Frage an Lothar Binding von Andreas L. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Binding,
Ich wende mich an Sie als Mitglied des Finanzausschusses.
Die massive Verschuldung der öffentlichen Haushalte bereitet mir große Sorge. Die Schulden wurden und werden immer noch von Regierungen ALLER Parteien angehäuft, seit ca. 40 Jahren kommen in jedem Jahr neue Schulden hinzu. Nur für die Zinsen verwenden wir 20% unseres Bundeshaushaltes, unnütz herausgeworfenes Geld, dadurch wird die Handlungsfähigkeit des Staates stark eingeschränkt. Die Bürger wollen keine Verschuldung, geschätzte 90% machen privat keine Schulden außer für Investitionen wie Hauskauf. Die massiven Schulden können nicht in einer Legislaturperide abgebaut werden, dazu braucht es Jahrzehnte und alle künftigen Regierungen müssen sich darauf verpflichten.
Hierzu meine Fragen:
Haben Sie persönlich einen Plan, wie die Schulden dauerhaft abgebaut werden können? Gibt es hierzu einen parteiübergreifenden Plan? Würden Sie einen solchen VERPFLICHTENDEN Plan befürworten?
Ich persönlich kann nach 40 Jahren der Lippenbekentnisse zum Schuldenabbau quer durch alle Parteien nicht mehr daran glauben, daß die Politik dieses Problem in den Griff bekommt. Ich glaube wirklich daran, daß irgendwann irgendetwas passiert: ein Crash, massive Inflation, staatliche Zwangsmaßnahmen, schlimmstenfalls ein Krieg.
Herr Binding, ich freue mich auf Ihre Antwort und möchte mich ausdrücklich bei Ihnen dafür bedanken, daß Sie die Fragen der Bürger/Innen hier so ausführlich beantworten.
Herzliche Grüße, Andreas Lindhorst
Sehr geehrter Herr Lindhorst,
für Ihre Frage danke ich Ihnen sehr herzlich. In meiner Arbeit im Finanz- und im Haushaltsausschuss gehören sowohl die Einnahmen- als auch die Ausgabenseite des Bundeshaushaltes zu meinem Aufgabenbereich. Aus dieser Erfahrung heraus teile ich Ihre Diagnose zur Staatsverschuldung, also der Verschuldung von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen. Der Abbau der Staatsverschuldung ist eine der zentralen Aufgaben, die wir gemeinsam – Politiker aller verantwortungsbewussten Parteien und auf allen Ebenen unseres Bundesstaates, Unternehmen und Privatpersonen - angehen müssen – so allgemein wird das jeder Politiker unterschreiben…
Der Schuldenberg ist in den vergangenen Jahrzehnten unabhängig von der parteipolitischen Färbung der Regierungen stetig, aber nicht immer gleich dynamisch gewachsen. Ausbleibende Tilgungen, immer neue Kreditaufnahmen und der bisweilen leichtfertig eingeschlagene Weg der Finanzierung der Staatstätigkeit „auf Pump“ haben ihren Teil dazu beigetragen. Als gravierendes Beispiel möchte ich die Fehleinschätzungen der Kosten für die Vereinigung Deutschlands nennen.
Zunächst eine politische Vorbemerkung: Schulden des Staates sind mit Zinszahlungen verbunden. Der Staat erhebt Steuern von allen Steuerpflichtigen und bezahlt Zinsen an seine Gläubiger. Deshalb stelle ich stets die Frage, ob es sich bei den Einzahlern von Steuern und Empfängern von Zinsen um die gleiche Gruppe handelt. Wenn es nun Gruppen gibt, die tendenziell ihr Haupteinkommen aus Kapitalerträgen erwirtschaften und andere, die Lohn- und Einkommensteuer bezahlen, könnte es passieren, dass die Staatsverschuldung eine systematische, dauerhafte Umverteilung von den Lohn- und Einkommsteuerzahlern zu den Zinsempfängern ist. Hier geht es mir nicht um eine einmalige Umverteilung, die ungerecht wäre. Solche Art der punktgenauen und Einzelfallgerechtigkeit kann es in einer komplizierten Gesellschaft nicht geben. Mir geht es um die Erkenntnis, dass es sich hier um ein System, um ein Verfahren handelt, Ungleichgewichte zwischen jenen Gruppen die ihr Einkommen vornehmlich mit Arbeit verdienen und jenen Gruppen, die Ihr Einkommen vornehmlich aus Zinsen bzw. Kapitalerträgen erhalten, dauerhaft zu organisieren oder sogar zu verstärken. Staatsverschuldung ist also eine Methode zur Umverteilung, der dieser Effekt nicht unmittelbar anzusehen ist. Deshalb bin ich sehr vorsichtig – auch mit sozial motivierten – Ausgaben auf Kredit. Was kurzfristig sozial erscheint, ist langfristig die Verstärkung sozialer Ungleichheit. Natürlich bin ich für ein dichtes und stabiles soziales Netz. Ich spreche mich hier mit Blick auf die Effekte der Verschuldung gegen parteipolitisch motivierte eilfertig versprochene Sozialleistungen aus, die langfristig etwas anderes bewirken, als sie kurzfristig behauptet wird.
Wie sehr ungeordnete Staats- und Bundesfinanzen und ein Schuldenberg, der jede vierte Steuermark in Zins - ohne Tilgung - fließen lässt, den Handlungsspielraum der Gesellschaft einengen, konnten wir sehen, als die Maastrichtkriterien aufgrund der Entwicklungen der 90er Jahre verletzt wurden. Die Bundesschulden hatte Ende der 90er Jahre mit 1,5 Billionen DM den höchsten Stand der Geschichte der Bundesrepublik erreicht. 80% davon hat die Regierung Kohl verursacht. Die hohe Aufwuchsgeschwindigkeit der Staatsverschuldung hatte – anders als übrigens häufig vermutet – schon vor(!) der Vereinigung schon begonnen. Das war eine politische Entscheidung von Waigel in Abänderung der Politik von Stoltenberg.
Weil es sich bei der Staatsverschuldung allerdings um ein äußerst komplexes und kompliziertes Sachgebiet handelt, ist eine differenzierte Betrachtungsweise notwendig.
Der Schuldenberg ist nicht immer mit der gleichen Geschwindigkeit gewachsen. Nach der Währungsreform 1948 begann die Schuldenentwicklung zunächst sehr verhalten. Umfangreiche Infrastrukturmaßnahmen und die Finanzierung von Sozialleistungen und Bildungsausgaben ließen den Schuldenstand in den 70er-Jahren schnell wachsen. Der stärkste Schub setzte mit der Deutschen Einheit ein. Die West-Ost-Transfers verdreifachten den Schuldenstand von 277 Mrd. € im Jahr 1990 auf 820 Mrd. € im Jahr 2003.
Wie dieser kurze historische Überblick schon andeutet, muss man auch immer im Blick haben, wofür die Kredite ausgegeben wurden. Verschuldung kann nämlich auch positive Wirkungen haben, wenn sie die konjunkturell bedingte Nachfrageschwäche der Unternehmen und privaten Haushalte kompensiert. Neben der politisch vernünftigen, antizyklischen Steuerung des Konjunkturkreislaufs spielt auch die sozialstaatliche Abfederung von Verwerfungen im marktwirtschaftlichen System eine gewichtige Rolle für das Wachstum der Staatsausgaben.
Und vergessen wir nicht, dass der Staat – Bund, Länder und Gemeinden – auch selbst als Akteur am Wirtschaftleben teilnimmt. Er verfolgt dabei allerdings Strategien und Ziele, die sich von privatwirtschaftlichen Unternehmen deutlich unterscheiden. Denn wo der Staat in die Wirtschaft interveniert, tut er dies nicht unter der Vorgabe der Gewinnmaximierung, der Renditesteigerung oder eines möglichst effizienten Mitteleinsatzes. Seine Förderprogramme, Subventionen und Aufträge dienen oft dem Zweck, privatwirtschaftliche Eigeninitiative erst anzustoßen, und versetzten andere Marktteilnehmer dadurch erst in die Lage, selbst ein Einkommen zu erzielen. Denken sie beispielsweise an Investitionen in Bildung und Ausbildung, an den Bau von Autobahnen, Flughäfen oder Telekommunikationsinfrastruktur, an die Vergabe öffentlicher Aufträge an Dienstleistungsunternehmen oder die Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehrs.
Ihrem Vergleich mit der privaten Verschuldung möchte ich daher nicht folgen. Im Privatleben achte ich wie der überwiegende Teil der Bevölkerung sehr genau darauf, für meinen privaten Konsum – etwa Haushaltsführung, Freizeitgestaltung oder Urlaub – nur soviel auszugeben, wie mir zur Verfügung steht. Bei der Schuldenlast der öffentlichen Haushalte handelt es sich aber zu einem Großteil nicht um die Folge konsumtiver, sondern investiver Ausgaben. Denn der Staat muss gelegentlich in Vorleistung treten und finanzielle Risiken auf sich nehmen, die kein privater Investor übernehmen könnte oder wollte.
Diese staatliche Finanzierungsverantwortung steht natürlich tendenziell in einem Spannungsverhältnis zum Gebot der sparsamen Mittelverwendung, denn schließlich muss sich der Staat ja refinanzieren, vor allem über Einnahmen aus Steuern und Gebühren. Umso wichtiger ist es, die Balance zwischen diesen beiden Polen zu finden. Die Sozialdemokratie hat für diese Frage nach den Aufgaben und Grenzen der Staatstätigkeit ein Leitbild entwickelt und in konkrete Politik umgesetzt. Folgende Ziele stehen gleichberechtigt nebeneinander:
- Der Staat muss diejenigen Aufgaben übernehmen und finanzieren, die nur von ihm übernommen werden können;
- er muss den Bürgerinnen und Bürgern sowie den Unternehmen den Freiraum für eigenverantwortliches Handeln geben;
- und er muss diejenigen schützen und begleiten, die sich aus eigenen Kräften nicht gegen die Marktentwicklungen wehren können.
Im Bereich der Etatsanierung lauten die Schlüsselbegriffe unseres Kernprojekts dabei finanzielle Konsolidierung und nachhaltige Finanz- und Haushaltspolitik.
Dies bedeutet zum einen: Abbau des Schuldenbergs, um die eigene Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen und der nachfolgenden Generation einen Haushalt zu hinterlassen, der Spielraum für ihre eigenen politischen Schwerpunktsetzungen erlaubt. Bevor der Abbau des Schuldenbergs beginnen kann, muss natürlich die jährliche Neuverschuldung auf Null gebracht werden; und erst wenn die jährlichen Einnahmen die Ausgaben übersteigen, kann mit der Tilgung der Schulden begonnen werden. Das bedeutet zum anderen: notwendige Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Wettbewerbsfähigkeit vorzunehmen. Und es bedeutet schließlich für mich auch: einem solidarischen Zusammenleben die nötige finanzielle Substanz zu geben.
Zur aktuellen Lage: Der Bundeshaushalt 2008 greift diese Strategie auf, indem er eine solide Haushaltspolitik mit wirtschaftlichen Impulsen und Ausgaben für Zukunftsinvestitionen, vor allem in Bildung, Forschung und in die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbindet. Ein kurzer Überblick macht dies deutlich:
Derzeit stehen im Haushaltsausschuss die parlamentarischen Beratungen zum Bundeshaushalt 2008 und zur Mittelfristigen Finanzplanung bis 2011 an. Mit dem Haushaltsentwurf senken wir die Neuverschuldung im Vergleich zu 2007 um weitere 6,7 Milliarden Euro auf 12,9 Milliarden Euro. Diesen Wert unterschritt die Nettokreditaufnahme zuletzt 1989. Die Kreditfinanzierungsquote des Bundeshaushalts erreicht mit 4,6 Prozent den niedrigsten Stand seit 1973. Spätestens im Jahr 2011 soll die Neuverschuldung auf Null sinken – wenn(!) die heutigen Annahmen hinsichtlich der wichtigsten Parameter in der Finanzwirtschaft und Wirtschaft richtig sind. Schon im kommenden Jahr werden wir voraussichtlich einen ausgeglichenen gesamtstaatlichen Haushalt in Bund, Ländern und Gemeinden sowie bei den Sozialversicherungen erreichen können.
Zugleich erhöhen wir die Mittel für Forschung und Entwicklung um zusätzliche 220 Millionen Euro, verbessern die Mittelausstattung des BAföG und finanzieren den Hochschulpakt 2020. Wir investieren in Klimaschutzprogramme, um die CO2- Emissionen langfristig zu reduzieren. Und wir stellen Geld für den Ausbau der Krippenplätze und das Elterngeld bereit. Damit bekommen gerade Kinder aus sozial schwachen Familien die Chance auf eine frühkindliche Betreuung und damit auf bessere Bildungschancen. Bezogen auf meine obige Bemerkung zu Sozialleistungen und Schulden möchte ich auch bemerken, dass die Stärkung der Kaufkraft auch wirtschafts- und finanzpolitisch positive Effekte durch Stärkung der Binnennachfrage hat.
Die Konsolidierung des Bundeshaushaltes erfordert einen langen Atem, Sparsamkeit in Phasen des Aufschwungs wie der Rezession, einen vorausschauenden Umgang mit Einnahmen und Ausgaben – vor allem aber politische Mehrheiten. Dafür arbeite ich zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen der SPD- Bundestagsfraktion.
Ihr Vorschlag eines verpflichtenden Plans zum Schuldenabbau wäre gut, wenn sich die Zukunft tatsächlich hinreichend genau abschätzen ließe. Da wir dabei aber ein nationalstaatliches Ziel definieren, die dafür notwendigen Entwicklungen allerdings auch international dominiert werden können, bin ich mit der Anwendung dieses Vorschlags sehr vorsichtig. Denn Steuerung und Gestaltung setzen Steuerungsfähigkeit und Gestaltbarkeit voraus. Wo Politiker lediglich noch Finanzierungsregelungen beachten und mechanistisch Sparbeschlüsse umsetzen müssen, sind der Wettbewerb zwischen Parteien, die Zurechenbarkeit politischer Verantwortung und die Verwirklichung von Werten und Zielen nicht mehr möglich.
Zudem erinnere ich daran, dass weder die grundgesetzliche Schuldenbremse in Art. 115 GG noch die Maastrichter Kriterien das Wachstum unseres Schuldenbergs wirksam verhindern konnten. Gegenwärtig diskutieren in der sog. Föderalismus- Kommission II mögliche gesetzliche Modelle zur Schuldenbegrenzung von Bund und Ländern. Ich unterstütze diese Arbeiten, soweit sie berücksichtigen, dass Schuldenbremsen nicht die gesellschaftliche Steuerung durch die Politik zum Erliegen bringen dürfen. Sparen darf nicht der alleinige Selbstzweck der Politik sein, denn das würde den Kern unserer Demokratie, die eigenständige und selbstverantwortliche Gestaltung unserer Lebensumstände, aushöhlen.
Noch ein letztes Argument, das bei der Forderung nach einem strikten Sparkurs oft unter den Tisch fällt: alle Bürgerinnen und Bürger profitieren – in unterschiedlich starkem Maß - von staatlichen Investitionen, von Subventionen, steuerlichen Vergünstigungen, der antizyklischen Steuerung des Wirtschaftskreislaufes oder von Sozialtransferleistungen. Und bislang habe ich von Seiten der Sparbefürworter noch kein überzeugendes Argument gehört, wo denn nun der Rotstift angesetzt werden solle, oder welche Subvention denn nun Vorrang gegenüber welcher Sozialleistung hat. Und keine gesellschaftliche Gruppe hat bislang freiwillig auf – natürlich wohlverdiente – Privilegien und Leistungsansprüche verzichtet.
Unsere sozialdemokratische Strategie aus finanzieller Konsolidierung, gezielten Investitionen und solidarischer Unterstützung und Förderung bietet die überzeugendste Antwort auf diese Fragen.
In der Hoffnung, dass Sie sich meine Argumente zu Eigen machen können, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding