 relativiert: „Kritik, ähnlich derjenigen gegenüber anderen Ländern, kann indes nicht als antisemitisch eingestuft werden.“

5. Die SPD verurteilt den Aufruf zum Boykott israelischer Geschäfte und Waren aus Israel aufs Schärfste.und tritt der weltweiten Bewegung „Boycott, Divestment, Sanctions“ entschlossen entgegen. Warum?

Sachlich fundierte Kritik an Regierungshandeln kann auf verschiedenen Wegen Ausdruck verliehen werden. Wenn aber ein Boykott organisiert wird, trifft dies auch Menschen, die für die beklagten Umstände nicht verantwortlich sind. Dies sehe ich übrigens auch bei handelspolitischen Sanktionen kritisch. In Bezug auf den Boycott, Divestment, Sanctions (BDS) wurden dem Deutschen Bundestag Erkenntnisse übermittelt, die den Verdacht nährten, dass sich dem BDS auch Menschen mit judenfeindliche Gesinnung angeschlossen hatten. Da die SPD jedem Anschein entgegentritt, einem judenfeindlichen Motiv zu folgen, schloss sie sich dem genannten Antrag (Drs. 19/444) an. Es wurde auf Drängen der SPD aber ein klarstellender Passus in den Antrag aufgenommen, wonach legitimierende Aussagen in Bezug auf solches Regierungshandeln Israels ausgeschlossen wird, das für sich genommen völkerrechtlich zu missbilligen ist. Im Wortlaut fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf, „der weitweiten Bewegung „Boycott, Divestment, Sanctions“ entschlossen entgegenzutreten. Der Deutsche Bundestag verurteilt den Aufruf zum Boykott israelischer Geschäfte und Waren sowie die Aufbringung von „Don’t Buy“-Schildern auf Waren aus Israel aufs Schärfste. Es ist Aufgabe der unabhängigen Justiz, zu prüfen, inwieweit durch einen Boykott Straftatbestände, z.B. Volksverhetzung, erfüllt sind und gegebenenfalls angemessene Sanktionen gegen die Täterinnen und Täter zu verhängen.“

6. "Boycott, Divestment, Sanctions“ fordert unter anderem alle auf Palästinensergebieten gebauten, nach internationalem Recht illegalen israelischen Siedlungen aufzugeben, wie stehen Sie zu dieser Forderung?

Hierzu verweise ich auf die obigen Antworten.

8. Wie konsequent ist die SPD, wenn diese wegen der Besetzung der Krim Sanktionen gegenüber Russland mit beschließt, aber Sanktionen verurteilen will, die sich gegen die Besatzungs- und Siedlungspolitik Israels wenden?

Meine persönlichen grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber Sanktionen habe ich bereits oben zum Ausdruck gebracht und verweise an dieser Stelle auf eben diese Aussagen.

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