Sehr geehrte Frau Menschel, beim Thema Paragraph 218 sind Sie gegen die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrecherinnen, warum? Beste Grüße Johan M.

Sehr geehrter Herr M.,
ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland schon jetzt straffrei, wenn er in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft vorgenommen wird und die schwangere Frau sich zuvor beraten lassen hat. Er ist aber rechtswidrig. Dieses besondere, aber wirksame rechtliche Konstrukt hat das Bundesverfassungsgericht selbst dem Gesetzgeber aufgegeben, um einen ausreichenden Schutzstatus für das ungeborene Leben zu erwirken, denn "Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen Leben zu" (BVerfGE 88, 203). Das Grundgesetz verpflichte den Staat, menschliches Leben, auch das Ungeborene, zu schützen. Hierbei ist auch ein Untermaßverbot zu beachten, welches den Gesetzgeber verpflichtet, für einen angemessenen Schutz wichtiger Rechtsgüter zu sorgen. Auf den Einsatz des Strafrechts sei nicht frei zu verzichten.
Widerstreitende Grundrechtsgüter sind in einen Ausgleich zu bringen. Die Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch dient dem Schutz des ungeborenen Lebens und ist im Zweifel die einzige Fürsprache, die das ungeborene Leben erhält. Die Beratung dient aber auch dem Schutz der Frau vor einer Entscheidung, die sie eventuell ihr Leben lang begleitet. Es ist ein Ort, an dem die Schwangere Sorgen teilen und zur Ruhe kommen kann. Gleichzeitig erhält sie dort alle notwendigen Informationen, um eine selbstbestimmte und reflektierte Entscheidung treffen zu können.
Die Selbstbestimmung der Frau wird nicht in einem erheblichen Maße beeinträchtigt. Sie kann nach wie vor frei entscheiden. Die Selbstbestimmung ist ein wichtiges Rechtsgut, aber es steht nicht über allem und besonders nicht über der Menschenwürde, die auch dem ungeborenen Leben zukommt. Das Bundesverfassungsgericht hat die Thematik bereits klar entschieden. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sind bindend für die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Der Gesetzgeber ist zwar nicht daran gehindert, eine Neuregelung zu treffen. Aber es ist nicht davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht seine bisherige Rechtsprechung aufgeben wird.
Mit der Streichung von § 218 aus dem StGB würde sich die vermeintlich unzureichende Versorgungslage nicht verbessern. Wenn das Angebot an Ärzten oder Kliniken, die Abbrüche anbieten, nicht ausreichen würde, wäre es tatsächlich Auftrag der Politik, die Situation zu verbessern. Dies erfordert jedoch andere Mittel als eine Anpassung des Strafrechts.
Die Würde des Menschen kann niemals vom medizinischen Fortschritt abhängig sein. Dort, wo die Verletzlichkeit des Lebens besonders hoch ist, muss auch der Schutz in besonderer Weise gewährleistet sein. Ein Aufkündigen des sorgsam austarierten Abtreibungskompromisses birgt die Gefahr einer weiteren spalterischen Debatte in unserem Land. Dabei ist die Streichung von § 218 aus dem Strafgesetzbuch ein parteipolitisches Anliegen vor allem von den Grünen und der SPD, es kommt nicht aus der Mitte der Gesellschaft.
Als Mutter zweier erwachsener Kinder halte ich es besonders auch für jede Frau für wichtig, sich vorher einer Beratung zu unterziehen. In manchen Fällen ist eine Schwangerschaft, die zum Abbruch führt die einzige Schwangerschaft im Leben einer Frau, was im späteren Alter noch zu erheblichen psychischen Belastungen führen kann.
In diesem Zusammenhang finde ich es gerade auch von der Fraktion der Grünen erstaunlich, dass eine solche Debatte nahezu gleichzeitig angeschoben wird, wie eine Debatte zum Einsatz deutscher Soldaten in Kriegsgebieten. Das passt für mich nicht zusammen.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Frage mit den Positionen der CDU/CSU und meiner eigenen Meinung ausreichend beantworten.
Mit freundlichen Grüßen,
Michaela Menschel