Frage an Matthias Zimmer von Werner G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Herr Zimmer,
meine Frage lautet wie folgt,
Sind unsere Parteien zu mächtig geworden? Brauchen wir vielleicht andere Instrumente dafür, oder sollten sie beschnitten werden?
Vielen Dank im vorraus!
Sehr geehrter Herr Grabowski,
auf Ihre Frage könnte man kurz antworten ("Nein"), oder sehr enzyklopädisch, was ich mir verkneifen möchte. Deshalb nur wenige Bemerkungen, zugespitzt, aber wegen der mangelnden Ausführlichkeit vielleicht auch lückenhaft.
Parteien sollen an der politischen Willensbildung mitwirken. Das ist ihre Aufgabe laut Grundgesetz. Sie haben also dafür Sorge zu tragen, geeignetes Personal auszuwählen (was sich gerade auf lokaler Ebene als zunehmend schwierig erweist), und auch inhaltlich zu sagen, für was sie stehen. Dabei zeichnet es vor allem die Volksparteien aus, dass sie zu allen Aspekten der politischen Ordnung sich positioniert haben, und zwar auf Basis eines kohärenten, in sich vernünftigen Menschen- und Weltbildes. Das unterscheidet sie von den "one-issue-Parteien", die nur ein Thema haben, oder den reinen Klientelparteien. Volksparteien sind in der Lage, inhaltlich nachvollziehbare und rationale Abwägungen zwischen unterschiedlichen Politikzielen vorzunehmen, und zwar auf Grundlage ihrer jeweiligen Grundausrichtung.
Leider beobachte ich zunehmend, dass die Bereitschaft sinkt, sich mit einer Partei und dem Themenspektrum umfassend auseinander zu setzen. Es steigt die Bereitschaft, sich für ein Thema zu begeistern (Atomkraft, Tierschutz, Dritte Welt usw.), dieses Thema aber zu verabsolutieren und Kollisionen mit anderen Zielen nicht mehr vernünftig abzuwägen. Insofern sind Parteien, die dies tun, heute eher in der Defensive und sicher nicht zu mächtig. Ich würde mir wünschen, dass diese in den Einzelthemen vagabundierenden Energien sich stärker in eine gesellschaftliche Gesamtbetrachtung einbinden lassen. Die Klage, dass der Staat zur Beute der Parteien werde, ist alt und wird durch wiederholte Behauptung nicht schlüssiger. Richtig ist, dass es ein Ausgreifen der Parteien in viele Bereiche gegeben hat, die noch vor wenigen Jahrzehnten undenkbar gewesen wäre. Richtig ist aber auch, dass durch die Konkurrenz der Parteien insgesamt der Machtmissbrauch zwar nicht ausgeschlossen ist, aber immer unter dem Risiko der öffentlichen Thematisierung steht. Insofern sind Parteien vorsichtig geworden, ihre Möglichkeiten bis zur Grenze auszuschöpfen, und das ist gut so.
Ich wüsste nicht was eine Alternative zu Parteien sein sollte wenn man nicht in der Situation einer permanenten Volksbefragung leben will. Manchmal ist es nämlich notwendig als richtig erkannte Entscheidungen auch dann durchzusetzen, wenn die Mehrheit der Bevölkerung dagegen ist. Ich kann mich noch gut an die Nachrüstungsdebatte der achtziger Jahre erinnern. Historisch war es richtig dies zu tun, weil damit der Zerfall der Sowjetunion beschleunigt wurde. Oder nehmen Sie die Wiederbewaffnung in den fünfziger Jahren, die Adenauer gegen erhebliche Widerstände durchsetzen musste.
Nein, wir brauchen starke Parteien die es sich leisten können, auch einmal gegen den Strom zu schwimmen. Wir brauchen mehr Mitglieder in den Parteien, die sich auf der Basis eines festen Weltbildes für das Gemeinwohl einsetzen. Wir brauchen Parteien zur Willensbildung und zur Personalstellung in der Demokratie. Wir brauchen sie für den geordneten politischen Prozess.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Matthias Zimmer MdB