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Frage von Brigitte J. •

Frage an Lothar Binding von Brigitte J. bezüglich Öffentliche Finanzen, Steuern und Abgaben

Sehr geehrter Herr Binding,

es geht um die Begrenzung des Verlustabzugs für Privatanleger bei Termingeschäften.
Dazu hat Sie am 21.02.20 ein Herr Thorsten Kock gebeten, darzulegen, inwieweit diese Regelung mit dem Nettoprinzip und dem Leistungsprinzip, die Ausdruck einer fairen Besteuerung sind, vereinbar sind.
Er hat dazu ein anschauliches Zahlenbeispiel angeführt, das deutlich macht, dass es dann, wenn die Steuer auf einen Gewinn erhoben wird, der faktisch überhaupt nicht erzielt wurde, zu einem unüberschaubaren "Steuerirrsinn" kommen kann.
Das Vertagen des Verlustabzugs von je 10.000,- in die Folgejahre kann dazu führen, dass der Anleger, diese Steuerlast nie abtragen kann, vor allem dann, wenn er weiterhin sein Depot auf dieselbe Weise absichern möchte und somit weitere Verluste anfallen.
Leider haben Sie auf die Frage von Herrn Kock noch nicht geantwortet.
Ich bin an dieser Darlegung auch sehr interessiert.

Ein weiteres Prinzip des Steuerrechts ist der Gleichheitsgrundsatz. Warum zahlt jemand, der 20.000,- Gewinn erwirtschaftet, in dem er zehn Gewinntrades zu je 2.000,- Euro tätigt, eine Steuer von 5.000,- Euro, jedoch jemand, der exakt denselben Gewinn erwirtschaftet, der sich bei ihm aber aus Gewinninvestments von insgesamt 100.000,- Euro und Verlustinvestments von insgesamt 80.000,- Euro zusammensetzt, von denen er künftig nur 10.000,- ansetzen darf, eine Steuer von 22.500,- Euro?
Bisher kam es auf den Gesamtgewinn an, und nun soll es stattdessen ausschließlich darauf ankommen, wie sich der Gewinn zusammensetzt? Wem um alles in der Welt dient das denn?

Wem soll dieses Gesetz genau was bringen?
Für die privaten Anleger, die sich selbstständig um ihren Vermögensaufbau kümmern möchten, wird das Handeln in Deutschland unmöglich gemacht. Gerade der verantwortungsbewusste Handel mit Optionen, deren Preis sich transparent nur an Angebot und Nachfrage orientiert, verhindert riskante Spekulationen, indem zur Absicherung Gegenpositionen eröffnet werden. Verluste sind somit systemimmanent.

Auch für den Staat kann ich keinen Nutzen erkennen, der sich aus dieser Verlustabzugsbegrenzung ergibt. Weder werden höhere Steuereinnahmen damit erreicht, weil die Trader ihren Handel in Deutschland einstellen müssen, noch wird damit verhindert, dass Spekulationen mit Summen, die nur Großkonzerne tätigen können, das Finanzsystem ins Wanken bringen können, denn gerade die Großkonzerne betrifft das Gesetz nicht.

Das Gesetz ist also nicht nur für alle Akteuere vollkommen sinnbefreit, sondern es führt sogar dazu, dass der Staat weniger Steuern einnimmt. Finden Sie das nicht sehr kontraproduktiv, gerade in der jetzigen Situation, auf diese Einnahmen zu verzichten, in dem sie die Selbstbestimmtung und Eigenverantwortung der Bürger und Wähler versuchen abschaffen?

Wäre es nicht sinnvoll, wie in einer Petition zu dieser Thematik vorgeschlagen wird, stattdessen eine Art allgemeinen "Börsenführerschein" einzuführen, der gewährleistet, dass jeder, der sich am Terminmarkt betätigt, mit den Instrumenten, derer er sich bedient, vertraut ist?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Jerg,
vielen Dank für Ihre Frage zum § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG. Wenn mehrere nahezu inhaltsgleiche Fragen zu einem Thema gestellt werden, finden sich in meinen Antworten natürlich auch inhaltliche Überschneidungen.
Verluste aus Termingeschäften können nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit Erträgen aus Stillhaltergeschäften ausgeglichen werden. Dabei ist die Verlustverrechnung unterjährig auf 10.000 Euro pro Jahr begrenzt, das ist korrekt. Die Begrenzung dieser Verlustverrechnung greift auch, wenn die unterjährig realisierten Verluste 10.000 Euro übersteigen, auch das ist korrekt. Damit bleiben diese Verluste aber nicht unberücksichtigt. Diese können auf Folgejahre vorgetragen und dann jedes Jahr jeweils in Höhe von 10.000 Euro mit Gewinnen aus Termingeschäften oder mit Stillhalterprämien verrechnet werden. Voraussetzung dafür ist, dass nach der unterjährigen Verlustverrechnung ein verrechenbarer Gewinn verbleibt.
Sie fragen, ob die Regelung mit dem objektiven Nettoprinzip einhergeht, welches sich aus dem Leistungfähigkeitsprinzip ergibt, was wiederum auf Artikel 3 des Grundgesetzes zurückgeht. Dabei beziehen Sie sich auf die Frage von Herrn Kock. In der dazugehörigen Antwort auf die Frage von Herrn Kock finden Sie meine Antwort.
Sie bezeichnen die Regelung in § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG als "Steuerirrsinn". Ich bezeichne es als eine zielgerichtete Regelung. Denn Termingeschäfte werden von privaten Anlegern nicht nur zur Absicherung von Fremdwährungsrisiken, Marktrisiken oder zur Absicherung von Zins-, Preis- oder Kursniveaus getätigt, wie es bei Unternehmen aus realwirtschaftlichen Motiven die Regel ist, sondern maßgeblich zum "Zocken". Deshalb ist eine unterjährige Begrenzung der steuerlichen Verlustberücksichtigung auf 10.000 Euro sinnvoll. Denn die steuerliche Berücksichtigung von Verlusten schmälert die Bemessungsgrundlage der Steuer und somit die Steuerzahlung an die Gemeinschaft. Wieso sollte die Gemeinschaft eine weitgehendere Verlustverrechnung von risikoreichen "Zockereien" mitfinanzieren? Eventuell stören Sie sich an dem Begriff "Zockerei". Ich könnte es auch wohlwollender als "Spielerei" oder "Glücksrittertum" formulieren. Die Bedeutung bleibt freilich die gleiche.
Dabei finde ich Spielen oder Wetten nicht immer verwerflich. Wenn es dabei um Geld geht, möchte ich aber genauer hinschauen. Mir hat ein Privatanleger auf dieser Plattform geschrieben, er sei "realwirtschaftlich" unterwegs, weil er von seinem Gewinn seiner Lebensgefährtin eine Wohnung gekauft habe. In Wahrheit hat seine Wohnung derjenige oder diejenige bezahlt, dem oder der nun die Möglichkeit genommen ist eine Wohnung zu kaufen. Oder könnte es sein, dass bei der Privatanlage alle immer nur gewinnen und niemand dafür bezahlen muss?
Sie schreiben: "Bisher kam es auf den Gesamtgewinn an". Dies impliziert, dass bisher Verluste aus jeder Art von Termingeschäften unbegrenzt steuerlich berücksichtigt werden konnten. Das ist aber falsch. Bereits von 1999 bis 2018 wurden Verluste von Privatanlegern aus dem Verfall von Optionen und Forderungen von der Finanzverwaltung gar nicht anerkannt. Im hierfür relevanten BMF-Schreiben zur Abgeltungsteuer vom 18. Januar 2016 wurde die Berücksichtigung der Verluste aus dem Optionsverfall versagt. Auch in der vorherigen Regelung in § 23 EStG fanden die Verluste aus dem Verfall von Optionen keine Berücksichtigung. Die neue Regelung ermöglicht hingegen eine steuerliche Berücksichtigung von Verlusten aus jeder Art von Termingeschäften.
Darüber hinaus schreiben Sie: "Für die privaten Anleger, die sich selbstständig um ihren Vermögensaufbau kümmern möchten, wird das Handeln in Deutschland unmöglich gemacht." Das impliziert: private Anleger können Vermögen nur mit Hilfe von Termingeschäften aufbauen. Es ist offensichtlich, dass dies nicht richtig ist. Es existieren vielfältige Möglichkeiten. Den Vermögensaufbau auf hochriskante Derivate aufzubauen halte ich für unklug. Dies wird üblicherweise über einen langen Anlagezeitraum betrieben. In Kombination mit einer weiten Diversifikation der Assets kann das Schwankungsrisiko niedrig gehalten werden. Dieses Vorgehen lässt sich nicht durch kurzfristiges Hebeln oder durch riskante Finanzwetten ersetzen.
Weiter führen Sie an, dass "bei verantwortungsvollem Handel mit Optionen" von Privatanlegerinnen und -anlegern lediglich Absicherung betrieben wird. Termingeschäfte können zwar grundsätzlich zum Zwecke der Absicherung eingegangen werden (Hedging), z.B. von Kursrisiken aus anderen Wertpapieranlagen oder auch von Preisrisiken von Rohstoffen. Gerade Privatanleger gehen Termingeschäfte aber meist zum Zwecke der Spekulation ein. Denn die Kalkulation einer wirksamen Absicherung von Depots über Termingeschäfte ist komplex und erfolgt daher in erster Linie durch professionelle Marktteilnehmer. Alleine schon die Abgrenzung von Termingeschäften, die reinen Absicherungszwecken dienen, gegenüber Termingeschäften, die in spekulativer Absicht abgeschlossen wurden, ist in der Praxis ohne genaue Kenntnis der Berechnung von Derivatepreisen nicht möglich. Wenn ein Privatanleger ein Termingeschäft eingeht, geschieht das also in der Regel in der Hoffnung auf einen hohen Gewinn, ermöglicht durch die Hebelwirkung des Produkts. Das Gegenereignis hierzu ist ein hoher Verlust, der dem Anleger ebenso entstehen kann. Dessen müssen sich Privatanleger bewusst sein. Durch die Regelung der Verlustverrechnung wird auch nicht "die Eigenverantwortung der Bürger und Wähler" abgeschafft. Die Eigenverantwortung wird gerade gestärkt, weil Verluste nicht in vollem Umfang steuerlich berücksichtig werden können, was ja Steuermindereinnahmen für den Staat - uns alle - bedeuten würde.
Abschließend schreiben Sie, dass "die Trader ihren Handel in Deutschland einstellen müssen". Hier ist Ihnen die Unterscheidung von Privatanlegern und institutionellen Anlegern verlogen gegangen.
Dazu habe ich alles Notwendige in meinen Antworten zu demselben Komplex auf dieser Plattform gesagt, z.B. hier: https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/lothar-binding/fragen-antworten/507082
Auch wenn mir bewusst ist, dass dies nicht die passende Plattform ist, um Gegenfragen zu stellen - Sie können mir gerne per E-Mail antworten. Gleichwohl habe ich zum Abschluss noch eine Frage an Sie, die ich oben schon angedeutet habe: Wer bezahlt Ihre Gewinne aus Termingeschäften? Bei einem Paar neuer Schuhe z.B. leuchtet das ein. Da gibt es einen Produzenten, Zulieferer und einen Händler, alle haben einen Gewinn, die Arbeitnehmer ihren Lohn und die Kundin bzw. der Kunde bezahlt dies über den Kaufpreis und hat anschließend ein Paar Schuhe. Wer aber bezahlt die Gewinne aus Ihren Finanzwetten?
Ich hoffe, dass Ihnen meine Ausführungen einen Schritt weiterhelfen.

Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding