Frage an Manuel Sarrazin von Christoph S. bezüglich Wirtschaft
1.Kann es sein, dass durch die 4 EU-Grundfreiheiten Kapitalverkehr, DienstleistungsF. Güterverkehr und Freizügigkeit die Einzelstaaten ihre Souveränität nicht an eine mächtige Zentral-EU verloren haben, sondern an viele starke Unternehmen und Einzelpersonen, die die Staaten gegen einander ausspielen können? Dass eine starke Zentral-EU nötig ist, damit überhaupt noch staatliches Handeln möglich ist?
Dass die EU einigen Staaten Methoden ermöglicht, Gesetze mit sehr großen Auswirkungen auf andere Staaten zu erlassen, ohne dass diese dagegen was machen können?
2. Was halten sie davon, die Braunkohleförderung zu benachteiligen, um im Stromnetz mehr Platz für die Erneuerbaren zu schaffen?
3. Will ihre Partei Eisenbahn, ÖPNV und Fahrad mehr fördern und dafür Autos benachteiligen oder eher umgekehrt?
4. Kann es sein, dass das Know-How, mit dem die arme Arbeiterklasse der 1950ger Jahre in sehr bescheidenen Verhältnissen über die Runden gekommen ist, bei den heutigen Armen verloren gegangen ist?
5. Kann es sein, dass die großen Städte wie HH, München, Frankfurt/Main voll sind und deswegen nur dann Zuzügler hineinpassen, wenn andere sie verlassen? Dass Neubau von Wohnungen nur wenig hilft, weil zu langsam, zu teuer und zu wenig? Dass nur deswegen die Mieten zu teuer sind, weil viel mehr Leute dort hin wollen als Platz haben?
Was halten Sie davon, Bestandsbewohner zu fördern, die in von Absiedlung bedrohte dünn besiedelte Gebiete umziehen wollen, um die Wohnungsnot zu lindern?
6. Was halten Sie davon, Roma organisiert auf ganz Deutschland zu verteilen, um sie besser ausbilden und integrieren zu können?
7. Was halten Sie davon, Flüchtlinge und Asylbewerber vorzugsweise in Gebieten mit hohem Wohnungsleerstand unterzubringen?
8. Wollen Sie den S-Bahn-Tunnel unter dem Müchner Marien-Platz fördern oder die Variante über den Süd-Ring?
Sehr geehrter Herr Strebel,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 11. September 2013, die ich wie folgend beantworte:
1. „ Kann es sein, dass durch die 4 EU-Grundfreiheiten Kapitalverkehr, DienstleistungsF. Güterverkehr und Freizügigkeit die Einzelstaaten ihre Souveränität nicht an eine mächtige Zentral-EU verloren haben, sondern an viele starke Unternehmen und Einzelpersonen, die die Staaten gegen einander ausspielen können? (...)“
Tatsächlich ist es so, dass die Mitgliedsstaaten der EU im Laufe des jahrzehntelangen Integrationsprozesses in einigen Politikbereichen Souveränität abgegeben haben. Auch ist das Thema „Lobbyismus“ nicht zu unterschätzen. Ich würde allerdings nicht so weit gehen, dass die vier Grundfreiheiten an einflussreiche Unternehmen oder Privatpersonen verloren gegangen sind. Der Vertrag von Lissabon hat ja z.B. in den letzten Jahren das Parlament gestärkt. Dennoch bin auch ich der Ansicht, dass die EU noch nicht so funktioniert, wie wir das gerne hätten. Daher müssen wir weiter am Projekt Europa arbeiten: Es fehlt eine demokratisch legitimierte, aufeinander abgestimmte Wirtschafts-, Finanz-, Haushalts- und Sozialpolitik. Dafür brauchen wir wirksamere Steuerungsverfahren und starke Parlamente. Doch auch der Weiterausbau der EU in eine politische Union muss die Souveränität der Mitgliedsstaaten sehr genau beachten. Das haben z.B. die Urteile des Bundesverfassungsgerichts in den letzten Jahren gezeigt.
Näheres zu meinen Vorschlägen für eine zukunftsfähige EU finden Sie auf meiner Homepage: www.manuel-sarrazin.de
2. „Was halten sie davon, die Braunkohleförderung zu benachteiligen, um im Stromnetz mehr Platz für die Erneuerbaren zu schaffen?“
Bis zum Jahr 2020 wollen meine Kolleg/innen und ich von Bündnis 90/Die Grünen den Anteil der erneuerbaren Energien gegenüber dem heutigen Stand von knapp 25 Prozent mindestens verdoppeln. Unser Ziel bis 2030 ist es, unsere Stromversorgung komplett auf 100 Prozent erneuerbare Energien umzustellen. Dabei wird sich der Strommarkt in Zukunft auf Wind und Sonne stützen. Insofern stimme ich Ihnen zu: wir müssen nach und nach die Braunkohleförderung zurückfahren. Zudem ist es allerdings auch wichtig, die Netze auszubauen. Und beim Netzausbau darf es keine Aufweichung der Natur- und Umweltstandards geben. Eine bundeseinheitliche Regelung ist nötig, aber wir setzen uns dafür ein, dass diese keine Absenkung des Naturschutzniveaus bedeutet. Wir wollen durch eine frühzeitige Beteiligung von BürgerInnen und Umweltverbänden Naturschutzkonflikte lösen und dazu auch eine Clearing-Stelle einrichten.
Näheres zum grünen Erneuerbare-Energien Konzept finden Sie z.B. in diesem Beschluss der Bundestagsfraktion: http://www.gruene- bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluesse/Beschluss _Weimar_Energiewende.pdf
3. „Will ihre Partei Eisenbahn, ÖPNV und Fahrad mehr fördern und dafür Autos benachteiligen oder eher umgekehrt?“
Bündnis 90/Die Grünen setzt auf ein Konzept der nachhaltigen Mobilität für alle. Dabei schützen wir Menschen und Klima, indem wir Verkehrsträger besser verknüpfen, öffentlichen Verkehr, Radfahren und Zufußgehen priorisieren, Güterverkehr auf die Schiene verlegen und Transporte durch Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe vermeiden.
Wir wollen Autofahrer/innen Alternativen aufzeigen, indem wir den ÖPNV attraktiver gestalten. Insofern ist es unser Ziel, ein effizienteres und nachhaltigeres Mobilitätskonzept zu schaffen, dass allen Verkehrsteilnehmer/innen Vorteile schafft – hierbei aber den öffentlichen Verkehr, das Radfahren und Zufußgehen priorisiert.
4. „Kann es sein, dass das Know-How, mit dem die arme Arbeiterklasse der 1950ger Jahre in sehr bescheidenen Verhältnissen über die Runden gekommen ist, bei den heutigen Armen verloren gegangen ist?“
Die beiden Generationen, von denen Sie schreiben, unterscheiden Sich meiner Einschätzung nach in vielen Punkten. Die Armut der Menschen in den 1950er Jahren war z.B. noch stark von den Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges geprägt. Zugleich war der Arbeitsmarkt ein völlig anderer; viele Tätigkeiten, die in den 1950er Jahren von Arbeiter/innen ausgeführt wurden, wurden mittlerweile durch Maschinen ersetzt. Ich weiß leider nicht genau, von welchem Know-How genau Sie sprechen. Fakt ist für mich, dass das deutsche Bildungssystem vielerorts Reformen braucht und es sich Deutschland besonders angesichts des demographischen Wandels nicht leisten kann, dass immer noch so viele junge Menschen das Schulsystem ohne Abschluss verlassen. Daher setzen wir Grünen uns für bessere Zugänge zu Bildung und zum Arbeitsmarkt über alle Lebensphasen hinweg ein.
5. Wohnungsmarktpolitik
Vielen Dank für Ihre Frage zur Wohnungsmarktpolitik – dies ist tatsächlich ein Thema, das mich sowohl auf Bundesebene wie auch in meinem Wahlkreis in Hamburg fast täglich beschäftigt. Sie sprechen die Großstädte an, da besonders hier die Wohnungsnot sichtbar wird. Sie haben recht, dass Neubau natürlich nur bedingt eine Antwort sein kann und zudem nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen ist. Daher ist es auch wichtig, vorhandene und wenig besiedelte Gebiete in Stadtnähe attraktiver zu gestalten – z.B. auch durch eine sinnvolle ÖPNV Anbindung. Da Platz in Großstädten knapp ist, setzen wir uns für eine Einschränkung des Flächenverbrauchs ein. Zusätzlich zu baulichen Maßnahmen wollen wir Vernetzung, Bildung oder bürgerschaftliches Engagement fördern. Außerdem koppeln wir Neubauprojekte an die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Wohnen und Heizen müssen für alle bezahlbar sein.
6. „Was halten Sie davon, Roma organisiert auf ganz Deutschland zu verteilen, um sie besser ausbilden und integrieren zu können?“
Ich würde Sie bitten, diese Frage zu erläutern. Meinen Sie Roma, die bereits in Deutschland leben, oder Roma, die nach Deutschland einwandern? Bereits in Deutschland wohnende Roma sollten aus meiner Sicht nicht „nachträglich“ geographisch auf Deutschland verteilt werden, da die Familien vor Ort bereits ein soziales Netz geknüpft haben. Hier braucht es verlässliche Möglichkeiten zur Aufenthaltsverfestigung, um sich niederzulassen und eine Perspektive zu haben.
Generell bin ich bei der Integration von Migrant/innen, die nach Deutschland kommen, jedoch der Ansicht, dass hier verstärkt bundesweit zusammengearbeitet werden muss.
7. „Was halten Sie davon, Flüchtlinge und Asylbewerber vorzugsweise in Gebieten mit hohem Wohnungsleerstand unterzubringen?“
Diese Frage kann ich leider so allgemein nicht beantworten. Es gibt sicherlich einige Gebiete mit hohem Wohnungsleerstand, die sich dazu eignen, Flüchtlingen und Asylbewerbern für die erste Zeit einen Wohnort zu bieten. Allerdings ist das von Stadt zu Stadt sehr verschieden und es sollte hierbei sehr viel Wert auf eine gute Anbindung an z.B. Schulen etc. gelegt werden.
8. „Wollen Sie den S-Bahn-Tunnel unter dem Müchner Marien-Platz fördern oder die Variante über den Süd-Ring?“
Mit dieser Frage würde ich Sie bitten, sich direkt an meine Kolleg/innen von Bündnis 90/Die Grünen in München zu wenden: http://www.gruene-muenchen.de/
Ich hoffe, Ihre Fragen beantwortet zu haben. Sollten noch Rückfragen bestehen, wenden Sie sich gerne an mich (wie oben bereits erwähnt, gerne mit einer kurzen Erläuterung) oder meine Kolleg/innen der Bundestagsfraktion bzw. grüne Landesverbände.
Mit freundlichen Grüßen,
Manuel Sarrazin