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Lothar Binding
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Frage von Ralf W. •

Frage an Lothar Binding von Ralf W. bezüglich Finanzen

Lieber Herr Binding,
In der letzten Sendung des ARD Magazins "FAKT"haben Ruppert Neudeck und Volker Seitz (17 Jahre Deutscher Botschafter in Afrika) ein desillusionierendes Fazit aus fast 50 Jahren Entwicklungshilfe für Afrika gezogen und festgestellt, dass bis auf wenige Ausnahmen korrupte, undemokratische und nur auf Bereicherung ihres Clans ausgerichtete Politiker an der Macht sind. Herr Seitz sagte wörtlich: Mehr Geld ist gefährlich, weil es die Eigeninitiative lähmt.
Jetzt lese ich, dass die Gelder für Afrika im Haushalt 09 des BMZ nochmals um 513 Mio aufgestockt werden und selbst korrupteste Länder wie Kamerun und Kenia mehr Geld bekommen sollen. Diese Gelder werden zum Teil sogar als Budgethilfe gewährt, während die enge Kontrolle von Projekten zunehmend zurückgefahren wird. Wie sind dem Bürger gekürzte Sozialleistungen zu erklären, wenn gleichzeitig korrupte Regierungen verstärkt mit Entwicklungshilfe bedacht werden während Fachleute dringend davor warnen? Wie kann besser kontolliert werden, dass unsere Steuergelder die herrschenden Clans in Afrika nicht noch reicher machen während die Menschen auf dem Land und in den unsäglichen Slums der Großstädte immer ärmer werden?
Ich habe über 30 Jahre für Projekte der EZ in Afrika gearbeitet und weiß wovon ich rede.
mit freundlichen Grüßen, Ralf Weiner

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Weiner,

für Ihre Frage danke ich Ihnen recht herzlich. Sie kritisieren die Effizienz der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen Staaten und die qualitative Ausrichtung unserer finanziellen Unterstützung für diese Länder. Aus einigen Gesprächen mit Fraktionskolleginnen und -kollegen, die in diesem Politikfeld seit Jahren arbeiten und viele Initiativen und Projekte begleitet haben, weiß ich, dass viele Entwicklungshelfer ihrer Arbeit mit starkem persönlichem Einsatz und hohem moralischem Anspruch nachgehen. Dafür gebühren ihnen großer Dank und hohe Anerkennung. Rückmeldungen "aus der Praxis" über Sinn und Zweck der entwicklungspolitischen Strategien und der daran anknüpfenden Projekte und Kooperationen stellen für unsere Evaluation und Verbesserung auch eine unverzichtbare Informationsquelle dar.

Ich stimme Ihnen deshalb zu, dass wir diese Partnerschaften nicht nur an humanitären, wirtschaftlichen oder infrastrukturellen Kriterien ausrichten dürfen. Wir müssen immer auch politische Kriterien - Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Qualität und Legitimität des staatlichen Herrschaftsanspruchs, Reichweite und Effizienz der Verwaltung - als Maßstab anlegen. Aus Ihrer langjährigen Erfahrung ist Ihnen sicherlich bekannt, dass wir die unterschiedlichen Facetten "Guten Regierens" im Koalitionsvertrag zu einem zentralen Kriterium bei der Konzeptionierung und Umsetzung der Entwicklungspolitik gemacht haben. Dies gilt auch für die Budgethilfen, die im Rahmen der Programmorientierten Gemeinschaftsfinanzierung (PGF) gewährt werden und direkt in den allgemeinen Haushalt des Empfängerlandes fließen.

Folgende Information des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklungspolitik (BMZ) verdeutlicht den verstärkten Einsatz dieses Instruments: "Die Programmorientierte Gemeinschaftsfinanzierung hat sich inzwischen von einem Ausnahmeinstrument zu einem regulären Einsatzmittel der deutschen Entwicklungszusammenarbeit entwickelt. Das BMZ sieht vor, jährlich mindestens 300 Millionen Euro für PGF einzusetzen - das entspricht etwa einem Viertel der derzeitigen BMZ-Haushaltsmittel für die Finanzielle Zusammenarbeit. Für 2007 wurden 350 Millionen, für 2008 400 Millionen Euro in die Planungen eingestellt. Für Subsahara-Afrika, deutsche Schwerpunktregion für PGF, soll der derzeitige PGF-Anteil an der Finanziellen Zusammenarbeit schrittweise von 40 auf 50 Prozent steigen."

Sie finden auf der Homepage des Bundesministeriums unter folgenden Links weiterführende Informationen zu den Themenkomplexen Gute Regierungspraxis und Budgethilfen: http://www.bmz.de/de/themen/goodgovernance/guteregierung/index.html und
http://www.bmz.de/de/wege/bilaterale_ez/zwischenstaatliche_ez/gemeinschaftsfinanzierung/index.html?follow=adword

Der Bundesrechnungshof hat die Förderpraxis der Budgethilfen geprüft und als sinnvolles und wirksames Instrument der Entwicklungspolitik bezeichnet. Die Vergabe dieser Budgethilfen unterliegt einer beständigen Prüfung, die sicherstellt, dass die Empfängerländer die Kriterien guter Regierungsführung einhalten. Das Bundesministerium erläutert diese Kontrollprozess in folgenden Worten:

"Das Prinzip der Budgethilfe besteht darin, dass die Mittel nicht zweckgebunden in ausgewählte Vorhaben investiert werden, sondern in den nationalen Haushalt des Partnerlandes eingestellt werden. Das bedeutet, dass der Weg des einzelnen Euros nicht mehr nachvollziehbar ist und die Geber nicht detailliert prüfen können, wofür das Geld tatsächlich eingesetzt wird. Insofern kann der Erfolg der Budgethilfe weniger über die Ausgabenkontrolle, sondern vor allem über eine Prozess- und Wirkungskontrolle bewertet werden.

Dazu wurden verschiedene Kontrollmechanismen in den Budgethilfeprozess eingebaut: Zum einen wird die Rechenschaftslegung zu den Zahlungen, also sozusagen die Buchführung der Regierung, einem unabhängigen internationalen Wirtschaftsprüfungsunternehmen vorgelegt. Zum anderen wird mittels jährlicher "Performance-Reviews" überprüft, inwieweit die festgelegten Ziele erreicht wurden. Die nationalen Rechnungshöfe der Partnerländer unterstützen diesen Prozess.

Der Erfolg eines Reformprozesses im Bildungssektor lässt sich zum Beispiel daran ablesen, ob mehr Lehrer eingestellt oder Schulgebühren abgeschafft wurden. Die erfolgreiche Wirkung einer Budgethilfe kann oft erst nach mehreren Jahren beurteilt werden - etwa wenn sich das Bildungsniveau in der Bevölkerung messbar verbessert hat.

Stellt sich heraus, dass die Mittel unzulässig verwendet werden, haben die Geber die Möglichkeit, die Unterstützung zu unterbrechen, zu kürzen oder sich ganz zurückzuziehen. Auch kann die Rückzahlung der zweckentfremdeten Gelder verlangt werden. Bislang sind jedoch noch keine schwerwiegenden Vertrauenskrisen vorgekommen."

Gemeinsam mit dem Koalitionspartner haben wir das Augenmerk der Entwicklungspolitik auch auf andere Arbeitsfelder gelenkt, auf denen in vielen unserer Partnerstaaten noch dringender Nachholbedarf besteht. Ich denke dabei etwa an die besorgniserregende Bildung- und Ausbildungssituation. Noch immer können 780 Millionen Menschen weltweit nicht lesen und schreiben. Millionen von Menschen haben keinen oder nur sehr eingeschränkten Zugang zu formellen und informellen Bildungsangeboten. Der Antrag der Fraktionen der SPD und der CDU/CSU "Förderung und Ausbildung - Entwicklungspolitischen Schlüsselsektor konsequent ausbauen" wurde am 5. Juni 2008 im Bundestag in 1. Lesung beraten. Deshalb haben wir einen Antrag vorgelegt, um Bildung zu einem Schlüsselsektor der Entwicklungs­zusammenarbeit auszubauen und das Bildungsangebot in den Partnerländern zu verbessern.

Besondere Aufmerksamkeit erfordert die Bildungsförderung in Nachkriegsregionen, Ländern mit fragiler Staatlichkeit und in Flüchtlingslagern. Bei der Zusammenarbeit im Bildungssektor ist darauf zu achten, dass hohe Qualitätsstandards und eine nachhaltige Finanzierung gesichert sind. Die Bildung von Mädchen und Frauen soll weiterhin explizit gefördert werden, da Frauen eine Schlüsselrolle für Entwicklung zukommt. Ihre Bildung ist auch für eine nachhaltige Armutsbekämpfung und HIV-Prävention von großer Bedeutung.

Auch im Bereich der Armutsbekämpfung wollen wir neue Wege beschreiten und die Entwicklung und den Ausbau sozialer Sicherungssysteme zu einem Schwerpunkt unserer Entwicklungszusammenarbeit machen. Der Deutsche Bundestag hat am 13. März den Antrag der Koalitionsfraktionen "Entwicklungs- und Schwellenländer verstärkt beim Aufbau und bei Reformen von sozialen Sicherungssystemen unterstützen und" beschlossen. Der Antrag zeigt die Bedeutung von tragfähigen sozialen Sicherungssystemen für eine nachhaltige Armutsbekämpfung - und somit auch für das Erreichen der Millenniumsziele - auf. Studien der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zeigen, dass allein durch die Einführung von minimalen Sozialleistungen, die Armutsquoten in Entwicklungsländern um 40 Prozent reduziert werden können. Die Kosten für solche Sozialleistungen würden bei lediglich etwa 3 Prozent des Bruttoinlandproduktes liegen.

Die Schwierigkeiten bei der Planung und Umsetzung solcher entwicklungspolitischer Aufgaben sind allerdings immens, ein Erfolg keineswegs sicher vorauszusagen. Unsere eigenen Erfahrungen in der Sozialpolitik, ihrer Ausrichtung und Finanzierung, können wir kaum 1:1 auf andere Zusammenhänge übertragen - zu unterschiedlich sind die kulturellen und sozialen Traditionen, die wirtschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen in den Entwicklungsländern. Ich stelle mir allerdings vor, aus dem Erfahrungsaustausch oder aus der Entwicklung neuer sozialpolitischer Sicherungsinstrumente einen klugen Ansatz zu entwickeln.

Sie kennen diese Zusammenhänge aus Ihrer langjährigen Arbeit genau. Daher überrascht mich Ihre Verknüpfung angeblicher Kürzungen von Sozialleistungen in Deutschland mit den Leistungen der Entwicklungshilfe. Ihre Argumentation suggeriert, dass jeder Entwicklungshilfe-Euro, der an nicht-demokratische Regierungen fließt, besser zur Sicherung des Sozialleistungsniveaus in Deutschland eingesetzt werden könne. Dies würdigt allerdings die Komplexität dieser Sachverhalte nicht ausreichend, denn Sie vergleichen, abgesehen von einer rein monetären Betrachtung, Unvergleichbares. Schon sehr oft musste ich Die Lebensleitung von Menschen wie Ihnen gegen allzu einfache Vorwürfe "was der in einem Jahr in Afrika kostet und verdient, würde mir in Deutschland für 10 Jahre reichen..." verteidigen. Solchen Klischees möchte ich keinen Vorschub leisten.

Zum einen ist Ihre Bemerkung einer Reduzierung von Sozialleistungen zu pauschal gefasst, denn das hohe soziale Sicherungsniveau in Deutschland hat viele Facetten. Ich denke dabei an steuerfinanzierte Sozialleistungen, an beitragsfinanzierte Sozialversicherungsleistungen, an steuerrechtliche Be- und Entlastungsregelungen, an Subventionen und Transferleistungen. An jeder dieser Säulen müssen wir fortlaufend Verbesserungen vornehmen. Zu diesen Anpassungen rechne ich Mehr- und Minderausgaben, Ausweitungen oder Einschränkungen des Leistungskatalogs oder des Kreises von Anspruchsberechtigten. In einigen sozialpolitisch wirksamen Bereichen wurden Leistungen ausgeweitet, etwa bei der Reform der Pflegeversicherung, bei der Ausbildungsförderung oder der Gesundheitsversicherung. Die daraus resultierenden finanziellen Verpflichtungen für den Bundeshaushalt balancieren wir ständig mit anderen staatlichen Ausgaben - etwa in der Entwicklungszusammenarbeit - aus, um unser Ziel eines ausgeglichenen Etats zu erreichen.

Zum anderen haben wir uns dazu verpflichtet, ab 2006 jährlich einen Anteil von 0,33 Prozent des Bruttonationaleinkommens in die Entwicklungszusammenarbeit zu investieren. Der Haushalt des BMZ für das Jahr 2009 verzeichnet einen Zuwachs von über 12 Prozent auf einen Höchststand von 5,7 Milliarden Euro. Dieses internationale Engagement wollen wir nicht reduzieren, insbesondere mit Blick auf die entwicklungspolitische "Leistungsbilanz".

Denn für eine generelle Bewertung von Erfolgen und Misserfolgen, die als Legitimation für unsere Entwicklungszusammenarbeit dienen können, sind mir folgende Zusammenhänge wichtig. Wir unterstützen mit der Ausrichtung unseres Ansatzes an Good Governance- Kriterien einen demokratischen und rechtsstaatlichen Entwicklungsprozess, der sich auch bei uns - wie in vielen Staaten - über viele Jahrzehnte hingezogen hat und in seinem Verlauf viele Brüche, Umwege und Irrtümer aufwies. Wir sollten daher in manchen Situationen, in denen der Weg zu Demokratie, Marktwirtschaft und Rechtsstaat ins Stocken gerät oder gar Rückschritte macht, Geduld aufbringen und bestehende Kooperationen aufrechterhalten.

Kurzfristige Arbeitsperspektiven und Zeithorizonte sind hier ein schlechte Orientierung. Denn im Dialog ist nach meiner Erfahrung mehr für die betroffenen Menschen zu erreichen als durch den Abbruch von Kontakten und Kooperationen. Ich frage daher immer nach den Auswirkungen unseres Handelns und Alternativszenarien:

* Welche Folgen hätte ein Rückzug aus der Entwicklungszusammenarbeit mit einzelnen Ländern für die betroffenen, auf Unterstützung und Austausch angewiesenen Menschen?
* Welche Einflussmöglichkeiten auf isolierte Staaten und Gesellschaften bleiben uns noch, wenn wir die Entwicklungszusammenarbeit beenden?
* Welche "Rendite" muss ein in der Entwicklungshilfe eingesetzter Euro aus dem Steueraufkommen erbringen, um legitim und effizient zu sein - auch wenn ein Teil davon möglicherweise in die Taschen korrupter Politiker oder verbrecherischen Banden fließt? Wenn wir in dieser Frage lediglich finanz- oder betriebswirtschaftliche Kriterien anlegen wollen, wären wir besser beraten, diese Finanzströme in die Anstellung von Steuerfahndern umzuleiten, die mit ihrer Arbeit viele Millionen Steuermehreinnahmen für die Staatskassen erwirtschaften...

Ich formuliere meine Überlegungen auch in Form von Fragen, weil es keine Patentrezepte gibt und Antworten immer wieder neu erarbeitet werden müssen. Nicht immer stimmen diese Antworten vollkommen mit dem überein, was ich in der Entwicklungspolitik für richtig und wichtig halte. Häufig wirken Rückschläge und Misserfolge in der Entwicklungs­zusammenarbeit ernüchternd und entmutigend. Gerade in diesem Politikfeld hat allerdings nach meiner Einschätzung folgender Satz von Albert Camus einen tieferen Sinn: "Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen."

Ich hoffe, Ihnen einen Einblick in meine Überlegungen gegeben zu haben, und verbleibe

mit freundlichem Gruß,
Ihr Lothar Binding