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Frage von Michael M. •

Frage an Lothar Binding von Michael M. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Binding,

vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort.
Da ich kein Finanzexperte bin, habe ich zu Ihren Ausführungen noch eine Verständnisfrage. Sie schreiben:
"Die Schuldenbremse verfügt über einen sinnvollen Mechanismus, der dem Staat in konjunkturell schlechten Zeiten und Ausnahmesituationen – etwa bei einer Naturkatastrophe oder einer weltweiten Rezession – eine Kreditaufnahme über das Schuldenlimit hinaus ermöglicht."
Bedeutet dies, dass erst wenn die konjunkturell schlechte Zeit oder die Ausnahmesituation eingetreten ist, - das Kind also schon in den Brunnen gefallen ist - ein Überschreiten des Schudenlimits möglich ist, oder ist dies bereits möglich, wenn sich eine solche Situation abzeichnet bzw. vielleicht sogar schon dann, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer solchen Notsituation spricht?

Mit freundlichen Grüßen

Michael Mayer

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Mayer,

vielen Dank für Ihre Nachfrage. Wir beobachten starkes und schwächeres Wirtschaftswachstum oder zunehmendes und abnehmendes Wachstum, Schrumpfung der Wirtschaft, nachlassende Schrumpfung und so weiter. Im Regelfall sind die Übergänge zwischen diesen Phasen fließend, erstrecken sich über eine gewissen Zeitabschnitt. Wenn sich eine, wie Sie schreiben, "konjunkturell schlechte Zeit" abzeichnet, sollte der Staat aktiv werden. Diesen Anspruch formulieren Sie mit Ihrer Frage. Das ist auch meine Meinung. Allerdings ist die Neuverschuldung dabei tatsächlich das letzte Mittel - leider ein sehr bequemes und deshalb in der Vergangenheit oft voreilig in Anspruch genommen. Denken Sie nur an das Desaster bei der Finanzierung der Deutschen Einheit.

Nachfolgend deute ich mit wenigen Beispielen an welche Möglichkeiten ich
sehe vorausschauend und konjunkturgerecht zu steuern:

- Verstärkung oder Abschwächung der Investitionsaktivitäten des Staates, also des Bundes, der Länder und der Kommunen, um die Nachfrage zu stimulieren oder zu dämpfen,
- Veränderungen der Vergabebedingungen, der VOL bzw. VOB, mit dem Ziel die Beauftragung des Handwerks und des Mittelstandes zu beschleunigen,
- Finanzierungsbeschleunigung bei großen Investitionen, z.B. der Bahn AG, um positive Konjunkturimpulse zu setzen,
- Zulassung der Wirkung automatischer Stabilisatoren, um Schwankungen im Konjunkturzyklus auszugleichen oder abzumildern. Denn antizyklische Wirkungen treten dabei im Regelfall schneller ein als bei speziellen Maßnahmen der Konjunkturpolitik. Auf der Einnahmeseite denken Sie etwa an die progressive Einkommensteuer, als klassischen ausgabeseitigen automatischen Stabilisator möchte ich staatliche Transferleistungen im Falle von Arbeitslosigkeit nennen.

Weitere Steuerungsinstrumente liegen z.B. bei der Regelung von Kurzarbeit - die gegenwärtig von Minister Olaf Scholz entwickelten Instrumente in der Kurzarbeit verbinden die Anstrengung zum Erhalt der Arbeitsplätze mit der Notwendigkeit von Aus- und Weiterbildung.

Eine Idee, die ich schon fast 20 Jahren vortrage, hat lange gebraucht, bis sie auf breiterer Basis zur Anwendung kam: Contracting. Contracting ist auch eine sehr gute Möglichkeit, konjunkturell gewünschte Effekte mit ökologischen Zielen zu verbinden: Energetische Sanierung schafft Arbeit, Aufträge also Arbeitsplätze, spart fossile Energieträger und künftige Betriebskosten in den öffentlichen und auch privaten Haushalten.

Mit diesen wenigen Andeutungen wollte ich zeigen, dass es viele Möglichkeiten gibt, im Rahmen der etatisierten Mittel in den öffentlichen Haushalten für den Staat aktiv zu werden, wenn sich, wie Sie schreiben: "eine solche Situation abzeichnet bzw. vielleicht sogar schon dann, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer solchen Notsituation spricht". Die Aufnahme neuer Schulden sehe ich im Vergleich zu allen anderen Maßnahmen erst als eines der letzten und ergänzenden Instrumente.

Aber insgesamt sollten wir die jetzt diskutierten Vorschläge abschließend erst beurteilen, wenn die entsprechenden Gesetze im Bundestag beschlossen worden sind.

Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding