Frage an Michael Grosse-Brömer von David H. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Grosse-Brömer,
der SPIEGEL teilt in seiner aktuellen Ausgabe ( http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,722220,00.html ) mit, dass deutsche Gerichte bereits Urteile nach der Scharia gefällt haben.
"Wir praktizieren islamisches Recht seit Jahren. Und das ist auch gut so", zitiert das Nachrichtenmagazin den Professor für ausländisches Privatrecht an der Universität Köln, Hilmar Krüger.
Wie ist dies mit Artikel 3 des Grundgesetzes vereinbar, wo es heißt: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich"? Die Verfassung weist sogar explizit darauf hin, dass niemand wegen "seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens (...) benachteiligt oder bevorzugt werden" darf.
Gilt dieses Grundrecht nicht mehr im ursprünglichen Sinn?
Mit freundlichen Grüßen
David Hildenbrand
Sehr geehrter Herr Hildenbrand,
vielen Dank für Ihre Frage bei Abgeordnetenwatch.de vom 14. Oktober 2010.
Scharia ist die arabische Bezeichnung für islamisches Recht. Darunter versteht man sowohl die religiösen Vorschriften, die das Verhältnis zu Gott (Beten, Fasten etc.) regeln, und rechtliche Vorschriften für das Handeln der Menschen untereinander (Vertragsrecht, Familienrecht, Strafrecht). Die religiösen Vorschriften genießen den Schutz der Religionsfreiheit des Grundgesetzes nach Art. 4 GG.
Die rechtlichen Regelungen der Scharia betreffen in Deutschland nur das Privatrecht; das öffentliche und das Strafrecht werden von der Scharia nicht beeinflusst.
Grundlage der Anwendung von Vorschriften der Scharia ist das deutsche internationale Privatrecht (IPR). Das deutsche IPR bestimmt, welches staatliche Recht bei Fällen mit Auslandsbezug anzuwenden ist (§ 3 EGBGB). Ausgangspunkt des IPR ist der Gedanke der Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen. Das traditionelle islamische Recht ist außerstaatliches Recht. Es kann daher nach dem deutschen IPR nur angewendet werden, sofern es zum Recht des jeweiligen Staates geworden ist. Allerdings ist eine Rechtsnorm eines Staates nicht anzuwenden, wenn dies zu einem Ergebnis führte, das mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts unvereinbar ist.
Besondere Bedeutung hat die Anwendung der Scharia in den Bereichen des Familien- und Erbrechts mit Auslandsbezug. Aber auch hier gilt, dass die Scharia nicht anzuwenden ist, wenn dies gegen Grundrechte verstoßen würde. Eindeutig ist dies beispielsweise bei Vorschriften der Scharia, die evident menschenrechtswidrig sind oder Frauen diskriminieren.
Daher müssen sich die deutschen Gerichte und Behörden mit den Vorschriften der Scharia des Herkunftslandes auseinander setzen, wenn sie beispielsweise über die Voraussetzungen für die Eheschließung, eine Scheidung, über das Sorgerecht für die Kinder oder in Erbrechtsfällen zu entscheiden haben. Insbesondere die in der Scharia vorgesehene Ungleichbehandlung nach Geschlecht und Religionszugehörigkeit erfordert eine besonders genaue Prüfung am Maßstab unserer Grundrechte.
Der von Ihnen angesprochene Bezug zu Art. 3 GG kann in diesen Fällen nicht bejaht werden. Dafür wäre eine vergleichbare Gruppe erforderlich, in der eine Ungleichbehandlung stattfindet. Eine deutsche Ehe ist jedoch nicht mit einer im Ausland - unter anderen rechtlichen und kulturellen Bedingungen - geschlossenen Ehe zu vergleichen.
Mit freundlichen Grüßen
M. Grosse-Brömer, MdB