Frage an Niels Annen von Sebastian H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Annen,
gegenwärtig unterhält die Europäische Union Sanktionen/Embargos unterschiedlicher Reichweite gegen verschiedene Länder der Welt. Damit sind natürlich Erwartungen/Hoffnungen auf politische Veränderungen in den Zielländern gegeben. Allerdings gibt es offenbar kein europäisches Monitoring-System, das die konkreten Auswirkungen dieser Maßnahmen überwacht.
Wie informieren sich die Abgeordneten des Parlaments / wie informieren Sie sich über die tatsächlichen Wirkungen dieser Sanktionen in den Zielländern?
Mit freundlichen Grüßen
S. H.
Sehr geehrter Herr H.,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 14.08.2017.
Kaum ein Instrument aus dem Werkzeugkasten der zivilen Außen- und Sicherheitspolitik wird so kontrovers diskutiert wie Sanktionen. Im US-Wahlkampf bezeichnete Donald Trump die Aufhebung der Iran-Sanktionen im Gegenzug für den Rückbau des iranischen Atomprogramms als „worst deal ever“. Im französischen Präsidentschaftswahlkampf plädierten gleich drei Kandidaten – Le Pen, Fillon und Mélenchon – für eine Aufhebung der Russland-Sanktionen. Auch in Deutschland wird regelmäßig über das Für und Wider von Sanktionen gestritten.
Die Auswirkungen von Sanktionen lassen sich nicht immer unmittelbar in konkreten Zahlen und Statistiken ausdrücken. Gleichwohl ergibt sich für uns Abgeordnete sowohl anhand öffentlich zugänglicher Quellen als auch aus vertraulichen Berichten ein relativ gutes Bild über die Auswirkungen von Sanktionen auf das betreffende Land.
Sanktionen sind in erster Linie ein politisches Instrument, um den Adressaten zu einer Kurskorrektur seiner – in der Regel als völkerrechtswidrig eingestuften – Politik zu bewegen. Sie werden insbesondere dann angewendet, wenn andere Instrumente keine Erfolgsaussicht haben bzw. bereits gescheitert sind und die Anwendung militärischer Mittel ausgeschlossen werden.
Am 22./23. Juni 2017 haben die Staats- und Regierungschefs der EU erneut über die halbjährliche Verlängerung der Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen Russland entschieden. Seit deren erstmaligem Beschluss 2014 unmittelbar nach den Völkerrechtsbrüchen auf der Krim und in der Ostukraine wird hierzulande viel und intensiv darüber diskutiert. Deshalb ist die Frage mit Blick auf die EU-Sanktionen gegen Russland, Iran, Syrien und Nordkorea berechtigt: Was bringen eigentlich Sanktionen, tragen sie wirklich zur Erreichung des gewünschten Ziels bei?
Hierzu gilt es in zunächst einmal faktisch fest zu halten:
• In der EU gibt es insgesamt über 30 Sanktionsregime mit unterschiedlichen Zielsetzungen wie Nukleare Nichtverbreitung (z.B. Iran, Nordkorea), Wiederherstellung territorialer Integrität (Russland, Syrien), Bekämpfung von Terrorismus (ISIS, Al-Qaida), Rückführung veruntreuter Staatsgelder (Tunesien, Ägypten) oder Beendigung interner Repressionen (Belarus, Jemen).
• Aktuell sind rund 1.500 Personen mit einem Einreiseverbot nach Europa belegt bzw. sind die Gelder von 500 ausländischen Unternehmen in Europa eingefroren. Daneben gibt es zunehmend maßgeschneiderte Wirtschafts- und Finanzsanktionen inkl. (Öl-) Importverbote.
• EU-Sanktionen werden einstimmig im Rat der EU beschlossen und anschließend unmittelbar durch die Mitgliedstaaten umgesetzt. Die 28 EU-Mitgliedstaaten haben somit ihre nationalen Sanktionspolitiken de facto zu 100 Prozent europäisiert – das ist einmalig in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik!
• Auch wenn viele anderes behaupten: Die ökonomischen Kosten von Sanktionen können nicht abschließend bestimmt werden, eine verengte „pain-gain“-Sichtweise mit Hilfe statistischer Modelle ist schlicht nicht möglich. Dennoch, die beispielweise durch die Russland-Sanktionen erfolgten Verluste in der EU können realistisch auf einen jährlich einstelligen Milliardenverlusten geschätzt werden, unterschiedlich verteilt auf Mitgliedstaaten und Wirtschaftssektoren sowie (ungleich höher) verstärkt durch Gegensanktionen oder Risikoaufschlägen bei Finanzierungsgeschäften.
• Richtig ist auch, dass die Sanktionen gegen Russland bislang die territoriale Integrität der Ost- bzw. Südukraine nicht wieder hergestellt haben. Allerdings wurde der Vormarsch der Rebellen in Ukraine gestoppt, noch mehr unermessliches Leid verhindert und der Preis der erfolgten Landnahmen zusätzlich so hoch getrieben, dass die Auswirkungen auf den russischen Staatshaushalt erkennbar sind.
Um es auf den Punkt zu bringen: Sanktionen sind kein Politikziel an sich. Der ehemalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat in einer Rede im Mai 2016 zu Recht darauf hingewiesen: „Sanktionen sind kein Selbstzweck. Und: Sanktionen sind erst recht kein Mittel, um einen anderen Partner in die Knie zu zwingen. (…) Sanktionen müssen dazu dienen, Anreize zu erhalten für ein politisches Verhalten.“
Das beste Beispiel hierfür ist das Nuklearabkommen mit Iran welches untrennbar mit sozialdemokratischer Außenpolitik verknüpft ist. Hier ging der Nutzen von Sanktionen Hand in Hand mit unserem Ansatz von friedlicher Konfliktbeilegung – und zwar ohne gefährliches Säbelrasseln oder einer unverantwortlicher Erhöhung von Rüstungs- zu Lasten von Sozialausgaben. Am Beispiel Iran haben Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel gemeinsam mit ihren Außen- und Wirtschaftsministerkollegen mittels Wirtschaftssanktionen einen vorsichtigen „Wandel durch Annäherung“ geschafft.
Zwar verletzt das iranische Regime auch weiterhin Menschenrechte und beteiligt sich an zahlreichen Stellvertreterkriegen in der Region - allerdings wurde die Gefahr einer Nuklearmacht Iran bis auf weiteres gebannt. Dies zeigt, dass Sanktionen durchaus Erfolg haben können, wenn auch nicht immer sofort und für alle sichtbar. Gerade deshalb ist eine differenzierte Bilanz so wichtig.
Dabei bedarf es allerdings dem Zusammenwirken mehrerer Erfolgsfaktoren, auch und gerade mit Blick auf Russland: Erstens eine klare Zielorientierung: Bei Iran war dies auf eine friedliche Nutzung von Kernenergie abgegrenzt, bei Russland/Ukraine muss es zunächst um eine friedliche Konfliktbeilegung gehen. Zweitens ein funktionierendes Dialogformat, wie dies bei den Iran-Gesprächen mit den fünf ständigen Mitgliedern im VN-Sicherheitsrat plus Deutschland der Fall war und drittens eine plausible Kosten-Nutzen-Rechnung: Je enger die wirtschaftlichen Verflechtungen mit dem Zielland, desto stärker das Druckpotenzial der Wirtschaftsmacht EU. Dies galt bei Iran insbesondere hinsichtlich essenzieller Wirtschaftsgüter wie Öl, Gas oder Finanzdienstleistungen. Die Voraussetzungen gegenüber Russland sind zwar nicht identisch, aber ähnlich.
Was bedeutet dies nun für die Russland-Sanktionen der EU? Wo müssen angesichts der oben aufgeführten Erfolgsfaktoren andere bzw. zusätzliche Anreize gesetzt werden, um die Befriedung der Ukraine zu erreichen und die Abfolge gegenseitiger Schuldzuweisungen zu durchbrechen? Sprechen die richtigen Akteure miteinander? Sind die ökonomischen Anreize richtig gesetzt? Muss das Abkommen von Minsk möglicherweise angepasst werden? Sind die richtigen Politikfelder miteinander verknüpft?
Diese und andere Fragen müssen immer wieder aufs Neue gestellt und beantwortet werden, damit Sanktionen nicht zu einem Selbstzweck verkommen, sondern mit dazu beitragen, das gewünschte politische Ziel zu erreichen.
Mit freundlichen Grüßen
Niels Annen