Frage an Matthias Zimmer von Alissa S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Zimmer,
ich kann mir auch nicht vorstellen das die Fragen der Stufe 12 http://www.abgeordnetenwatch.de/dr_matthias_zimmer-575-38059--f258482.html#q258482 dieser Gesamtschule wirklich ernst gemeint waren. Vielleicht sollte durch die wirklich dämliche Fragestellung auch nur das Konzept der Gesamtschule in ein schlechtes Licht gerückt werden. Aber eine Frage finde ich interessant. Glauben Sie, dass es einen literarischen Kanon gibt, den man kennen sollte? Wer gehört dazu? Und welche Schriftsteller und Bücher liegen Ihnen besonders am Herzen?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrte Frau Schneider,
ja, ich finde schon, dass es einen literarischen Kanon gibt. Das sind Bücher, die für das Selbstverständnis einer Kultur wichtig sind, auch über die deutsche Sprache hinaus. Zu einer solchen westlichen Kultur gehören Autoren wie Homer und Sophokles, Shakespeare und Goethe, aber auch die Bibel. Ich finde ein Werk gehört dann in einen Kanon, wenn Menschheitsfragen angesprochen werden und die Antworten noch heute Bedeutung haben. Deswegen ist die Vermittlung eines Kanons nicht nur Aufgabe des Deutschunterrichts, sondern auch Teil des Unterrichts in den alten und neuen Sprachen, in Religion und Philosophie. Darüber hinaus ist die Frage spannend, welche deutschen Autoren man kennen sollte. Mit "kennen" meine ich, dass man zumindest einen Text gelesen hat, ein Gefühl für den Stil bekommt und den Autor einordnen kann. Natürlich die "Klassiker" Goethe und Schiller, Lessing, Hölderlin, aber auch wichtige Autoren des 19. Jahrhunderts wie Büchner, Stifter, Fontane, Heine. Das 20. Jahrhundert ist schwieriger, weil es uns noch recht nahe ist. Thomas Mann scheint unbestritten, auch Bertolt Brecht und Rainer-Maria Rilke, Hermann Hesse und Günter Grass. Das, was in der Schule gelesen wird, ist häufig zeitgebunden. In meiner Schulzeit habe ich mit großer Begeisterung Autoren wie Max Frisch, Heinrich Böll, Siegfried Lenz, Friedrich Dürrenmatt, Ödön von Horváth und Wolfgang Borchert gelesen, teilweise auch als Schullektüre. Mit dem Abstand der Jahre haben sie zumindest für mich an Bedeutung verloren. Gewonnen an Bedeutung haben für mich andere Autoren, die aber in Deutschland eher seltener in den Rang der kanonischen Autoren erhoben werden: Ernst Jünger, Werner Bergengruen, Reinhold Schneider, Karl Kraus. Nach wie vor ungebrochen ist auch meine Begeisterung für Robertson Davies, einen kanadischen Autor, den ich in meiner Zeit in Kanada verschlungen habe und immer wieder gerne zur Hand nehme. Andere eher zeitgenössische nichtdeutsche Autoren, die ich sehr schätze, sind Irvin Yalom, Gabriel Garcia Márquez, Umberto Eco, Cormac McCarthy, Stanislaw Lem, Philip Roth und Michel Tournier. Sollte ich meine fünf Lieblingsbücher nennen, so wären dies: Auf den Marmorklippen (Ernst Jünger); The Cornish Trilogy (Robertson Davies); Doktor Faustus (Thomas Mann); Moby Dick (Hermann Melville); King Lear (William Shakespeare).
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Zimmer