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Marcel Clostermann
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Frage von Matthias M. •

Frage an Marcel Clostermann von Matthias M. bezüglich Wirtschaft

Guten Tag Herr Clostermann,
Ihre Haltung zu einem Thema, das in der öffentlichen Diskussion bisher kaum vorkommt, interessiert mich besonders: Die Digitalisierung. Hierunter werden die unterschiedlichen technologischen Entwicklungen wie Automatisierung, Vernetzung oder Big Data Analysen zusammengefasst.
Durch die fortschreitende Digitalisierung wird sich die Arbeitswelt und auch die Gesellschaft wandeln. Sicherlich ist Ihnen die Studie von Osborne und Frey (The future of employment: how susceptible are jobs to computerisation?) bekannt, aus der folgt, das 47% aller Berufe bis 2030 obsolet sein werden. Weitere Studien zu diesem Thema kommen zu ähnlichen Ergebnissen (siehe Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: WD 6 – 3000 - 035/16).
Nun meinen Fragen: Wie gedenken Sie auf diese Entwicklung zu reagieren? Wie wollen Sie verhindern, dass 2030 die Arbeitlosenquote über 50% steigt? Wie können die Sozialsysteme eine solche Entwicklung aushalten? Wie kann der Staat weiter funktionieren, wenn Arbeit nicht mehr zur Erwirtschaftung von Erträgen benötigt wird, aber die einzige wesentliche Einnahmequelle bleibt? Wie können die Bürger vor ungewollter Nutzung oder Missbrauch ihrer Daten geschützt werden? Wie sollte dieser Umbau der Gesellschaft durch Gesetze reguliert werden und wie soll die Kontrolle darüber erfolgen?
Die Beantwortung dieser Fragen halte ich für die wichtigste Herausforderung an Sie als Politiker, da die Auswirkungen auf die Gesellschaft durchaus in einem vergleichbaren Umfang wie bei der Industrialisierung im 19. Jhdt. Zu erwarten ist. Bitte erläutern Sie Ihre Ansichten, sowie die Ihrer Partei.

Herzlichen Dank,

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Antwort von
PIRATEN

Guten Tag Herr M.,

zunächst möchte ich ganz offen zugeben, dass ich diese Studie nicht kenne. Es handelt sich um einen akademischen Text, den ich mitsamt seiner Querverweise (Quellen: Seiten 45 bis 56) durcharbeiten müsste. Sollte ich den Text überhaupt (aufgrund meines Hintergrundes als Mathematiker mit Nebenfach Statistik) verstehen, bräuchte ich dafür dennoch mehrere (ganze) Tage. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis, dass ich mich nur auf die Quintessenz Ihrer Frage konzentriere.

Besonders monotone Arbeiten können heutzutage durch Dunkelverarbeitung (gleichbedeutend mit dem Trendwort "Roboting") und technische Unterstützung für den Sachbearbeiter einfacher und komfortabler gemacht werden. Dadurch fällt natürlich dauerhaft weniger Arbeit für den Menschen an und in den betroffenen Bereichen werden Stellen allmählich abgebaut bzw. nicht neu besetzt.

Für den Menschen an sich ist das ein Fortschritt. Aufgaben, die nicht rein aus Spaß wahrgenommen wurden, können von geeigneter Hardware und Software übernommen werden.
Das eigentliche Problem treffen Sie mit Ihrer Frage "Wie kann der Staat weiter funktionieren, wenn Arbeit nicht mehr zur Erwirtschaftung von Erträgen benötigt wird, aber die einzige wesentliche Einnahmequelle bleibt?".
"Arbeit" bedeutet für den Menschen einerseits Beschäftigung, andererseits Einkommen. Meiner Meinung nach muss man diese Frage daher in zwei Teile splitten: Wie erhält der Mensch in einer digitalisierten Welt Beschäftigung? Und woher bekommt er Geld zum Leben?

Mit einem gesicherten Grundeinkommen fällt die Suche nach Beschäftigung leicht, so kann man sich z.B. ehrenamtlich engagieren oder sportlichen Ambitionen nachgehen. Die schwierigere Frage ist, wie man es schafft, dass die Digitalisierung nicht für Armut unter dem Großteil der Bevölkerung, den (ehemaligen) Arbeitnehmern, sorgt.
Die Piratenpartei setzt sich daher für ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE; Kapitel 11.4 des Wahlprogramms) ein. Von den verschiedenen Varianten, wie man ein BGE finanzieren könnte, fand ich persönlich die "Latte Macciato These" (Mehrwertsteuer-Ansatz) sowie ihre Hybrid-Formen an interessantesten.

Um Ihre Frage "Wie wollen Sie verhindern, dass 2030 die Arbeitlosenquote über 50% steigt?" zu beantworten: Falsche Versprechen wären hier fehl am Platze: Eine Steigerung der Arbeitslosenquote lässt sich nicht verhindern. Nicht nur die Digitalisierung, sondern auch modernes Management von "Human Resources" sorgen dafür, dass der einzelne Arbeiter eine immer höhere Produktivität für sein Unternehmen mitbringt. Gleichzeitig sinkt die Zahl der durch den Menschen zu erledigenden Aufgaben. Es gibt daher auch jetzt schon ganz einfach nicht mehr genug sinnvolle wirtschaftlich lohnenswerte Arbeit für alle. Dieser Trend wird sich rapide fortsetzen. Umso schwachsinniger ist es vor diesem Hintergrund, dass Arbeitslose und Harz4-Empfänger in unserer Gesellschaft merklich stigmatisiert sind.
Ein BGE ist sicherlich kein Allheilmittel, doch eine sinnvolle Reaktion auf diese Entwicklung. (Weitere) Maßnahmen, die die Arbeitslosenstatistik beschönigen halte ich wiederum nicht für zielführend.

Ihre letzten beiden Fragen beziehen sich auf Bürgerrechte und Datenschutz (Kapitel 1 des Wahlprogramms). Dies sind Kernthemen der Piratenpartei, unsere Forderungen hierzu sind unter anderem:

Die Datenschutzbehörden müssen gezielt gestärkt werden.
Der Datenhandel muss eingedämmt werden.
Wir stehen gegen die Vorratsdatenspeicherung, die flächendeckende Videoüberwachung und den Staatstrojaner.

Die Netzneutralität muss gestärkt und gesetzlich verankert werden.
Die digitale Spaltung muss durch staatlich geförderte Schulungsmöglichkeiten sowie durch offene WLAN-Zugänge in öffentlichen Einrichtungen überwunden werden.
Die Bildung eines staatlichen Trustcenters u. a. für gesicherte E-Mail Verschlüsselung soll erfolgen.
Die Anonymität im Internet muss gesichert sein.

Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen in ausreichendem Umfang beantworten.

Mit freundlichen Grüßen
Marcel Clostermann