Frage an Martina Krogmann von Jan T. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Dr. Krogmann,
seit Monaten werden sicherlich auch Sie die vielen Mails gegen die Vorratsdatenspeicherung bekommen haben. Eine Antwort von Ihnen ist mir noch nicht bekannt. Deshalb frage ich Sie auf diesem Wege, wie Sie dazu stehen und ob Sie nicht den Weg in den totalen Überwachungsstaat fürchten?
Gruß
Jan Timke
Sehr geehrter Herr Timke,
bei der Vorratsdatenspeicherung handelt es sich in der Tat um ein äußerst kontroverses Vorhaben.
Eine Stellungnahme meinerseits ist Ihnen deshalb nicht bekannt, da es sich bei den meisten Zuschriften zu diesem brisanten Thema leider um Serienbriefe oder automatisch generierte Mails handelt. Dieser oft unsachliche „Protest-Spam“ ist für eine konstruktive Diskussion natürlich eine denkbar ungeeignete Grundlage. Wenn Sie mich jedoch persönlich nach meinem Standpunkt fragen, äußere ich mich selbstverständlich gern!
Zuallererst sollte man sich in Erinnerung rufen, dass die Grundlage für die Vorratsdatenspeicherung eine EU-Richtlinie (2006/24/EG) ist, zu deren Umsetzung in nationales Recht alle Mitgliedsstaaten verpflichtet sind. Der Deutsche Bundestag ist also prinzipiell durch den Inhalt dieser Richtlinie gebunden.
Auf europäischer Ebene traf die Idee einer Vorratsdatenspeicherung spätestens seit den hinterhältigen Terroranschlägen von Madrid und London auf eine breitere Zustimmung. Dabei wurden in den ursprünglichen Entwürfen sogar Mindestspeicherfristen zwischen zwölf und 36 Monaten ernsthaft in Erwägung gezogen. Darüber hinaus pflegen einige EU-Staaten (z.B. Großbritannien) schon vom Grundsatz her ein sehr viel affirmativeres Verhältnis zur Überwachung als wir in der Bundesrepublik. Es liegt sicher zum Großteil in den Erfahrungen der Vergangenheit begründet, dass wir hierzulande besonders sensibel auf das Thema reagieren und sich bei vielen Bürgern Protest regt – ich finde, auf diese Art von kritischer Öffentlichkeit können wir durchaus stolz sein.
Wenn man über die Vorratsdatenspeicherung diskutiert, muss man diese Hintergründe im Blick behalten. Die Debatte findet nicht im luftleeren Raum statt und ist auch nicht auf Deutschland beschränkt, sondern es handelt sich um einen Kompromiss aller EU-Mitgliedstaaten, der bis zum 15. September 2007 in nationale Gesetzgebung umgesetzt werden muss. Dem Deutschen Bundestag waren etwaige rechtliche Risiken und Vorbehalte durchaus bewusst, doch mit der Zustimmung zur Kompromisslösung ist es zumindest gelungen, in der Richtlinie Regelungen mit Augenmaß (z.B. keine Speicherung von Gesprächsinhalten, Beschränkung der Speicherungsfrist auf 6 Monate, Datenabfrage nur bei Verdacht erheblicher oder mittels Telekommunikation begangener Straftaten) zu erreichen.
Trotzdem kann ich Ihre Bedenken hinsichtlich der potentiellen Gefahren und Missbrauchsmöglichkeiten durchaus nachvollziehen. Hier wird ein überaus mächtiges System erschaffen, dass über die Verkehrsdaten das elektronische Kommunikationsverhalten der gesamten Bevölkerung protokolliert. Solange die Daten bloß gespeichert werden – und das werden sie ja teilweise heute schon, wenn auch vornehmlich zu Abrechnungszwecken – kann allerdings noch nicht von Überwachung die Rede sein. Die Vorratsdatenspeicherung als solche stellt keinen signifikanten Eingriff in die Vertraulichkeit der Kommunikation oder der Privatsphäre der Bürger dar. Ein solcher entsteht erst, wenn staatliche Stellen auf die Daten zugreifen und diese auswerten – dies unterliegt aber einer richterlichen Prüfung und einem strengen Kriterienkatalog.
Genau an dieser Stelle müssen wir sicherstellen, dass die Daten tatsächlich nur zur Terrorismusbekämpfung und Gefahrenabwehr genutzt werden. Jeder Zugriff sowie erst recht jede Erweiterung der Zugriffsbefugnisse muss einer sorgfältigen Prüfung unterzogen werden. Es darf auf keinen Fall eine schrittweise Aufweichung der Kriterien geben!
Den „totalen Überwachungsstaat“ werden wir mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung also keineswegs erschaffen. Ein Zugriff auf die gespeicherten Daten wird nur in begründeten Ausnahmefällen und mit richterlicher Legitimation erfolgen, denn es steht völlig außer Frage, dass eine solche Maßnahme einen erheblichen Eingriff in die verfassungsmäßig garantierten Grundrechte darstellt. Insgesamt bin ich darum zuversichtlich, dass es gelingen wird, die Balance zwischen Grundrechtsschutz und effektiver Strafverfolgung zu wahren.
Ich hoffe, ich habe Ihnen meinen Standpunkt näher bringen können und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Martina Krogmann