Frage an Michael Hennrich von Wolfgang B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Hennrich,
Wie können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, dass Sie dem EU-Vertrag
(Vertrag von Lissabon) zugestimmt haben, nachdem Sie sicher gewusst haben, dass der Vertrag nicht mehr Verfassungsgerecht ist. z.B.EU-Recht bricht nationales Recht. Die
nationalen Parlamente werden zu reinen Umsetzungsinstanzen von EU-Recht.
Das deutsche Grundgesetz wird damit außer Kraft gesetzt, und Deutschland
verliert seine existentielle Staatlichkeit. Der Vertrag hebt ein ganz
zentrales Verfassungsprinzip auf
"alle Staatsgewalt geht vom Volke aus", das Fundament unseres Staates und
die schrittweise Übertragung der Hoheitsrechte auf eine undemokratische
Wirtschaftsvereinigung mit dem Namen Europäische Union ist Verrat am Volk. Ich verweise auch auf die Aussagen von Prof. Schachtschneider Uni Erlangen-Nürnberg.
Ihre Antwort würde mich sehr interessieren, nachdem ich jetzt Ihrem
Wahlkreis zugeteilt bin.
Mit freundlichem Gruß
Wolfgang Burkhardt.
Sehr geehrter Herr Burkhardt,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 21. Mai 2008 bezüglich des Vertrags von Lissabon.
In Ihrer Kernaussage kann ich Ihnen nicht zustimmen, Herr Burkhardt, da der Vertrag von Lissabon aus meiner Sicht verfassungsgerecht ist. Ebenso bricht EU-Recht nicht einfach nationales Recht, es wird vielmehr von nationalen Vertretern auf EU-Ebene beschlossen und ist dann teils unmittelbar (Verordnungen), häufig jedoch auch mittelbar (Richtlinien) in den Mitgliedsstaaten gültig beziehungsweise gibt allein Orientierungspunkte vor.
Das Grundgesetz wird mit dem Vertrag von Lissabon auch nicht außer Kraft gesetzt. Im Gegenteil, der Vertrag von Lissabon entspricht dem in Artikel 23 des Grundgesetzes festgesetzten "Staatsziel" für Deutschland, welches in folgende Worte gefasst wurde: "Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit [..]". Deutschland und Europa sind zwei nicht mehr losgelöst voneinander zu denkende Einheiten. Zwei Einheiten, die uns nicht nur bemerkenswerte wirtschaftliche Fortschritte, sondern zuletzt auch Frieden und Stabilität, eine erfolgreiche (welt-) politische Entwicklung sowie eine bemerkenswerte kulturelle Vielfalt erbracht haben.
Nach wie vor werden viele Entscheidungen, die die Bürger direkt betreffen in den Nationalstaaten selbst getroffen, sei es nun in der Gesundheits-, Steuer-, Arbeitsmarkt- oder in der Rentenpolitik, um nur einige der wichtigen Politikfelder zu nennen. Als EU-Berichterstatter für die Bereiche Arbeit und Soziales sowie Gesundheit - alles Bereiche der nationalen Zuständigkeit - ist mir der zunehmende Einfluss der EU auf die nationale Gesetzgebung zwar bewusst. In einigen Bereichen, wie beispielsweise bei Einzelermächtigungen bezüglich Arzneimitteln, ist dies jedoch auch sinnvoll, sprich dort bin ich von einer europäischen Regelung überzeugt. An vielen anderen Stellen setzte ich mich jedoch in den mir zugeteilten Bereichen für nationale Regelungen, wie auch in den EU-Verträgen vorgesehen, ein. Ich bin damit ein konstruktiver Verfechter der Wahrung des Subsidiaritätsprinzips, also davon, dass die Selbstverantwortung vor staatliches Handeln gestellt wird und die Zuständigkeit für Entscheidungen der jeweils betroffenen und kompetenten Ebene zugeordnet werden. Der Vertrag von Lissabon bringt hier vielfältige Verbesserungen mit sich. So ist vor allem eine klarere Kompetenzaufteilung zu nennen, aber beispielsweise auch an die Erweiterungen der EU angepasste Entscheidungsverfahren und eine größere Konstanz und Personalisierung des Vorsitzes durch die Wahl eines Präsidenten.
Auch hinsichtlich der Rolle der nationalen Parlamente kann ich Ihre Bedenken nicht teilen. Im Gegenteil, mit dem Vertrag von Lissabon werden die Parlamente stärker in die Überwachung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips durch die EU einbezogen und bekommen ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof.
Die Staatsgewalt wird auch weiterhin vom Volke ausgehen, da die Bürger die Abgeordneten des Europäischen Parlaments ebenso wie die Abgeordneten und Regierungen der Nationalstaaten wählen. Und die nationalstaatlichen Regierungen erlassen Gesetze für ihr Staatsgebiet und treffen ebenso die wesentlichen Entscheidungen im Ministerrat, dem eigentlichen Machtzentrum der EU. Und dies zunehmend mit dem Europäischen Parlament zusammen, welches wie gesagt auch von den Bürgern gewählt wird.
Mein Fazit lautet daher, dass die EU mit dem Vertrag von Lissabon nach innen und außen handlungsfähiger wird. Dies begrüße ich sehr. Besonders begrüße ich auch, dass damit die unter dem Vorsitz von Roman Herzog erarbeitete Grundrechtecharta, die den europäischen Bürgern Freiheiten und Rechte garantiert, rechtsverbindlich wird.
Gerne bin ich bereit all dies mit Ihnen in einem persönlichen Gespräch zu vertiefen und mögliche Rückfragen zu beantworten sowie weitere Punkte zu diskutieren. Sollten Sie daran Interesse haben, so wenden Sie sich zur Terminabsprache bitte erneut an mich.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Hennrich