Frage an Maria Böhmer von André U. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Staatsministerin Böhmer,
Ich lebe in Deutschland schon mein Leben lang und habe keinerlei Migrationshintergrund. Ich bin jedoch Jude. Ich weiß, die meisten Menschen hier in Deutschland sind gute und freundliche Bürger und ich begreife mich auch selbst als Deutscher.
Ich muss nun nicht damit beginnen, davon zu sprechen, wie belastet die deutsch-jüdische Beziehung ist; das sollte wohl klar sein. Ich bin auch kein Zionist, war noch nie in Israel und würde sehr gern weiterhin in Deutschland leben. Ich fühlte mich zudem bislang vollkommen integriert. Ich bin Gymnasiast, meine Mitschüler sehen mich glücklicherweise als Deutschen mit einer anderen Religion und dafür bin ich dankbar. Ich bin der einzige Jude an meiner Schule, die meisten meiner Freunde sind Nichtjuden und ich fahre am Wochenende 50 km zur nächsten Synagoge.
Bis dahin ist alles soweit okay. Aber ich muss sagen, dass ich Angst habe. Ich habe sogar große Angst. Ich habe Angst, allein, und nicht unter meinen nichtjüdischen Freunden, durch z.B. Berlin (von ostdeutschen Kleinstädten und Dörfern ganz zu schweigen) zu gehen, wenn ich dabei als Jude erkennbar bin. Ich habe Angst davor, dass man mich in der Arbeitswelt diskriminiert, weil ich Jude bin und ich wie die meisten Juden nichts dagegen machen kann. Ich habe Angst, dass rechtsradikale Parteien zu großen Einfluss in der Politik gewinnen; dass immer mehr Menschen uns Juden zu Hassobjekten machen; dass muslimische Deutsche zu wenig über uns aufgeklärt werden. Und ich habe ehrlich gesagt Angst, wirkliche Angst, dass die Bundesregierung weiterhin nur Bedeutungsloses gegen Rechtsradikale und Antisemitismus unternimmt.
Und schließlich habe Angst davor, dass ich irgendwann von hier weggehen muss, weil mich so viele Menschen hier pauschal hassen, nur weil ich einen anderen Glauben habe.
Meine Fragen: Ich habe mich integriert, aber was soll ich machen, wenn das nicht reicht? Und wie kann mir der Staat bei meinem Problem helfen?
Sehr geehrter Herr Ufferfilge,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 10. Februar 2007.
Ich kann Ihr Bedürfnis nach rechtlich verläßlichen Strukturen, in denen Sie frei und sicher leben können, sehr gut verstehen. Ich glaube jedoch nicht, daß Sie Angst haben müssen, wegen Ihres Glaubens in Deutschland „pauschal gehaßt“ zu werden, wie Sie schreiben. Ich habe seit langen Jahren gute Freunde, die jüdischen Glaubens sind. Einige von ihnen leben in Israel, andere in Deutschland. Alle haben mir in vielen Gesprächen immer wieder gesagt, daß sie sich in Deutschland besonders sicher fühlen.
Die Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Friedhöfe, Denkmäler und Einrichtungen zeigen zwar, daß auch in Deutschland Übergriffe nicht auszuschließen. Ich betrachte es aber als Zeichen der Ermutigung, daß viele Deutsche, sowohl im täglichen Leben als auch bei zahlreichen Veranstaltungen, immer wieder ihre Solidarität mit Mitbürgern jüdischen Glaubens demonstrieren.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre
Maria Böhmer