Frage an Martin Delius von Jochen W. bezüglich Kultur
Sehr geehrter Herr Delius,
mit großer Besorgnis sehe ich die Entwicklung bei dem neuen "Beitragsservice" der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Wie stellen Sie sich dazu? Hier die einzelnen Kritikpunkte:
1. Der neue Beitrag wird ja jetzt auf Haushalte erhoben, ungeachtet dessen, ob es sich dabei um einen Rentner am Existenzminimum oder um eine Luxusvilla handelt.
2. Zwar gibt es eine Härtefall-Regelung, der aber nur sehr bedingt Folge geleistet wird. Inzwischen wurden Fälle bekannt, daß sogar Hartz-4-Empfänger bezahlen sollen. Und zwar dann, wenn diese keine zusätzlichen Sozialleistungen beantragt haben. Tun sie dies aber, so wird jede zusätzliche Leistung erst mal mit dem Beitrag verrechnet. - Studenten, die Bafög beziehen, müssen trotzdem bezahlen, wenn der diesbezügliche Bescheid zu spät erstellt wird.
3. Bürger, die keinerlei Leistungen der Sender abfordern, sollen im Rahmen dieser "Demokratie-Abgabe" dennoch bezahlen. Mein Verständnis für Demokratie ist ein anderes.
4. Wenn ich mir anschaue, wofür diese immensen Gelder - die Rede ist von mindestens 7,5 Milliarden - verwendet werden, stellt sich mir doch die Frage, ob hier von einer "Grundversorgung" gesprochen werden kann. Gehört zu einer solchen Grundversorgung der Ankauf extrem teurer Fußballübertragungsrechte? Oder die Finanzierung völlig überzogener Moderatoren- und Intendantengehälter? Oder die Berentung der Mitarbeiter in Höhe von € 1.500,00 - zusätzlich zur gesetzlichen Rente? Nur drei Beispiele von vielen anderen.
5. Der gesetzlich verankerte Bildungsauftrag führt nur noch ein Nischendasein.
6. Mit am schlimmsten finde ich das Einsammeln der privaten Daten bei den Meldämtern. Hier wird eine parallele Meldedatei aufgebaut. Ja, parlamentarisch abgesegnet, das macht die Sache aber nicht besser.
Mich interessiert Ihre persönliche Meinung dazu, insbesondere die Piraten könnten hier neue Akzente in die gefühlte Ein-Parteien-Landschaft bringen.
Mit freundlichem Gruß,
Jochen Wilhelmy
Lieber Herr Wilhelmy,
bitte entschuldigen Sie die späte Antwort auf Ihre Frage.
Eine progressive Erhebung der Rundfunkbeiträge, die besser Verdienende stärker belastet, wäre grundsätzlich wünschenswert. Allerdings muss hier bedacht werden, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung der letzten Jahrzehnte enge Grenzen für die Finanzierungsmöglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gesetzt hat. Insbesondere eine Steuerfinanzierung kommt wegen des Gebots der Staatsferne nicht in Betracht - gegen eine progressive Beitragserhebung gibt es jedenfalls verfassungsrechtliche Bedenken, da sie einer Steuer schon sehr nahe käme.
Härtefallregelungen und ihre konkrete Umsetzung sind hier auf jeden Fall verbesserungswürdig. Allerdings ist das wesentliche Problem, daß die Alg II-Sätze einfach viel zu niedrig angesetzt sind, um eine Teilhabe an der Gesellschaft - und das betrifft bei weitem nicht nur den Rundfunk-Empfang - gewährleisten zu können.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eben kein privatwirtschaftliches Angebot, für das je nach angeforderter Leistung bezahlt wird, sondern der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung und Meinungsvielfalt verpflichtet. Die gemeinschaftliche Finanzierung dieser Aufgabe ist also in Ordnung. Bereits seit dem Wahlprogramm zur Abgeordnetenhauswahl 2011 fordern die Piraten übrigens die Umsetzung ähnlicher Konzepte für den öffentlichen Personennahverkehr, den wir ebenfalls für eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe halten, und der unabhängig vom persönlichen Nutzungsumfang gemeinschaftlich finanziert werden muss.
Die Programmgestaltung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten im Hinblick auf Prioritäten und Schwerpunkte ist durchaus kritikwürdig. Allerdings sind die Finanzierung und ihre Modalitäten nicht der geeignete Hebel, um diese Probleme anzugehen. Die Politik kann auf das Programm über die Rundfunkräte bzw. den Fernsehrat Einfluss nehmen, die die Einhaltung des gesetzlichen Sendeauftrags überwachen sollen. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass ein beherrschender Einfluss von Staatsvertretern in diesen Gremien verfassungswidrig ist.
Aus der Perspektive des Datenschutzes ist die Neuregelung durch den Rundfunkbeitragsstaatsvertrag eher eine Verbesserung.
Eine parallele Meldedatei war bei der GEZ bisher immer vorhanden. Der Abgleich mit dem Melderegister ist hier ein Fortschritt, da eben keine Organisation wie die GEZ eigene Datensammlungen vorhalten muss. Unnötig ist allerdings die Möglichkeit der Rundfunkanstalten, Daten aus anderen Quellen als dem Melderegister einzukaufen oder zu erheben. Da die Finanzierung über Steuern sich verbietet und der Einzug der Gebühren über die Finanzämter verfassungsrechtlich problematisch wäre, ist die Frage, was an dieser Stelle eigentlich die Alternative sein könnte.
viele Grüße
Martin Delius