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Frage von Stefan R. •

Frage an Lothar Binding von Stefan R. bezüglich Familie

Sehr geehrter Herr Binding,

warum wird in der grossen Koalition das Kindergeld nicht turnusgemaess erhoeht? Die Hoehe des Kindergeldes wurde doch so eingerichtet, dass es einer Steuerfreistellung des Existenzminimums von Kindern entspricht. Verstoesst die Politik mal wieder gegen die Verfassung? Wie sich immer wieder zeigt, sitzen die wahren Feinde der Verfassung im Bundestag!

Mit freundlichen Gruessen.

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Sehr geehrter Herr Richter,

vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Kindergelderhöhung. Eine Regelung bzgl. einer turnusmäßigen Erhöhung des Kindergeldes besteht nicht. Diese bestand – unabhängig von den Regierungskoalitionen – auch in der Vergangenheit nicht.

Nebenbei erwähnt, finde ich Ihre Formulierung „die Politik verstößt wieder einmal gegen die Verfassung…; […] die wahren Feinde der Verfassung sitzen im Bundestag“ nicht angemessen. Gerade weil Sie dieses Thema zu interessieren scheint, möchte ich vermuten, dass Ihnen die unterschiedlichen Auslegungen der Verfassung und des Familienrechts durch das Bundesverfassungsgericht bekannt sind. Bei gleicher Verfassung stehen die Urteile aus den Jahren 1982 ff den Urteilen aus den Jahren 1998 ff diametral entgegen. Natürlich glaube ich auch weiterhin an die politische Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts. Sie sehen allerdings, wie schwer die Interpretation der Verfassung sein kann.

Zu Ihrer Frage: Die Bundesregierung will im Herbst kommenden Jahres entscheiden, ob das Kindergeld 2009 erhöht werden kann oder erhöht werden muss. Dann wird das Bundesfinanzministerium seinen nächsten Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums vorlegen. Der Bericht, der in der Regel alle zwei Jahre veröffentlicht wird, liefert die Entscheidungsgrundlage für das Kindergeld. Da der steuerliche Freibetrag – Kinderfreibetrag – über dem materiellen Existenzminimum liegt, besteht in der Zeit zwischen den Berichten im Regelfall kein Handlungszwang – der finanzielle Spielraum ist ausreichend groß. Zu dieser steuerlichen Vergünstigung kommen die Freibeträge für den Betreuungsbedarf, den Erziehungsbedarf und für die Ausbildung in Höhe von 2.160 € hinzu.

Im Einkommensteuerrecht besteht ein Wahlrecht zwischen Kinderfreibetrag - also einem steuerlichen Existenzminimum für das Kind - und Kindergeld. Der Kinderfreibetrag ist eine aus dem materiellen Existenzminimum abgeleitete Größe. Den Freibetrag zur Existenzsicherung des Kindes hat das Bundesverfassungsgericht 1998 inhaltlich definiert. Die Höhe des Kindergeldes beträgt gegenwärtig 154 €. Das Existenzminimum für Kinder wird mit 3.648 € beziffert. Wer den Kinderfreibetrag nutzt, weil er höher ist als das Kindergeld, bekommt damit kein Kindergeld. Aus diesem Wahlrecht ergeben sich unterschiedliche Verteilungswirkungen. Für Bezieher niedriger Einkommen ist der Bezug von Kindergeld regelmäßig günstiger, weil der ausgezahlte Betrag höher ist als die Steuerersparnis durch den Kinderfreibetrag. Bitte schauen Sie sich die kleine Präsentation im Anhang an, sie erläutert die Wirkungen anschaulich.

Inhaltlich hat also das Bundesverfassungsgericht festgelegt, dass uns Kinder reicher Eltern mehr Wert sind als Kinder armer Eltern. Das Verfassungsgericht begründet die Entscheidung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz, dass jedes Kind, egal mit welchem sozialen oder ökonomischen Hintergrund, dem Staat "gleichviel wert" sein muss. Ich halte diese Definition von "gleichviel wert" für sehr merkwürdig, bedenken wir, dass Kinder in Familien mit hohen Einkommen auch noch eine höhere Förderung, in Form von Steuerersparnis, erhalten. Auch die SPD- Fraktion hat diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts deutlich kritisiert, da dieses Urteil im Grunde genommen eine soziale und bedarfsorientierte Unterstützung von Kindern und Familien verbietet.

Das Gericht hat klargestellt, dass die Steuerfreistellung des Existenzminimums auch durch die Zahlung von Kindergeld gewährleistet werden kann. Diese Möglichkeit haben wir bei der Ausgestaltung des Kindergeldes aufgegriffen. Wir verringern damit die von uns als ungerecht empfundene Differenz der Steuerersparnis, die sich aus einem für Arm und Reich gleichen Kinderfreibetrag ergibt.

• Da der Freibetrag bei niedrigen Einkommen nur zu einer niedrigen Kinderförderung führt, haben wir das Kindergeld deutlich höher festgelegt, als die Einkommensteuerermäßigung, die sich aus dem Freibetrag ergibt, erfordern würde. Das Kindergeld ist bei niedrigem Einkommen deutlich höher als vom Verfassungsgericht als notwenig definiert. Den Mehrbetrag sollen die Familien gleichwohl behalten. Das war eine Maßnahme der SPD-Fraktion zur Familienförderung und Unterstützung der Kinder.
• Das Kindergeld liegt aber deutlich unterhalb der Einkommensteuerermäßigung, die sich aus dem Freibetrag bei hohen Einkommen ergibt. Diese hohe Einkommensteuerermäßigung, auch wenn sie das Kindergeld deutlich übersteigt, darf die Familie mit hohem Einkommen auch behalten, weil dies vom Bundesverfassungsgericht so festgelegt wurde.

In der Praxis sieht es so aus, dass zunächst einmal alle steuerpflichtigen Eltern das Kindergeld als eine Art Vorauszahlung auf den Steuervorteil für die Freibeträge für Kinder erhalten. Im Steuerbescheid rechnet das Finanzamt dann automatisch aus, was für die Eltern günstiger ist: das Kindergeld oder die Freibeträge für Kinder. Bei dieser Günstigkeitsprüfung kommt es auf die Höhe des Einkommens der Eltern an. Ab einer bestimmten Höhe wird der Kinderfreibetrag abgezogen. Für Eltern mit niedrigem Einkommen bleibt es beim Kindergeld.

Somit ist nur derjenige Teil des Kindergeldes, der höher ist als die Steuerersparnis durch den Freibetrag eine Förderung der Familien. Dieser Anteil "wirklicher" Förderung sinkt mit zunehmendem Einkommen. Bei einem zu versteuernden Einkommen von 25.000 Euro beträgt er für Steuerpflichtige, die nach der Splittingtabelle besteuert werden, nur noch ein Drittel. Dies bedeutet, dass von 154 € Kindergeld nur 50 € Förderung sind. Bei einem entsprechend höheren Einkommen besteht keine "wirkliche" Förderung mehr, allerdings wird in diesem Fall ja die Steuerersparnis höher als das Kindergeld.

In einem Rechenbeispiel lassen sich die Verteilungswirkungen wie folgt darstellen:

Kinderfreibetrag in Höhe von 3.648 € addiert mit 2.160 € Freibetrag für Betreuung etc. multipliziert mit 42 % Spitzensteuersatz dividiert durch 12 Monate = 203 €.

Diejenigen mit einem geringeren Steuersatz sind somit benachteiligt, weil das maximale Kindergeld bei 154 Euro liegt. Diese Lücke könnten wir auch nicht durch Anhebung des Kindergeldes vollständig schließen, weil es stets ein hohes Einkommen gäbe, das zu einer höheren Förderung führte als das gerade definierte Kindergeld.

Ich halte eine Umverteilung zugunsten der einkommensschwächeren Familien für sinnvoll und sozial zu rechtfertigen – solche Ziele waren bisher aber mit dem Koalitionspartner und dem oben erwähnten Urteil nicht durchsetzbar. Deshalb halte ich es für zielführend, nicht so sehr über das Kindergeld nachzudenken, sondern viel mehr darüber, gebührenfreie Krippen- Kindergarten und Hortplätze anzubieten, kein Schulgeld und keine Studiengebühren zu verlangen. Diese Infrastrukturmaßnahmen in Bildung und Betreuung, schaffen Chancengleichheit für alle Kinder unabhängig vom Geldbeutel der Eltern – wenigstens soweit es von staatlicher Seite organisierbar ist.
In der Hoffnung, Ihnen Ihre Frage konstruktiv beantwortet zu haben, verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen, Lothar Binding