Haben die USA einen völkerrechtlich legitimen und aus Sicht Deutschlands geostrategisch unterstützenswerten Anspruch in/auf Europa, Asien und Afrika?
Sehr geehrter Herr Dr. Schmid,
ist aus heutiger Sicht die Einschätzung von Altkanzler Helmut Schmidt vom 31.10.1997 zum Strategiepapier der USA von Brzezinski (Chessboard) aus dem Jahre 1997 falsch? Sind die im Strategiepapier formulierten Ansprüche unter Berücksichtigung unserer Erfahrungen aus zwei Weltkriegen mit demokratischen und vor allem friedfertigen Prinzipien/Mitteln unserer Werteunion und ohne eigenen Wohlstandsverlust oder gar Schaden für uns umsetzbar?
Sehr geehrter Herr Dr. J.,
danke für Ihre Nachricht. Ich will gleich vorweg anmerken, dass ich das von ihnen erwähnte Buch von Zbigniew Brzezinski, dem Sicherheitsexperten und Berater des ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, das dieser vor einem Vierteljahrhundert veröffentlicht hat, nicht gelesen habe. Ich werde im Folgenden trotzdem versuchen, Ihre Frage, sowie ich sie verstehe, zu beantworten.
Mit Blick auf die globalpolitischen Dynamiken will ich zunächst anmerken, dass die Zeiten der uni- oder bipolaren Ordnung vorbei sind und wir eine zunehmende Multipolarität erkennen können, in der sich unterschiedliche Machtzentren herausbilden und verschiedene Staaten und Regionen um Einfluss konkurrieren. Für uns ist vollkommen klar, dass die Vereinigten Staaten von Amerika unser engster und wichtigster außereuropäische Partner sind und auch weiterhin bleiben werden. Die USA sind die älteste Demokratie der Welt, mit der wir freiheitliche Werte sowie unseren starken Einsatz für Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte teilen. Gemeinsam machen wir uns stark für eine regelbasierte multilaterale Weltordnung. Klar ist auch, dass die USA und die NATO weiterhin Garanten für die Sicherheit in Europa sind. Unter anderem die Amtszeit von Donald Trump hat uns aber auch vor Augen geführt, dass wir uns als Europäer souveräner aufstellen und mehr in unsere Sicherheit investieren müssen. Wir brauchen ein handlungsfähiges Europa – sowohl nach innen wie auch nach außen. Die Zeitenwende durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine wirkt wie ein Katalysator auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa. Wir werden diese Dynamik nutzen, um die Zusammenarbeit zwischen den EU-Ländern in diesen Bereichen zu verstärken, um die eigenen Fähigkeiten auszubauen und dadurch den europäischen Pfeiler der NATO zu stärken. Mit Blick auf die unsere Unterstützung für die Ukraine und den harten Sanktionen gegen Russland werden wir weiter im engen Schulterschluss mit den USA vorangehen. Da sich die USA zunehmend dem indopazifischen Raum zuwenden, müssen wir mehr sicherheitspolitische Verantwortung in der direkten Nachbarschaft übernehmen, um die transatlantischen Beziehungen zu einer echten Führungs- und Verantwortungspartnerschaft weiterzuentwickeln.
Mit freundlichen Grüßen
Nils Schmid, MdB