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Lothar Binding
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Frage von Michael M. •

Frage an Lothar Binding von Michael M. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Binding,

mich würde interessieren, wie Sie zur sog. Schuldenbremse stehen, die sogar im Grundgesetz verankert werden soll.
Ich hoffe, Sie sind sich der Tragweite einer solchen Vorgehensweise bewusst. Denn wenn die so genannte Schuldenbremse kommt, dann wird der politische Spielraum für jede soziale und ökologische Politik massiv eingeengt.
Natürlich sollte der Staat sparen, aber wenn es die Situation erfordert, muss er notfalls durch Schulden handlungsfähig bleiben. Die jetzige Krise beweist dies: Allein für die Rettzung der Banken - ob sinnvoll oder nicht - wurden hunderte Milliarden Euro vorgesehen und auch die jetzt beschlossenen Konjunkturpakete kosten Milliarden. Wäre die Neuverschulden jedoch durch das Grundgesetz beschränkt, so könnte schlimmstenfalls einer drohenden Rezession nicht entgegengewirkt werden. Was das für Folgen haben würde, mag sich jeder selbst ausdenken.
Die Handlungsfähigkeit des Staates würde meines Erachtens durch eine solche Schuldenbremse stark beschnitten werden und käme nur den Reichen und der neoliberalen Wwirtschaft zu gute. Denn es würden weitere Privatisierungen vorgenommen werden, die den Bürger teuer zu stehen kommen, und auch ÖPP-Projekte würden weiter ausgebaut werden, obwohl bereits die meisten Rechnungshöfe erkannt haben, dass jede noch so hohe Verschuldung allemal günstiger wäre als Privatisierungen oder PPP.
Ihre Partei erkannte bereits in den 70-er Jahren, dass nur Reiche sich einen armen Staat leisten können.

Ich hoffe, Sie teilen meine Ansicht oder erkennen zumindest die Gefahr, die eine solche Selbstkastration des Saates mit sich bringt.

mit freundlichen Grüßen

Michael Mayer

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Sehr geehrter Herr Mayer,

für Ihre Frage danke ich Ihnen recht herzlich. Viele Ihrer Überlegungen zur Ausgestaltung eines Verschuldungsverbots haben wir in den Beratungen des Finanz- und des Haushaltsausschusses, in denen ich Mitglied bin, in ähnlicher Weise wie Sie angestellt. Dies gilt insbesondere natürlich auch für die Kommission zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen, bei der die Federführung lag. Sie werfen zentrale Fragen nach der Handlungsfähigkeit des Staates und der zulässigen und vertretbaren Belastung künftiger Generationen von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern auf. Die Antworten, die die Kommission gefunden hat und über die wir uns in den parlamentarischen Beratungen einigen müssen, tragen viele Züge eines Kompromisses. Von einer Schuldenbremse wie in der Schweiz, die schon nach wenigen Monaten – zu dem Zeitpunkt in dem sie hätte wirksam werden sollen – außer Kraft gesetzt wurde, halte ich nichts. Von einer Schuldenbremse, die kluge und antizyklische Wirtschaftspolitik zur Stabilisierung vorsichtigen Trendwachstums in jeder Phase erlaubt, halte ich viel.

Das Verhandlungsergebnis der Kommission zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen ermöglicht zweierlei: den Abbau der Neuverschuldung und die politische Gestaltungsfähigkeit in einem handlungsfähigen Staat. Folgender Überblick über die Ergebnisse soll Ihnen einen Eindruck hiervon vermitteln.

Ich unterstütze die Reduzierung der Nettoneuverschuldung, auf die sich Bund und Länder mit der Einführung einer wirksamen Schuldenbremse ab 2011 verpflichtet haben. Auf dieses Ziel haben sich die Mitglieder der Föderalismuskommission II geeinigt; die parlamentarischen Beratungen dazu werden voraussichtlich im März beginnen, um die notwendige Verfassungsänderung noch in dieser Legislaturperiode zu beschließen.

Die Bundesländer dürfen ab dem Jahr 2020 in wirtschaftlich normalen Zeiten keine neuen Kredite mehr aufnehmen. Um den fünf finanzschwachen Ländern Berlin, Bremen, Sachsen-Anhalt, Saarland und Schleswig-Holstein diesen fundamentalen Schritt zu erleichtern, erhalten sie ab 2011 Konsolidierungshilfen von insgesamt etwa 7 Mrd. Euro. Im Gegenzug müssen diese Länder strikte Haushaltsdisziplin einhalten; Bremen und das Saarland werden außerdem ihre Klagen auf zusätzliche Bundeshilfen vor dem Bundesverfassungsgericht zurückziehen. Das Geld für die Konsolidierungshilfe stammt aus einem Topf, der jeweils zur Hälfte vom Bund und den Ländern, die auf Anteile des Aufkommens aus der Umsatzsteuer verzichten, gefüllt wird. Dabei ist es wichtig zwischen Bundes- und Staatshaushalt zu unterscheiden – mir ist dabei der Staatshaushalt wichtig.

Der Bund hat das Recht zu einer jährlichen Neuverschuldung von höchstens 0,35 % der Wirtschaftsleistung, derzeit wären dies 8,5 Mrd. €. Diese Obergrenze soll ab 2016 gelten; bis dahin muss der Bund seine Nettokreditaufnahme schrittweise zurückführen.

Weiterhin ist die Einrichtung eines Frühwarnsystems geplant, das künftige Haushaltsnotlagen im Bund oder in den Ländern rechtzeitig erkennt. Der sog. Stabilitätsrat, bestehend aus den Finanzministern von Bund und Ländern, überwacht die Haushalte aller Gebietskörperschaften und entwickelt im Fall drohender Haushaltsnotlagen ein Sanierungsprogramm.

Die Schuldenbremse verfügt über einen sinnvollen Mechanismus, der dem Staat in konjunkturell schlechten Zeiten und Ausnahmesituationen – etwa bei einer Naturkatastrophe oder einer weltweiten Rezession – eine Kreditaufnahme über das Schuldenlimit hinaus ermöglicht. Über eine solche Lockerung der Schuldenbremse und über die Tilgung der Verbindlichkeiten entscheidet der Bundestag.

Auch an anderer Stelle lässt sich die Schuldenbremse flexibel einsetzen: In Zeiten eines wirtschaftlichen Abschwungs sind konjunkturbedingte Defizite zulässig; dies gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass im Aufschwung konjunkturbedingte Überschüsse zur Schuldentilgung eingesetzt werden. Die Einhaltung dieser Konjunkturkomponente wird mittels eines Kontroll- oder Ausgleichskontos überwacht. Das Bundesministerium der Finanz erklärt die Funktionsweise dieses Kontos folgendermaßen: „Auf diesem Konto werden nach Abschluss eines jeden Haushaltsjahrs die Abweichungen von der zulässigen Kreditaufnahme festgehalten und saldiert. Bei einer Unterschreitung der Verschuldungsgrenze im jeweiligen Haushaltsjahr kommt es zu einer Gutschrift auf dem Kontrollkonto, eine Überschreitung führt zu einer Belastung des Kontos. Überschreiten die saldierten Belastungen des Kontrollkontos den Schwellenwert von 1,5 % des BIP, so sind diese konjunkturgerecht zurückzuführen.“

Die geplante grundgesetzlich verankerte Verschuldungsregel ermöglicht sie stark genug anzuziehen, um die Nettoneuverschuldung wirksam zu begrenzen. Aber politische Gestaltung erschöpft sich nach meiner Einschätzung nicht in der alleinigen Umsetzung von Sparbeschlüssen. Deshalb müssen wir die Schuldenbremse allerdings auch so weit lockern können, um die staatliche Handlungsfähigkeit zu erhalten.

Gerade in einer Zeit, in der wir lernen, dass neoliberale, auch liberale staatsfeindliche und marktradikale Politik in der Praxis ihr Scheitern bewiesen haben, müssen wir mit Ideen, die den Staat weiter zurück drängen wollen, sehr vorsichtig sein. Wir haben ja auch gelernt, dass Leute die den Staat oft als Regulierer, als bürokratisches Monster und Steuereintreiber darstellen, keine Skrupel haben bei Versagen des Marktes und des Privaten nach der Unterstützung durch den Staat zu rufen.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Lothar Binding