Frage an Mark Helfrich von Rufus H.
Sehr geehrter Marc Helfrich,
in den Medien wird seit einiger Zeit sehr kritisch über die geplanten Freihandelsabkommen TTIP und CETA berichtet.
Ein Teil dieser bisher weitgehend geheimen Verträge sieht vor, dass Banken und Unternehmen besondere Klagerechte gegen Staaten erhalten, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor privaten Schiedsgerichten verhandelt werden sollen.
Am 25.9.2014 habe sie im Bundestag gegen einen Antrag der Grünen gestimmt der die Ablehnung von Schiedsgerichten zum Ziel hatte.
In meinen Augen bedeutet ihre Entscheidung eine weitere Machtverlagerung, weg von der Bevölkerung zu Gunsten von großen, multinationalen Konzernen.
Mich würde interessieren warum sie meinen mit ihrer Entscheidung im Interesse der Bürger gehandelt zu haben.
Mit freundlichen Grüßen,
Rufus Habekost
Sehr geehrter Herr Habekost,
haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht zum Thema Investitionsschutzabkommen/Investor-Staat-Schiedsverfahren, auf das sich der von Ihnen genannte Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 18/1458) bezog.
Erlauben Sie mir zunächst, ganz grundsätzlich und in aller Kürze auf die Bedeutung des Freihandels für Deutschland und für unser Sozial- und Wirtschaftssystem einzugehen. Deutschland als größte Volkswirtschaft in der EU und drittgrößter Exporteur weltweit profitiert in besonders hohem Maße von international frei handelbaren Gütern und Dienstleistungen sowie von grenzüberschreitenden Investitionen. Der Anteil der Exporte am deutschen Bruttoinlandsprodukt („Exportquote“) liegt bei rund 51 Prozent. Die deutschen Ausfuhren an Waren und Dienstleistungen betrugen rund 1,4 Billionen Euro im Jahr 2013. Freihandel ist zudem für die gesamteuropäischen Wertschöpfungsketten von hoher Bedeutung. Zwei Drittel der europäischen Importe sind Rohstoffe, Zwischenprodukte oder Komponenten für Hersteller in der EU. Eine Verteuerung von Einfuhren durch Handelszölle trifft somit die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen und deutschen Unternehmen und gefährdet letztlich Arbeitsplätze.
Der weltweite freie Handel mit Waren und Dienstleistungen ist Grundvoraussetzung für wirtschaftliche Prosperität und damit für den Erhalt von Lebensqualität und hohen sozialen Standards in der EU und in Deutschland. Beide haben somit ein hohes Interesse am Abschluss von Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP. Diese Gesamteinschätzung gilt es, im Auge zu behalten, wenn wir über einzelne Aspekte der Abkommen, wie zum Beispiel Investitionsschutz oder Schiedsgerichtsverfahren, reden. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die genannten Abkommen uns die – vielleicht letztmalige – Chance bieten, unsere hohen sozialen, umwelt- und verbraucherpolitischen Standards auch im 21. Jahrhundert weltweit zu verbreiten. Denn wenn es den USA und der EU nicht gelingt, diesbezügliche globale Standards für die Zukunft zu setzen, werden sie von anderen aufstrebenden Mächten, wie zum Beispiel China und Indien, gesetzt.
Zu dem von Ihnen konkret angesprochenen Thema Investitionsschutz und Schiedsgerichtsverfahren bzw. meinem Abstimmungsverhalten zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 18/1458) möchte ich Folgendes anmerken:
In den EU-Leitlinien für die Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitions-partnerschaft heißt es: „Was den Investitionsschutz anbelangt, so sollte mit den diesbezüglichen Bestimmungen des Abkommens das Ziel verfolgt werden, das Recht der EU und der Mitgliedstaaten unberührt zu lassen, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten die Maßnahmen zu ergreifen und durchzusetzen, die erforderlich sind, um legitime Gemeinwohlziele wie soziale, umwelt- und sicherheitspolitische Ziele, das Ziel der Stabilität des Finanzsystems sowie das Ziel der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit in nichtdiskriminierender Weise zu verfolgen. [...] Der Mechanismus für die Streitbeilegung zwischen Investor und Staat sollte Schutz vor offensichtlich ungerechtfertigten oder leichtfertigen Klagen beinhalten."
Die Bundesregierung verweist in ihrer Antwort vom 29.09.2014 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 18/2687) darauf, dass sie sich zur Frage der Einbeziehung von Investitionsschutz einschließlich Investor-Staat-Schiedsverfahren in das Abkommen von Anfang an kritisch geäußert hat. Diese Position hat die Bundesregierung auch in den zuständigen EU-Gremien geäußert. Sie sieht grundsätzlich keine Notwendigkeit für die Einbeziehung von Regelungen zum Investitionsschutz und zu Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) in das Abkommen, da amerikanische Investoren in der EU sowie EU-Investoren in den USA hinreichenden Schutz vor nationalen Gerichten erlangen können. Diese Position hat die Bundesregierung schon in den Beratungen über das TTIP-Verhandlungsmandat vertreten. Über eine eventuelle Einbeziehung dieses Bereichs in das Abkommen und eine mögliche Ausgestaltung soll - gemäß dem Verhandlungsmandat - nach Vorlage des Verhandlungsergebnisses und Evaluierung durch die Mitgliedstaaten entschieden werden.
Die Europäische Kommission hat die zunehmenden Bedenken in der europäischen Öffentlichkeit gegen ein Investitionsschutzkapitel aufgegriffen und zum Investitionsschutz und zu Investor-Staat-Schiedsverfahren im Rahmen des TTIP eine dreimonatige öffentliche Konsultation durchgeführt. Die Verhandlungen zum Investitionsschutz wurden zunächst ausgesetzt. Es liegen noch keine Texte vor, die eine inhaltliche Bewertung erlauben. Die Europäische Kommission wertet aktuell die Ergebnisse der Konsultation aus und wird dann ihre Verhandlungsposition mit den Mitgliedstaaten abstimmen.
Diese Vorgehensweise der Kommission ist zu begrüßen. Ich bin der Auffassung, dass der Bewertung durch die Europäische Kommission sowie der sich anschließenden Diskussion nicht vorgegriffen werden sollte. Deshalb habe ich zusammen mit meinen Kolleg/innen der Koalitionsfraktionen am 25.09.2014 gegen den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Drucksache 18/1458) gestimmt. Sobald die Konsultationsergebnisse zum Investitionsschutz und damit verbunden zu den Investor-Staat-Schiedsverfahren vorliegen, werden wir diese im Bundestag und in den Ausschüssen beraten. Unter der Leitung des stellvertretenden CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden, Dr. Michael Fuchs, MdB, hat sich bereits jetzt eine unionsinterne Arbeitsgruppe zur Beratung der offenen Fragen und Bedenken bezüglich der Folgen des Freihandelsabkommens konstituiert.
Die CDU/CSU-Fraktion vertritt dabei ganz klar die Position, dass Regelungen zum Schutz des Allgemeinwohls, die rechtsstaatlich und demokratisch begründet sind, nicht unterwandert werden dürfen. Es können definitiv nur Investitionen, die im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen des Gaststaats stehen, durch Investitionsschutzverträge geschützt werden. Nicht diskriminierende Vorschriften zum Umwelt- und Verbraucherschutz können daher auch kein Klagerecht von Unternehmen begründen.
Deutschland selbst hat Investitionsschutzregeln vor rund 50 Jahren erfunden und hat bereits mit rund 130 Staaten sogenannte Investitionsförderungs- und -schutzverträge abgeschlossen, darunter auch mit anderen EU-Mitgliedern. Bisher hat es auf dieser Basis nur drei Klagen gegen Deutschland gegeben. Keine dieser Klagen war bisher erfolgreich. Investitionsschutz ist nicht per se negativ, denn er garantiert gerade auch mittelständischen Unternehmen, dass ihre Investitionen im Ausland geschützt sind und gleichberechtigt mit den Investitionen nationaler Unternehmen behandelt werden. Er schafft somit Rechtssicherheit und Berechenbarkeit für Unternehmen und macht gleichzeitig Länder attraktiv für ausländische Direktinvestitionen.
Lassen Sie mich abschließend zum Ausdrucken bringen, dass ich bestehende Investitionsschutz-verfahren hinsichtlich der Unabhängigkeit ihrer Schiedspersonen und der Transparenz ihrer Entscheidungsfindung für stark verbesserungswürdig halte. Insbesondere dürfen durch Investitionsschutzabkommen - dies darf ich nochmals ausdrücklich betonen - rechtsstaatlich und demokratisch begründete Regelungen zum Schutz des Allgemeinwohls nicht unterwandert werden.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Antwort behilflich sein.
Mit freundlichen Grüßen
Mark Helfrich