Frage an Lothar Binding von Margret K. bezüglich Gesundheit
Mit Interesse habe ich Ihre Anmerkung zum Thema "Rauchen" gelesen. Haben Sie auch zum Thema "Alkohol" eine Meinung?
Diese Abhängigkeit ist ein noch schwerwiegenderes soziales bzw gesundheitliches Problem. Es belastet die Gesellschaft in einem viel höheren Ausmaß! Es zerstört Familien, belastet das Gesundheitswesen und, und usw.
Warum wird der Konsum nicht wenigstens erschwert?
Sehr geehrte Frau Kowalski,
vielen Dank für Ihre Frage. Ihre kritische Würdigung von Alkoholkonsum und dessen Folgen teile ich.
Auch wenn wir wissen, dass nichts so schnell süchtig macht wie Nikotin und jedes Jahr fast 130.000 Raucher:innen oder Passivraucher:innen in Folge des Rauchens sterben, es gibt doch einige kaum minder schlimme Suchtkrankheiten. Sie sprechen eine wichtige an: Alkoholsucht – und die ehemalige Drogenbeauftragte Marlene Mortler klärt auf: „Jedes Jahr sterben bei uns mehr als 20.000 Menschen an den Folgen ihres Alkoholkonsums, etwa 10.000 Kinder kommen jedes Jahr alkoholgeschädigt auf die Welt und etwa 2,65 Millionen Kinder haben mindestens einen alkoholkranken Elternteil“.
In diesem Bereich kenne ich mich nicht gut genug aus. Deshalb möchte ich Sie auf den (ich glaube ersten) Alkoholatlas Deutschland 2017 des DKFZ verweisen. (Prof. Dr. Michael Baumann, Dr. Martine Pötschke-Langer) Dort gibt es unendlich viel zu lernen. Dort äußert sich Prof. Dr. Michael Baumann, der Vorstandvorsitzende des DKFZ (Deutsches Krebs-Forschungs-Zentrum): „Der Alkoholatlas fasst zahlreiche Daten, die ansonsten über verschiedene Fachpublikationen verteilt sind, verständlich in einem einzigen Werk zusammen und macht sie so einem breiten Publikum zugänglich. Der Atlas soll als umfassendes, anschauliches Grundlagenwerk der Politik und der Bevölkerung fundiertes Wissen über die Probleme des Alkoholkonsums liefern und zu einer gesellschaftlichen Debatte anregen. So kann er als wichtige Grundlage für Maßnahmen zur Alkohol- und Krebsprävention dienen."
Ich lese auf der Website des DKFZ: „Deutschland liegt mit einem Konsum von 11 Litern Reinalkohol pro Jahr und Person im Alter von 15 Jahren und älter etwas über dem durchschnittlichen Alkoholkonsum der EU-Mitgliedstaaten von 10,6 Litern. Seit mehreren Jahren sinkt jedoch der Alkoholkonsum insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Heute trinkt nur noch jeder 10. Jugendliche zwischen 12 und 17 regelmäßig Alkohol. Vor 15 Jahren waren es noch fast doppelt so viele. Außerdem nehmen Jugendliche zunehmend Abstand vom gefährlichen „Komasaufen". Diesen Trend zu einem moderaten Alkoholkonsum gilt es, durch geeignete Präventionsmaßnahmen zu unterstützen, um die gravierenden gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen des riskanten Alkoholkonsums zu verringern.“
An diesem Trend war ich vermutlich ein kleinwenig beteiligt… wie viele verantwortliche Kolleginnen und Kollegen. Auch gute Entscheidungen brauchen eine Mehrheit im Parlament.
Ich denke natürlich an das „Gesetz über die Erhebung einer Sondersteuer auf alkoholhaltige Süßgetränke (Alkopops) zum Schutz junger Menschen, wir sagen kurz: Alkopopsteuergesetz.
Mit diesem Gesetz erheben wir seit 2004, neben der Besteuerung von Branntwein, Bier und bestimmten alkoholischen Zwischenerzeugnissen auch eine (neue) Steuer auf Alkopops. Sie erinnern sich bestimmt: Damals wurde speziell für Jugendliche Süßgetränke stark mit Alkohol gemischt. Das schmeckte prima süß und man war in kurzer Zeit betrunken, wurde an Alkohol herangeführt… die nächste Generation der Alk-Kunden war gesichert.
Die Initiative für diese Steuer ging damals vom Gesundheitsministerium aus, das sich um Gesundheit kümmerte. Formal klingt das dann so: „Das Gesetz war Teil einer Gesetzesinitiative des Bundesministeriums für Gesundheit zur Verbesserung des Schutzes junger Menschen vor den Gefahren des Alkoholkonsums mit dem Ziel, die „Preise von Alkopops [...] so zu verteuern, dass sie von jungen Menschen nicht mehr gekauft werden“ Die Quelle ist: der „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes junger Menschen vor Gefahren des Alkohol- und Tabakkonsums BT-Drs. 15/2587 vom 3. März 2004“
Ob die Steuer allein den Rückgang des Konsums von Alkopops bewirkt hat, weiß ich nicht, vielleicht war auch eine Mode zu Ende gekommen. Aber ein Impuls war die Steuer sicher und wenn auch andere Gründe geholfen haben die Jugendlichen zu schützen – Hautsache, dieses Ziel wurde erreicht.
Hier ist die Parallele zum Dampfen, dessen Langzeitfolgen und Spätschäden noch nicht bekannt sein können. Dampfen ist praktisch ein Langzeit-Experiment an den Kunden von E-Zigaretten und Heat-not-Burn Produkten. Viele Studien zeigen: Dampf zu inhalieren ist weniger schädlich als Rauch zu inhalieren. Was das aber im Verhältnis etwa zum Rauchen bedeutet, für die Lebenserwartung, Krebsrisiken und so weiter, ist noch nicht bekannt. Einigen Rauchern hilft Dampfen vom Raucher zum Dampfer zu werden. Das schreiben mir einige Bürger die heute Dampfen. Die meisten konsumieren anschließend allerdings beides, was besonders negativ ist, weil man über die duale bzw. parallele Inhalation von Rauch und Dampf auch nicht genug weiß – soweit ich weiß.
Ich sehe die Parallele dort, wo Jugendliche als nächste Konsumentengeneration der Sucht in den Dampf gelockt werden sollen. Schauen Sie mal auf einige Namen: Love Bite, Truth or Pear, Aroma Lemon Tart - Dinner Lady, Aroma Bubblegum, Aroma Kiwi Lemon Kool etc. Für die Unternehmen die diese Sachen anbieten ist das ja auch sehr verständlich, ohne Nachwuchs wäre ihr Geschäftsmodell nicht von langer Dauer. Gleichwohl wollen wir die bisher praktisch kaum besteuerten „neuen Produkte“ E-Zigaretten und Heat-not-Burn-Produkte, höher besteuern um den Anreiz auf Jugendliche zu vermindern.
Ein entscheidender Unterschied zu damals 2003/2004 ist, dass heute der Lobbydruck im Vergleich extrem hoch ist. BAT, Reemtsma, Philip Morris, sogar deren Betriebsräte, viele mittelgroße Händler und deren Lobbyverbände versuchen uns im Bundestag mit Briefen, Besuchen, Mails und aufdringlichster Werbung direkt vor den Reichstag zu beeinflussen. Offensichtlich soll der Jugendschutz vor den Geschäftsinteressen zurückweichen. Und das möchte ich nicht.
Um Ihren Gedanken nochmal aufzugreifen: Sicher wäre es gut, wenn sich das Gesundheitsministerium gemeinsam mit der aktuellen Drogenbeauftragten erneut um Frage Alkoholsucht kümmern würde.
Hoffentlich hilft Ihnen meine Antwort ein Stück weiter.
Mit freundlichen Grüße, Ihr Lothar Binding