Frage an Michael Brand von Rafael S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Brand,
die Ausführungen unter https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/michael-brand/question/2019-04-04/312771 wären geradezu ein Paradebeispiel für die Folgen einer von strengsten gesetzlichen Vorgaben, sogenannten Freiheitsrechten, befreiten und entfesselten Transplantationsindustrie. Sie nimmt sich, was sie braucht.
Deutsche Bürger sind in medizinischer Hinsicht frei was Operationen betrifft. Das Mekka für Transplantationen dürften aber die USA sein.
Wer als Uigure in China mehr als zwei Messer hat, bekommt Besuch von der Polizei https://www.welt.de/reise/Fern/article189532947/Couchsurfing-in-China-Der-Hund-war-leider-schon-im-Wok.html. Was dann passiert?
Ob Personen gegen deren Willen Organe entnommen werden ist fraglich, denn China zählt neben den USA und Großbritannien zu den wichtigsten Handelspartnern Bayerns. https://www.sueddeutsche.de/bayern/minister-reist-nach-asien-milliardenmarkt-1.3945112
Björn Nashan engagierte sich in der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), bei der Organ-Verteilungsstelle Eurotransplant und in der Ständigen Kommission Organtransplantation bei der Bundesärztekammer. 2017 wurde er beauftragt, ein Transplantationszentrum in China aufzubauen.
Er sagt, Menschen, die sich sozial engagieren, erhalten Urkunden oder Verdienstkreuze. Organspender, also Mitbürger, die im Tod Leben gespendet haben, werden hingegen nicht geehrt. Er spricht sich auch für eine Senkung der Hürden für die Organentnahme aus, nämlich dem Herztodkriterium. Die chinesische Organspende war völlig unreguliert und basierte fast ausschließlich auf der Rekrutierung von Organen von Strafgefangenen nach Hinrichtungen, und diese Organe wurden dann auch Ausländern transplantiert.
Weiterhin sagt er, "Wir Deutschen könnten von China sogar lernen" https://www.welt.de/gesundheit/article179128736/Organspende-Was-China-bei-den-Transplantationen-besser-macht.html .
Teilen Sie die Bewertung von Herrn Nashan zur Organentnahme?
Sehr geehrter Herr Schuster,
der Position von Herrn Nashan muss man natürlich entschieden widersprechen, allein aus grundsätzlichen Überlegungen zum Thema Menschenrechte. Von China ausgerechnet bei Organtransplantation lernen zu wollen, könnte angesichts des schlimmen Verdachts auf illegalen Organhandel durch China bedeuten, Zwangsorganentnahmen von Unschuldigen zu fördern – und sich damit einer fundamentalen Verletzung von grundlegenden Menschenrechten schuldig zu machen.
In Deutschland wurde die Organspende am Anfang dieses Jahres 2020 durch den Deutschen Bundestag neu geregelt. Gemeinsam mit vielen Kollegen habe ich dabei für die sogenannte Entscheidungslösung geworben, die am Ende auch eine große Mehrheit im Parlament erreicht hat. Nach dieser Lösung bleibt Organspende auch in Zukunft eine freiwillige Entscheidung – das war und bleibt für den Erfolg von dringend benötigten Organspenden sehr wichtig.
Spendenbereitschaft erreicht man durch Vertrauen, und dies wiederum durch Transparenz und das Ernstnehmen von Sorgen vor Missbrauch. Dies erreicht man nicht, indem alle Menschen von Gesetzes wegen zu Spendern erklärt werden, ohne dass deren Zustimmung vorliegt. Das wollte die sogenannte Widerspruchslösung.
Wenn aber Staat und freie Gesellschaft ein Problem zu lösen haben, darf dies nicht mit unverhältnismäßigen Mitteln versucht werden. Spende ja – Zwang nein: So geht der Weg richtig.
Vor schweren Eingriffen in das Selbstbestimmungsrecht und die Würde von Millionen Menschen, muss immer genau hingeschaut werden: Wo genau liegt denn das Problem?
Und es darf weder ideologische noch an kommerziellen Interessen ausgerichtete Lösungen geben. Jede Lösung muss am Problem orientiert werden, sie muss verhältnismäßig und darf nicht im Ergebnis falsch oder im Ansatz radikal sein.
Die Frage in Deutschland (nicht in China, dort gibt es Zwang und nicht einmal freie Umfragen mit korrekten Ergebnissen zu diesen und vielen anderen wichtigen Themen) lautet deshalb: Warum scheitert die Umsetzung bei Organspenden so klar, obwohl doch die prinzipielle Bereitschaft der Bevölkerung zur Organspende so enorm groß ist?
Eine breite Untersuchung der Frage im Jahr 2019 förderte sehr erstaunliche Resultate zutage. Ursache sind eben nicht zu wenige potenzielle Organspender, wie oft behauptet wird – davon gibt es enorm viele, und von Wiederholung wird die falsche Behauptung nicht wahr.
2019 stieg die Zahl für Organspendebereitschaft in Umfragen sogar nochmals um über 15 Prozent - es gibt Millionen Menschen mit Organspendeausweis, zu denen auch ich zähle. Die tatsächlich in den Kliniken erfolgten Organspenden gingen dagegen seit 2010 um 30 Prozent zurück.
Eine von führenden deutschen Kliniken durchgeführte Studie fand im Jahr 2019 ebenfalls heraus, dass die Mehrheit der Transplantationen nicht etwa an Spendenbereitschaft scheitert. Der traurige und fast banale Grund liegt vielmehr in schweren organisatorischen Mängeln in den Entnahmekliniken. Denn dort fehlt es an Personal wie auch an zuverlässigen Verfahren, um die große Zahl möglicher Organspender überhaupt zu identifizieren und dann rasch zu melden – bei Organspende kommt es bekanntlich sehr auf rasche Umsetzung an.
Der Deutsche Bundestag hat unmittelbar nach Bekanntwerden dieser Studie noch im Jahr 2019 gehandelt und in einem zügig beratenen und beschlossenen Gesetz wesentliche Änderungen sowohl in der Finanzierung als auch in der Struktur der Verfahren in den entsprechenden Krankenhäusern beschlossen, damit diese Defizite abgestellt werden. Inzwischen sind erste Fortschritte erreicht worden, die weitere Umsetzung geht mit Hochdruck voran.
Auch die Erfahrungen andere Länder wie Schweden zeigen, dass die Lösung nicht in der Widerspruchslösung liegt, sondern in einer grundlegenden Verbesserung der Abläufe rund um die Organspende.
Auch muss in Deutschland, angesichts von früheren Skandalen bei Wartelisten und Undurchsichtigkeit bei der Vergabe, verloren gegangenes Vertrauen wieder zurückgewonnen werden. Diese Probleme allerdings können inzwischen in der Sache auch als gelöst gelten.
Die Debatte zeigt deutlich: Es ist nicht das große Wort, das hier die Lösung eines großen Problems bringt. Sondern es sind wichtige, entscheidende kleine Details, an denen Korrekturen erfolgt sind, die den auf ein Spenderorgan hoffenden Menschen eine bessere Perspektive bringen.
Es müssen schlicht Hausaufgaben im Deutschen Gesundheitssystem präzise abgearbeitet werden. Wir werden auch im Deutschen Bundestag die Ergebnisse der Veränderungen in den Kliniken weiter sorgfältig beobachten und können bislang darauf setzen, dass dieser wesentlich bessere Ansatz zur Lösung der Probleme mit Organspenden nachhaltig zu einer Verbesserung beiträgt.
Eine Ausweitung der Spender durch staatliche Übergriffe, hätte das Problem nicht gelöst, sondern zusätzlich neue, schwerere Probleme geschaffen. Denn nicht jeder wäre in der Lage gewesen, den Widerspruch auch sachgerecht und zeitlich vorzulegen, wie die Beratungen mit Experten gezeigt haben. Obdachlose, an Demenz erkrankte ältere Menschen, die Millionen Analphabeten und viele andere hätten hohe Hürden vielleicht nicht überwunden, und sie hätten sehr wohl gegen ihren Willen zu unfreiwilligen Organspendern werden können.
Nun mögen manche darüber hinweggehen und sagen, die sind ja eh tot. Aber das ist nicht das Verständnis unserer Gesellschaft von der Würde des Menschen.
Zudem wissen wir aus der Praxis, dass es für die Angehörigen auch von Organspendern, die zu ihren Lebzeiten erklärt haben, Organspender sein zu wollen (wie auch ich) durchaus schwer sein kann, mit dieser Information konfrontiert zu werden. So habe ich mit meiner Frau selbst verständlich über diese Dinge gesprochen, und wir sind beide der Auffassung, dass dies eine gute Entscheidung ist.
Mit der neuen Entscheidung des Bundestages von 2019 zu den Abläufen in den Kliniken sowie der von 2020 hinsichtlich der Organspende insgesamt wurde vieles verbessert: Es gibt verbindliche Informationen, eine bessere Aufklärung und bessere Beratung. Hierfür werden Bürger künftig beim Behördenbesuch Informationsmaterialien erhalten und auf Beratungsmöglichkeiten hingewiesen, auch beim Hausarzt. Darüber hinaus stehen der Bundesregierung wie den Organisationen zur Förderung von Organspende vielfältige Möglichkeiten zur Aufklärung in der Öffentlichkeit, im Internet und über das Gesundheitswesen insgesamt zur Verfügung.
Persönlich finde ich wichtig, sich früh genug mit dieser nicht unwichtigen Frage der Organspende in Ruhe zu befassen und eine persönliche Entscheidung zu treffen. Jede Organspende rettet Leben – und es nimmt Druck von Angehörigen, wenn die Entscheidung zuvor von einem selbst getroffen wurde und man beispielsweise nach einem Verkehrsunfall nicht mehr selbst entscheiden kann. Eindeutige Klarheit über den Willen des Betroffenen hilft nicht nur den Empfängern einer Organspende, sondern auch den Kliniken und vor allem, was das wichtigste ist: den Angehörigen, die in einer solchen tragischen Situation mit einer möglichen Entscheidung über eine Organspende in zusätzlichen Stress geraten können.
Insofern bitte ich auch Sie, diesen sehr vernünftigen und effektiven Weg zu unterstützen. Falls Sie es noch nicht entschieden haben sollten, überlegen Sie doch: Organspenden retten Menschenleben, es lohnt sich, sich dafür zu entscheiden.
Eine solche Entscheidung ist gut möglich in offenen Gesellschaften wie in Deutschland. Jede freiwillige Organspende hier schützt Unschuldige davor, zum Opfer von Regimen zu werden, die wie das kommunistische China unter Verdacht stehen, Unschuldige, oft nach Gesundheit ausgesuchte Opfer, zur Ware im Organhandel zu machen und dabei Opfer von schwersten Menschenrechtsverletzungen zu werden.
Solange Diktaturen wie China nicht völlige Transparenz herstellen und jeden Verdacht über Missbrauch und Menschenrechtsverletzungen ausräumen, bleibt eine Kooperation mit einem solchen Staat nicht nur äußerst fragwürdig, sondern muss offen kritisiert und verurteilt werden. Denn niemand kann sich dort sicher sein, ob man sich nicht an schweren Menschenrechtsverletzungen beteiligt.
Mit freundlichen Grüßen
Michael Brand