Frage an Matthias Bartke von Anna B. bezüglich Soziale Sicherung
Guten Tag Herr Bartke,
am 01.10.15 stimmt der Bundestag über die Abschaffung aller Sanktionen im SGB II und XII ab.
In diesem Zusammenhang habe ich heute ein Interview über Ralph Boes gehört, der gegen und aufgrund von Hartz IV hungert. https://www.youtube.com/watch?v=ni-eyM9K294&feature=youtu.be
Sehr viele Arbeitslose finden keine Arbeit mehr, die ihren Fähigkeiten entspricht. Kinder verarmen und wachsen in Angst auf.
Diese Menschen möchten selbstverantwortlich handeln, um eine für sie geeignete Arbeit zu finden. Sie brauchen dazu all ihre Kraft und die Hilfe des Jobcenters als Ansprechpartner.
Hartz IV Sanktionen, wie sie immer noch in Deutschland praktiziert werden haben schwerwiegende Folgen: Menschen sind ohne Strom und frieren in ihren Wohnungen. Am gesellschaftlichen Leben können viele nicht mehr teilnehmen. Hunger in Deutschland! Das muss man sich mal vorstellen. Essensgutscheine, die eine KANN-Leistung sind und mit denen der Sanktionierte würdelos betteln gehen muss. Wo gibts denn so was! Dass ein Mensch, der kein Selbstwertgefühl mehr hat auch keine Arbeit verrichten kann ist uns allen klar.
Sicherlich gibt es auch sogenannte "Sozialschmarotzer". Diese findet man jedoch in allen sozialen Schichten (Steuerbetrug, Leiharbeitsfirmen, usw. usf.)
NEIN, einem Menschen, der am Existenzminimum lebt auch dieses noch zu kürzen, oder gar ganz zu streichen ist mit meinem Gewissen und mit unserem Grundgesetz auf gar keinen Fall vereinbar. Und zwar egal aus welchen Gründen. Da gibt es nichts zu deuteln.
Wäre es nicht produktiver diejenigen, die sich besonders um Arbeit bemühen zu belohnen? So jedenfalls habe ich es als Mutter bei meinen Kindern mit Erfolg angewandt.
"Die Würde des Menschen ist unantastbar" Ist dies nicht wichtig für den Frieden und die Ruhe, der wieder in unser Land einkehren soll, auch mit den Flüchtlingen?
Wie ist ihre Haltung zu den Sanktionen in Hartz IV und wie werden Sie am 01.10.15 im Bundestag abstimmen?
Freundliche Grüße
A. Becker
Sehr geehrte Frau Becker,
vielen Dank für Ihr Schreiben. Ich teile viele Ihrer kritischen Einschätzungen. Dies gilt insbesondere für Ihre Kritik an den Hundert Prozent-Kürzungen, bei denen sämtliche Leistungen gestrichen werden. Fakt ist, dass viele der Betroffenen eher sozialarbeiterische Hilfe als eine Sanktion brauchen.
Besonders kritisch sehe ich die zurzeit noch möglichen besonders harten Sanktionen für Jugendliche und Jungerwachsene. Ich halte das nicht für eine zeitgemäße Arbeitsförderungspolitik, sondern eher für schwarze Pädagogik.
Wir verhandeln mit unserem Koalitionspartner, der CDU/CSU-Fraktion, derzeit ein Änderungsgesetz genau zu diesem Thema. Die von mir und meiner Fraktion gesehenen Änderungsbedarfe stoßen allerdings bei unserem Koalitionspartner auf Bedenken – insbesondere bei der CSU. Der Gesetzentwurf, der das ändern soll, liegt daher schon seit Monaten auf Eis. Es scheint jetzt aber etwas Bewegung zu geben. Ich hoffe daher, dass wir unsere Vorstellungen möglichst bald umsetzen können.
Nach unserer Vorstellung sollen künftig ein Schwerpunkt auf die Beratungsgespräche gelegt und die Eingliederungsvereinbarungen individuell abgesprochen werden. Kürzungen bei den Kosten für Heizung und Unterkunft sollen nicht mehr möglich sein und die verschärften Sanktionierungsmöglichkeiten von jungen Menschen unter 25 Jahren wollen wir abschaffen. Zudem wollen wir sicherstellen sein, dass der Krankenversicherungsschutz durchgehend gegeben ist.
Dem Antrag der Fraktion Die Linke auf eine völlige Abschaffung der Sanktionsregelungen werde ich jedoch nicht zustimmen, da ich ihn für zu weitgehend halte. Beim Prinzip „Fördern und Fordern“ ist das Fördern in der Vergangenheit zu kurz gekommen und der Schwerpunkt wurde zu sehr auf das Fordern gelegt. Ich halte es aber für falsch, im Umkehrschluss nun völlig auf das Fordern zu verzichten, wie es der Antrag der Linkspartei vorsieht. Das war auch die Meinung der Mehrheit der Sachverständigen bei der öffentlichen Anhörung im Juni dieses Jahres.
Lassen Sie mich abschließend aber doch kritisch anmerken, dass mich Ihre verständnisvollen Worte für den Aktivisten Ralph Boes irritiert haben. Herr Boes befindet sich im Hungerstreik und ein solcher kann tödlich enden. Sie sollten Herrn Boes daher auf keinen Fall in seinem selbstzerstörerischen Tun bestärken – auch wenn Sie seine politischen Ziele teilen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Matthias Bartke, MdB