Frage an Matthias Bartke von Jürgen H.
Angesichts der Klage von Vattenfall gegen Deutschland auf 4,7 Milliarden Euro Schadensersatz für den Atomausstieg und der Abstimmung morgen in der Fraktion,
werden sie gegen diese Bestandteile des Freihandelsabkommen stimmen ? (Was ich hoffe)
Mfg.
J. Hormel
Sehr geehrter Herr Hormel,
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne beantworte.
Grundsätzlich bin ich ein großer Befürworter des Freihandels und glaube, dass dieser einer Industrie- und Handelsnation wie der unsrigen sehr nützt. Ich teile aber die verbreiteten Sorgen der Bevölkerung hinsichtlich der geplanten Schiedsgerichte.
Gerichte, die über zentrale Fragen des Gemeinwesens entscheiden, bedürfen einer demokratischen Legitimation. Schiedsgerichte haben diese nicht, ihre Mitglieder sind - im Gegensatz zu regulären staatlichen Gerichten - eher willkürlich benannt. Staaten mit einer hoch entwickelten Rechtskultur sollten daher m.E. grundsätzlich auf eine Streitbeilegung durch Schiedsgerichte verzichten und hierfür ausschließlich staatliche Gerichte nutzen. Ob allerdings wirklich alle EU-Mitgliedsstaaten über die notwendige hohe Rechtskultur verfügen, vermag ich nicht zu beurteilen - bei einigen habe ich da durchaus Zweifel. Ich persönlich favorisiere daher den Vorschlag, für Investitionsschutz-Streitigkeiten einen eigenständigen Handelsgerichtshof in Straßburg einzurichten. Ein solcher Gerichtshof wäre demokratisch legitimiert, hätte die notwendige Sachkompetenz und die erforderliche Akzeptanz aller etwaigen Streitbeteiligten. Außerdem halte ich einen solchen Gerichtshof auch gegenüber unseren nordamerikanischen Abkommenspartnern für vermittelbar.
Die Diskussion über CETA/TTIP ist allerdings in der SPD-Fraktion und auch bei mir noch lange nicht abgeschlossen. Ich halte das paraphierte CETA-Abkommen in seiner jetzigen Form für nicht zustimmungsfähig - gerade weil es die Blaupause für TTIP ist. Die massiven Bedenken der Bevölkerung, die mir durch die vielen Briefe, Anrufe, Diskussionen vor Ort und Mails in den vergangenen Wochen deutlich wurden, machen das Unwohlsein des kritischen Teils der Bevölkerung deutlich - als Volksvertreter im Deutschen Bundestag ist das für mich ein wichtiger Faktor bei meiner Meinungs- und Entscheidungsbildung.
Bei der von Ihnen zitierten Vattenfall-Klage ist das Kernproblem nicht, dass Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland klagt. Das Problem ist vielmehr, dass dies nicht vor einem staatlichen Gericht sondern vor einem Schiedsgericht in Washington D.C. geschieht. Dies führte bereits vor Prozessbeginn zu Anwalts- und Verfahrenskosten von über drei Millionen Euro für den deutschen Staat. Und das Ergebnis des Schiedsverfahrens ist letztlich nicht kalkulierbar und nicht rechtsmittelfähig.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Ohne die völlig unberechenbare Energiepolitik der seinerzeitigen Regierung Merkel/Westerwelle hätte es die Klage nie gegeben. Man erinnert sich: Rot-Grün hatte in 2001 den sukzessiven Atomausstieg beschlossen. Dies wurde von Merkel/Westerwelle nach der Übernahme von schwarz-gelb in 2010 rückgängig gemacht und es wurde eine massive Laufzeitverlängerung für alte AKWs beschlossen. Vattenfall vertraute auf den Bestand dieser Entscheidung. Wenige Monate später explodierte aber der Atommeiler von Fukushima und Merkel/Westerwelle machten eine erneute Kehrtwende und beschlossen, auf den ursprünglichen Atomausstiegskurs von Rot-Grün zurückzukehren und die Laufzeitverlängerung zurückzunehmen. Diese erratische Politik kann den Steuerzahler im Nachhinein viel Geld kosten. Das ändert aber nichts daran, dass auch eine solche Klage vor ein staatliches Gericht und nicht vor ein Schiedsgericht gehört.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Matthias Bartke