Frage an Matthias Bartke von Gerhard R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Bartke,
werden Wohnungseigentümer im Prozessrecht diskriminiert?
Am 16. Mai 2012 trat ein Gesetz in Kraft, das Wohnungseigentümern weitere zwei Jahre einen vollwertigen Rechtsschutz vorenthält: Sie haben nicht denselben Zugang wie alle anderen zum Bundesgerichtshof – und damit zu Rechtssicherheit durch höchstrichterliche Rechtsprechung. Das ist die Konsequenz einer Gesetzesänderung, die unbemerkt von der Öffentlichkeit durch den Bundestag gebracht wurde.
Es geht um eine auf den ersten Blick nicht sehr spektakuläre verfahrenstechnische Frage: Seit der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes von 2007 gelten für Streit um Wohnungseigentum andere als bis dahin die normalen Prozessregeln. Dazu gehört die Nichtzulassungsbeschwerde, also das Recht, bei Grundsatzfragen eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) herbeizuführen, auch wenn das Berufungsgericht eine weitere Instanz für überflüssig hält.
Diese Möglichkeit wurde aber erst mal bis 1. Juli 2012 auf Eis gelegt. Das sollte eine Überlastung des BGH durch eine Flut von Nichtzulassungsbeschwerden ausschließen, da der Gesetzgeber nicht absehen konnte, was da auf die Bundesrichter zukommen würde.
Jetzt wurde die Schlechterstellung des Wohnungseigentums bis Ende 2014 verlängert..
Das Gesetz bremst diesen Prozess höchstrichterlicher Klärung offener Rechtsfragen im Wohnungseigentumsrecht weiterhin – derzeit können nur die Gerichte eine Zulassung des Rechtsstreits zum BGH und damit eine Überprüfuung ihrer eigenen Entscheidungen genehmigen.
Wird es dabei bleiben, dass den Wohnungseigentümern ein Rechtsmittel(BGH) verweigert wird?
Ist die Rechtsmittelverweigerung - betrifft nur eine Bevölkerungsgruppe! -
mit dem Grundgesetz vereinbar?
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
haben Sie vielen Dank für Ihre Fragen hier auf Abgeordnetenwatch. Sie hatten ebenfalls in meinem Bundestagsbüro angerufen und mit einer meiner Mitarbeiterinnen zu der Thematik telefoniert. Ich habe anschließend auf Ihren Wunsch dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags den Auftrag erteilt, die Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses der Nichtzulassungsbeschwerde in Wohnungseigentumssachen zu prüfen.
Mir ist das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes inzwischen zugegangen. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass der Ausschluss der Nichtzulassungsbeschwerde in Wohnungseigentumssachen mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es liegt kein Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie, den Anspruch auf rechtliches Gehör oder den allgemeinen Gleichheitssatz vor.
Wichtig für die Begründung der Verfassungsmäßigkeit ist u. a. die Rechtfertigung des Ausschlusses. Der Bundestag wollte und will durch den Ausschluss der Nichtzulassungsbeschwerde eine Überlastung des Bundesgerichtshofes vermeiden. Wir haben aus diesem Grund der Verlängerung der Geltungsdauer um ein weiteres Jahr bis Ende 2015 zugestimmt. Für die Zulassung der Nichtzulassungsbeschwerde soll abgewartet werden, auf welchem Niveau sich die Zahlen in Wohnungseigentumssachen bei den Berufungsgerichten stabilisieren. Erst dann soll entschieden werden, ob und unter welchen Voraussetzungen auch für diese Sachen die Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof eröffnet werden kann. Eine Erhöhung der Richterzahlen am Bundesgerichtshof wird nicht die alleinige richtige Lösung sein.
Eine Benachteiligung der Wohnungseigentümer liegt selbstverständlich nicht in unserem Interesse. Wir werden den Ausschluss bei Ablauf der neuen Frist daher genauestens prüfen. Gerne leite ich Ihnen auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes persönlich weiter. Bitte schreiben Sie dafür eine Email mit Ihren Kontaktdaten an matthias.bartke@bundestag.de .
Mit freundlichen Grüßen
Matthias Bartke