Frage an Martina Krogmann von Christoph W. bezüglich Finanzen
Guten Tag Frau Dr. Krogmann,
heute las ich im DLR Kultur folgenden Kommentar von Jörg Lau:
50 Milliarden Euro sind viel Geld. Sollte man glauben. So viel gibt Deutschland im zweiten Konjunkturpaket aus, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen - oder doch jedenfalls, um das Abgleiten in eine richtige Depression zu verhindern.
Aber sind 50 Milliarden auch genug?
Ein Kriterium wird auffallend selten überhaupt noch erwähnt: Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit war einmal ein regelrechtes Modewort. Politische Entscheidungen sollten sich nicht nur danach rechtfertigen müssen, ob sie hier und jetzt zum Gemeinwohl beitragen. Sie dürfen auch nicht - das bedeutet ja der Begriff Nachhaltigkeit - die Lebensgrundlagen kommender Generationen gefährden....
Unsere Kinder werden dafür aufkommen müssen. Sehr wahrscheinlich bedeutet das: Sie werden mehr Steuern zahlen müssen, um die Staatsschulden auszugleichen. Und sie müssen sich zugleich auf geringere Leistungen des Staates einstellen....
Für Generationengerechtigkeit hingegen, scheint es, haben wir in der Krise einfach keinen Sinn. Wir verfügen heute über Mittel, die andere einst werden aufbringen müssen. In gewissem Maß ist das immer so in der Politik. Aber unsere Entscheidungen heute müssen auch künftigen Generationen Entscheidungsspielraum übrig lassen....
Jörg Lau war Literaturredakteur der "tageszeitung" und ist Mitarbeiter der "Zeit" in Berlin.
Vor dem Hintergrund unseres jetzigen Welt-, Mensch- und Gesellschaftsmodells (dem möglichst alle Menschen der Welt folgen sollen) und der auch daraus resultierenden `Krise´ würde ich gerne wissen, wie sie sich die Zukunft unserer Gesellschaft in Deutschland und Europa vorstellen. Wie ist Ihre Vision?
Vielen Dank!
Christoph Witthöft
Sehr geehrter Herr Witthöft,
der Begriff "Nachhaltigkeit", der sehr viel mit Generationengerechtigkeit zu tun hat, muss noch stärker zum Grundprinzip und zum Leitgedanken nicht nur aller politischen Entscheidungsträger werden. Ich nehme mich aus der Kritik gar nicht aus, wenn ich feststelle, dass in der Politik, aber auch in der Wirtschaft und bei den Konsumenten noch viel zu sehr oft der kurzfristige Erfolg im Mittelpunkt steht.
"Nachhaltigkeit" ist ja heute in aller Munde und in der Tat - wie Sie zitieren - zum "Modewort" geworden. Die Gefahr der inflationären Verwendung des Begriffs "Nachhaltigkeit" liegt darin, dass er seine Konturen verliert: Wenn in den berühmten "Sonntagsreden" alles nachhaltig ist, ist irgendwann nichts mehr nachhaltig.
Die großen Herausforderungen der nächsten Jahre sind aus meiner Sicht:
- weltweite klimatische Veränderungen, deren Auswirkungen noch gar nicht absehbar sind;
- wachsende Umweltprobleme;
- ein erschreckend schneller Verbrauch der natürlichen Ressourcen;
- eine Staatsverschuldung, die den nach uns folgenden Generationen den Handlungsspielraum nimmt;
- die Struktur unserer sozialen Sicherungssysteme, die unsere Kinder und Kindeskinder wegen des demografischen Wandels in der jetzigen Form nicht werden bezahlen können.
All diese Probleme sind hausgemacht. Menschen haben sie verursacht. Die oberste Aufgabe der Politik - auch meiner politischen Ziele und meiner politischen Handlungen - ist es aus meiner Sicht daher umzuschalten von einer kurzsichtigen, von der Substanz lebenden Politik des ausgehenden 20. Jahrhundert zu einer nachhaltigen Politik im 21. Jahrhundert. Der Grundsatz der "Nachhaltigkeit" bei allen Entscheidungen bedeutet also etwas, das in der Tat nicht leicht umzusetzen ist: bei allen grundlegenden Entscheidungen die Interessen der künftigen Generationen mit in den Blick zu nehmen und kurzfristig zu erzielende Erfolge (oder auch Gewinne bei Unternehmen) den langfristigen Zielen und Notwendigkeiten unterzuordnen.
In der Politik hat sich in den letzten Jahren etwas nach vorne bewegt, um das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung fest zu verankern - allerdings noch nicht genug. Als Beispiele für das wachsende Bewußtsein im Bereich Klimaschutz seien genannt die Ziele zur Reduzierung der globalen C02-Emmissionen, die verstärkte Förderung erneuerbarer Energien, etc. Wir haben einen Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung gebildet, der sich als eine Art Frühwarneinrichtung für politische Fehlentwicklungen versteht und künftigen Generationen auf parlamentarischer Ebene eine Stimme verleihen will. Auch in der Industrie ist das Prinzip bei einigen Unternehmen angekommen (Stichworte: Nachhaltigkeitsstrategien/Corporate Social Responsibility") - allerdings ja wirklich noch nicht bei allen...
Sorge machen mir vor allem die Zukunft unserer sozialen Sicherungssysteme und aktuell die erneute hohe Staatsverschuldung als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise. In den vergangenen drei Jahren war es uns gelungen, die Nettoneuverschuldung auf zuletzt 11 Milliarden Euro von über 40 Milliarden Euro zurückzuführen. Der wichtigste Grund und die Legitimation für die Haushaltskonsolidierung war das Prinzip der Nachhaltigkeit. Aufgrund der Wirtschaftskrise mit bisher nicht absehbaren Folgen für unser Land haben wir uns in der Abwägung für die beiden Konjunkturpakete sowie für die Stützung des Bankensektors entschieden, da die Folgen eines möglichen Nichteingreifens seitens des Staates in der Krise mittel- bis langfristig verheerendere Folgen für Bürgerinnen und Bürger, Sparer, Unternehmen und Arbeitsplätze gehabt hätte. Wichtig bei all diesen Maßnahmen war mir bei meiner Zustimmung, dass die Instrumente zeitlich begrenzt sind und vorrangig für Projekte Geld ausgegeben wird, die dafür geeignet sind, als Überbrückungshilfe zu dienen und dafür Sorge zu tragen, dass unser Land nach der Krise strukturell besser dasteht als vor der Krise.
Wenn Sie also nach meiner "Vision" fragen (ein großes Wort): Ich komme auf meine zu Anfang gemachten Bemerkungen und möchte an der Verwirklichung eines Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells in Europa mitwirken, in dem "Nachhaltigkeit" das bestimmende Leitmotiv ist: Leben in einer ökologisch sauberen Umwelt, gerechte Teilhabe aller an der Gesellschaft, langfristige Wohlstandssicherung für alle durch Schwerpunktsetzung auf Bildung und Innovationen, eine Gesellschaft, die sich als Bürgergesellschaft versteht und nach dem kategorischen Imperativ handelt sowie unseren christlichen Werten verpflichtet ist.
Dies in aller hier gebotenen Kürze.
Mit freundlichen Grüßen
Martina Krogmann