Michael Mattig-Gerlach, Landtagskandidat im Wahlkreis Stuttgart II
Michael Mattig-Gerlach
FREIE WÄHLER
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Michael Mattig-Gerlach zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Felix S. •

Frage an Michael Mattig-Gerlach von Felix S. bezüglich Verkehr

Ich habe eine Frage an Landtagskandidaten in Stuttgart.

Wie stehen Sie im Jahr 2021 zu dem Projekt Stuttgart 21?
Wäre es für die Stadtentwicklung Stuttgarts nicht ein großer Vorteil, wenn der ganze Kopfbahnhof erhalten wird, damit bei einer echten Verkehrswende doppelt bis 3 mal so viele Züge wie heute nach Stuttgart fahren können?
Ist die Verbindung von Stuttgart mit dem Umland nicht wichtiger, als der Zubau dieser heutigen Bahnfläche mit Gebäuden?
Zeigt nicht auch die Corona-Pandemie, dass es sinnvoll ist, die Fahrgäste auf mehr Bahnsteige und Züge zu verteilen?
Wie bewerten Sie das Tragen der Masken in Bus und Bahn? In meinem Zug sitzt ein Fahrgast, der behauptet, dass die Verteilung der ausgeatmeten Luft im Raum durch die Maske viel gefährlicher sei, als bei ungehinderter Nasenatmung. Da Politik hier Beschlüsse fasst, haben Sie oder Ihre Partei sich sicher dazu sachkundig gemacht. Wie bewerten Sie diese Aussage? Kann ich der widersprechen oder sollte die Politik dies noch mal prüfen?
Ein Bekannter will wegen der Maskenpflicht sich ein Auto kaufen trotz optimaler Busverbindung. Corona scheint den ÖPNV so schwer zu schaden. Es nutzen wieder mehr Menschen das viel gefährlichere Auto und dem ÖPNV brechen die Fahrgeldeinahmen weg. Sollten auch die Steuereinnahmen dauerhaft geringer ausfallen, befürchte ich massive Einschränkungen im Angebot, statt der notwendigen Verkehrswende. Wie sieht ihre Strategie aus, die Corona-Pandemie zu überwinden und die Verkehrswende zu erreichen? Ist die Impfung die einzige Lösung oder gibt es andere Wege sich gegen Infektionen zu schützen?
Da wir jetzt wieder mehr Sonnenlicht haben frage ich mich, ob bei Abstand unter freien Himmel (u.a. Bahnsteige und Haltestellen) eine Maskenpflicht schädlich ist, weil diese verhindert, dass unter der Haut des verdeckten Gesichtsbereiches Vitamin D gebildet wird, ein Vitamin, von dem wir nur genug haben, wenn wir viel Haut der hoch stehenden Sonne ausetzen?

Mit bestem Gruß, Felix Staratschek

Michael Mattig-Gerlach, Landtagskandidat im Wahlkreis Stuttgart II
Antwort von
FREIE WÄHLER

Sehr geehrter Felix Staratscheck,

herzlichen Dank für Ihre Fragen, die mir über Abgeordnetenwatch zugemailt
wurden.

Zu Stuttgart 21: Ich sehe dieses Projekt als eine der Pyramiden des
21.Jahrhunderts, mit dem ein landes- oder bundeseigener Pharao sich ein
Denkmal setzen wollte oder will. Ich möchte dies auch mit den absehbaren
Folgen begründen: Ich denke nicht, dass die damalige Volksabstimmung zum
Thema Stuttgart 21 zugunsten des Projekts ausgefallen wäre, wenn den
Abstimmenden damals die Fakten bekannt gewesen wären, die den
Verantwortlichen des Projekts schon bekannt waren, mit deren
Veröffentlichung sie aber wohlweislich warteten, bis nach der Abstimmung.
Es geht da vor allem um die Kosten und den Folgen daraus für die Bahn. Wenn
ein Projekt wie Stuttgart 21 so deutlich seine Wirtschaftlichkeit verfehlt,
dann darf es nicht in die Realisierungsphase gehen. Es sei denn, dahinter
stehen eben andere und eher irrationale Interessen.

Ich halte die Volksabstimmung für eine Irreführung sowohl der Bevölkerung
als auch der Politiker, wobei ich bei letzteren nicht verstehe, warum sie
trotz der Verheimlichung wichtiger Projektdaten bis heute an Stuttgart 21
festhalten. Die Folgen werden alle Steuerzahler zu spüren bekommen. Die
Bahn wird noch sehr lange an den immens gestiegenen Kosten leiden, wichtige
Infrastrukturprojekte, wie die Fortsetzung der Magistrale von der Nordsee
über die Bundesrepublik und die Schweiz bis ans Mittelmeer werden
verschoben oder kommen erst gar nicht in das Baustadium. Die
Umstrukturierung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene wird auch
wegen Stuttgart 21 auf sich warten lassen müssen.

Politisch gesehen brachte das ganze Projekt zu Recht den Wutbürger hervor.
Also jene Bürger, die sich nicht damit abfinden wollen, dass sie an der
Nase herumgeführt werden und dass man ihrem klar geäußerten Willen ebenso
klar entgegenhandelt - auch wider jedweder Vernunft. Die Konsequenz daraus
für die Politik muss sein, dass man bei allen Projekten von Beginn an die
Bürger mitnehmen muss, d.h. sie frühzeitig informieren und auch mit ihren
Interessen abstimmen. Das führt natürlich nicht in jedem Fall zu
übereinstimmendne Interessen von Wirtschaft, Politik und Bevölkerung.
Insbesondere Partikularinteressen oder stets auf den eigenen Vorteil
bedachte Bevölkerungsgruppen wird man auch damit nicht immer überzeugen
können. Den Versuch aber, dies dennoch zu probieren, ist in einer
Demokratie aber immer zielführend.

Ihre weiteren Fragen wie die nach dem Vorteil des Kopfbahnhofs oder einer
echten Verkehrswende erübrigen sich leider. Das Projekt ist nicht mehr zu
stoppen. Es ist zu weit vorangetrieben worden, weshalb wir alle nun leider
auch mit den Folgen leben werden und versuchen müssen, trotz allem für
Stuttgart und das ganze Land das Beste zu machen. Diese Pyramide kann nur
noch als Lehre für die Zukunft dienen, dass so etwas nie wieder passieren
darf!

Zur Frage nach den Masken: Bei allen Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie
sollten wir immer die Doppelseitigkeit sehen: Das Tragen einer Maske
schützt mich selbst - und schützt andere vor mir. Das Tragen einer Maske in
Bussen und Bahnen ist ja nicht die einzige Schutzmaßnahme. Abstandhalten
und das Vermeiden von vollen Bussen und Bahnen gehören auch dazu. Bei
vielen Maßnahmen, die im Zuge der Pandemie beschlossen wurden, muss man
festhalten, dass sie nicht der Weisheit letzter und bester Schluss waren
und sind. Es gibt sehr Vieles, was wir dann unter normalen Umständen
analysieren und für spätere - sicher auf uns wartende - Pandemien
verbessern können. Ich halte Maskentragen nach allem, was darüber bekannt
ist, als eine helfende und schützende Maßnahme, die sicher nicht alles,
aber sehr vieles verhindern kann. Wegen der Maskenpflicht sich ein Auto zu
kaufen, ist aus meiner Sicht nicht zielführend oder angemessen. Gleichwohl
gebe ich Ihnen recht, dass Corona den ÖPNV schadet. Busse und Bahnen werden
weniger genutzt, die Abonnements seltener gekauft. Leider geht es aber
derzeit in erster Linie darum, die Pandemie in den Griff zu bekommen.
Corona ist keine "kleine Grippe", sondern eine Pandemie, die viele Menschen
tötet und unseren Lebensstandard insgesamt bedroht. Alles, was wir tun
können, um ganz schnell wieder zu normalen Verhältnissen kommen zu können,
müssen wir alle tun.

Es gibt einiges, was man sehr schnell und wirkungsvoll gegen die Pandemie
tun kann. Nehmen Sie die Bildung und die Öffnung der Schulen als Beispiel:
Wenn wir uns alle darin einig sind, dass Kitas und Schulen vorrangig und so
schnell wie möglich geöffnet werden sollen, dann reicht dieser Wunsch
allein eben nicht aus. Sie müssen dafür Öffnungs-Modelle haben, neudeutsch:
Eine Exitstrategie - zum Lockdown. Das bedeutet für die Schulen
Wechselunterricht, wo und wann immer möglich Hybridunterricht und -
selbstverständlich - eine Betreuung innerhalb des Schulsystems für alle,
die nicht am Präsenzunterricht teilnehmen. Das kann und darf nicht den
Familien aufgezwungen werden, die eine Schulöffnung ebenso dringend
brauchen, wie die Unternehmen, für die sie arbeiten sollen. Die
wirtschaftlichen Verluste durch den schulischen Lockdown übersteigen um ein
Mehrfaches die Kosten, die man für zusätzliches Personal und Räume für die
Betreuung und die Umbauarbeiten für eine corona-bedingte Lüftung in den
Schulen investieren müßte.

Nach einem Jahr Corona gibt es immer noch keine umfassende Initiative, um
die Digitalisierung nicht nur unserer Schulen voran zu bringen. Sie können
jeden Schüler und jede Lehrkraft mit zehn Laptops, Tablets oder Smartphones
ausrüsten. Solange Lehrkräfte und Schüler*innen nicht wissen, wie
Digitalgeräte im Unterricht sinnvoll eingesetzt werden, ist das purer
Aktionsimus und wenig bis gar nicht hilfreich, um die aktuellen Probleme an
den Schulen zu lösen. Leider habe ich nirgends gemeinsame Aktionen im Land
oder in einzelnen Städten erkennen können, die eine Anbindung an
leistungsstarke Breitbandnetze für Schulen in kürzester Zeit zum Ziel hat.
In Stuttgart dauert das nach wie vor noch fünf Jahre bis zum Anschluss
aller Schulen.

Die Corona-Impfung ist eine der notwendigen Schritte zur Überwindung der
Pandemie. Es ist aber nicht die einzige Maßnahme. Bis die Pandemie
kontrollierbar ist, brauchen wir alle die Maßnahmen, die uns vor anderen
und andere vor uns schützen können, falls wir erkranken: Hygiene, Abstand,
Kontakt-Zurückhaltung. Je disziplinierter wir mit uns und andere mit uns
umgehen, desto schneller können wir uns wieder über etwas anderes als das
Leben unter Pandemiebedingungen unterhalten.

Den letzten Teil Ihrer Fragen erspare ich mir, weil ich das für
nebensächlich halte. Andere Probleme - wie die zuvor genannten - sind
eindeutig relevanter als die Frage ob unter der Maske die Bildung von
Vitamin D verhindert wird. Sie können, um es mal burschikos auszudrücken,
so viel Vitamin D bilden, wie Sie wollen, nach einer Corona-Infektion wird
es Ihnen dadurch nicht besser gehen, aber all denen, die Sie gegebenenfalls
mitinfiziert haben, sehr viel schlechter. (Und Ihnen ganz sicher auch.)

Mit herzlichen Grüßen
Michael Mattig-Gerlach